Computerprogramme sind grundsätzlich durch das Urheberrecht geschützt, aber:

BGH - Urteil schränkt UrhG-Grundsatz ein

04.10.1985

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Mai dieses Jahres entschieden, daß nur die Computerprogramme den Urheberrechtsschutz genießen, die ein deutliches Überragen der Gestaltungstätigkeit in Auswahl, Sammlung, Anordnung und Einteilung der Informationen und Anweisungen gegenüber dem allgemeinen Durchschnittskönnen aufweisen (CW Nr. 21 vom 24. 5. 1985, Seite 13). Keinen Urheberrechtsschutz genießen demnach Programme, die dem Können eines Durchschnittsprogrammierers entsprechen, rein handwerksmäßig zusammengestellt sind und sich auf eine mechanischtechnische Aneinanderreihung und Zusammenfügung des Materials beschränken. Wegen der Bedeutung dieses BGH-Urteils für die DV-Branche druckt die COMPUTERWOCHE die Begründung des BGH hinsichtlich der urheberrechtlichen Ansprüche in den wichtigsten Punkten ab:

Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Urheberrechtsschutzfähigkeit des im Streit befindlichen SWI-lnkasso-Programms halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Berufungsgericht hat Computerprogramme zwar zu Recht als grundsätzlich urheberrechtsschutzfähig angesehen. Die von ihm getroffenen Feststellungen reichen indessen nicht aus, die Urheberrechtsschutzfähigkeit des SWI-lnkasso-Programms zu bejahen. Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

a) Computerprogramme gehören zum Bereich der Wissenschaft im Sinne des ° 1 UrhG und sind daher dem Urheberrechtsschutz grundsätzlich zugänglich. ln Betracht kommt - je nachdem, ob eine (symbol)-sprachliche oder eine graphische Darstellung verwendet wird - ein Schutz als Schriftwerk (° 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG) oder als Darstellung wissenschaftlicher oder technische Art (° 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG).

aa) Der Werkbegriff des ° 2 UrhG setzt voraus, daß das Werk in seiner konkreten Gestalt der sinnvollen Wahrnehmung zugänglich ist. Dies trifft nicht erst auf das vollendete Werk in Form des betriebsfertigen Computerprogramms zu. Bei Werken, die - wie dies bei Computerprogrammen in aller Regel der Fall ist - stufenweise entstehen, treten für die Schutzfähigkeit erforderliche konkrete Formgestaltungen auch schon in vorausgehenden Entwicklungsstadien auf. Für die urheberrechtliche Beurteilung bedarf es keiner näheren Differenzierung der einzelnen Entwicklungsphasen, die in der EDV- Literatur unterschiedlich eingeteilt werden (vergleiche dazu Wittmer, Der Schutz von Computersoftware - Urheberrecht oder Sonderrecht, Bern 1981, Seite 38); denn für den Schutz als Schriftwerk oder als Darstellung wissenschaftlicher oder technischer Art ist es unerheblich, in

welchem Entstehungsstadium urheberrechtlich relevante Formgestaltungen wahrnehmbar werden. Für das Verständnis der bei der Erstellung eines Computerprogramms anfallenden Formgestaltungen reicht eine Grobeinteilung in drei Entwicklungsphasen aus.

In der ersten Phase erfolgt die generelle Problemlösung (auch Problem- oder Systemanalyse genannt). . . Diese Beschreibung ist als eine unter den Begriff des Schriftwerks (° 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG) fallende Gestaltungsform zu beurteilen.

In der zweiten Phase erfolgt die nähere Projektion der Problemlösung. In einem - bei einfachen Programmen entbehrlichen - Datenflußplan (Flußdiagramm) wird der aufgefundene Lösungsweg in Form einer graphischen Darstellung des Befehls- und Informationsablaufs so wiedergegeben, wie ihn eine EDV-Anlage erfordert. . .

Der Datenflußplan gehört zu den Darstellungen wissenschaftlicher und technischer Art (° 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG), da er als Ausdrucksmittel die graphische Darstellung benutzt.

Nach dem Datenflußplan oder auch unmittelbar aufgrund der generellen Problemlösung wird der konkrete Programmablaufplan (Blockdiagramm) erstellt. Er ist meist eine Mischform aus Schriftwerk und Darstellung wissenschaftlicher oder technischer Art.

In der dritten Phase erfolgt die eigentliche Kodierung des Programms. In ihr wird der Programmablaufplan nunmehr in eine dem Computer verständliche Befehlsfolge umgewandelt. Für das fertige Programm kommt Schriftwerkschutz nach ° 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG in Betracht. Die Benutzung von Sprachzeichen steht selbst dann nicht entgegen, wenn das Programm nur mit Hilfe der Maschine lesbar wird (von Gamm WRP 1969, 96, 97).

Vorstehende Zusammenfassung der bei der Programmentwicklung regelmäßig anfallenden Formgestaltungen schließt nicht aus, daß in den Vorstufen weitere dem Urheberrechtsschutz zugängliche Arbeitsergebnisse entstehen (Beschreibungen, Dokumentationen, Unterprogramme und ähnliches).

Ergänzend kann auch schutzfähiges Begleitmaterial hinzutreten, das neben den Computerprogrammen und den Programmbeschreibungen der Software zugerechnet wird.

Die durch die stufenweise Entstehung des Computerprogramms bedingte differenzierte Beurteilung der Urheberrechtsschutzfähigkeit wird auch dann nicht entbehrlich, wenn man die moderne Software-Entwicklung als einen zielbewußten, ganz auf das fertige Programmprodukt ausgerichteten einheitlichen Schöpfungsprozeß der Werkvollendung begreift, bei dem alle für die Werkeigenschaft der Computerprogramme wichtigen Umstände und Merkmale früherer Entwicklungsstufen in das angestrebte Endprodukt, das betriebsfertige Programm, einfließen.

Wissenschaftliche Lehre ist urheberrechtlich frei

Zwar wird der eigentliche Streitgegenstand in den meisten Fällen das betriebsfertige Computerprogramm (im Quellen- oder Objektcode) sein. Gleichwohl wird eine Differenzierung unter anderem dann bedeutsam, wenn sich Verletzungshandlungen auf die Übernahme nur einzelner Programmierungsphasen aus einem fremden Gesamtprogramm beschränken oder wenn Streit über die (Mit-)Urheberschaft bei mehreren Beteiligten mit unterschiedlichen Arbeitsleistungen entsteht.

bb) Computerprogramme und ihre Vorstufen können grundsätzlich auch die für die Urheberrechtsschutzfähigkeit nach ° 2 Abs. 2 UrhG erforderliche persönliche geistige Schöpfung aufweisen.

In den einzelnen Programmierungsphasen werden vom Systemanalytiker oder Programmierer Leistungen geistiger Art erbracht. Der geistige Gedankeninhalt findet seinen Niederschlag und Ausdruck in der Gedankenformung und - führung des dargestellten Inhalts und /oder der besonders geistvollen Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs.

Für die urheberrechtliche Beurteilung wissenschaftlicher oder technischer Werke scheidet ein geistigschöpferischer Gehalt in der Gedankenführung und -formung des dargestellten Inhalts weitgehend aus; die wissenschaftliche Lehre und das wissenschaftliche Ergebnis sind urheberrechtlich frei und jedermann zugänglich; ihrer Darstellung und Gestaltung fehlt, soweit diese aus wissenschaftlichen Gründen in der gebotenen Form notwendig und durch die Verwendung der im fraglichen technischen Bereich üblichen Ausdrucksweise üblich sind, die erforderliche eigenschöpferische Prägung.

Dem Urheberrechtsschutz ist daher die in dem Computerprogramm berücksichtigte, sich auf einen vorgegebenen Rechner beziehende Rechenregel (der sogenannte Algorithmus) ebensowenig zugänglich, wie andere bei der Erstellung des Programms herangezogene mathematische oder technische Lehren oder Regeln, die als Bestandteil der wissenschaftlichen Lehre frei und jedermann zugänglich sein müssen.

Für den Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen und ihren Vorstufen kommt danach nur die Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des Materials in Betracht. In diesem Bereich besteht ein hinreichender Spielraum für individuelle, eigenschöpferische Lösungsmöglichkeiten, und zwar in allen drei Entwicklungsphasen. Für die Problemanalyse, den Datenflußplan und Programmablaufplan ist dies heute überwiegend anerkannt.

Aber auch bei der eigentlichen Kodierung zumindest des Quellenprogramms wird sich eine eigenschöpferische Gestaltung nicht von vorneherein ausschließen lassen. Es ist denkbar, daß im Einzelfall ein nicht hinreichend konkretisierter Programmablaufplan noch genügend Raum für eine individuelle Auswahl und Einteilung bei der Kodierung läßt.

Schönheitssinn wird nicht verlangt

Die Urheberrechtsschutzfähigkeit von Computerprogrammen scheitert letztlich auch nicht am Erfordernis des geistig- ästhetischen Gehalts. Ein ästhetischer Gehalt in einer den Schönheitssinn ansprechenden Bedeutung wird von ° 2 Abs. UrhG nicht verlangt. Soweit der Begriff der Ästhetik bei Sprachwerken im älteren Sinne des Wortes als eine aus geistiger Arbeit erwachsene, sinnlich wahrnehmbare eigenschöpferische Formgestaltung verwendet wird (so bei von Gamm WRP 1969 96, 97 f.; vergleiche dazu E. Ulmer/ Kolle, GRÜR Int. 1982, 489, 493) deckt er sich mit der vorstehend vertretenen Auffassung.

cc) Ist damit die Urheberrechtsschutzfähigkeit von Computerprogrammen grundsätzlich zu bejahen, so bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob das Programm und seine Vorstufen einen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad im Sinne des °2 Abs. 2 UrhG erreichen. Die Frage (...)ach den von der Rechtsprechung bislang entwickelten Grundsätzen zu beantworten. Danach bemißt sich die Frage des Eigentümlichkeitsgrades nach dem geistig-schöpferischen Gesamteindruck der konkreten Gestaltung, und zwar im Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Gestaltungen (vergleiche BGHZ 27, 351

356 f. - Candida-Schrift). Dieser Vergleich enthält keine - für die Urheberrechtsschutzfähigkeit unerhebliche - Neuheitsprüfung (vergleiche BGHZ 18, 319, 322 - Bebauungsplan), sondern beantwortet die Frage, ob der konkreten Formgestaltung gegenüber den vorbekannten Gestaltungen individuelle Eigenheiten zukommen.

Auszugehen ist von den vorbekannten Programmen und den Arbeitsergebnissen der einzelnen Entwicklungsstufen mit ihren jeweils bekannten und üblichen Anordnungen, Systemen, Aufbau- und Einteilungsprinzipien. Alle in deren Nähe bleibenden Gestaltungsformen besitzen keinen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad; auch die bloß mechanisch- technische Fortführung und Entwicklung des Vorbekannten bleibt in diesem Bereich (vergleiche von Gamm WRP 1969, 96, 99). Lassen sich nach Maßgabe des Gesamtvergleichs mit dem Vorbekannten schöpferische Eigenheiten feststellen, so sind diese dem Schaffen eines Durchschnittsprogrammierers gegenüberzustellen

Das Können eines Durchschnittsgestalters, das rein Handwerksmäßige, die mechanisch- technische Aneinanderreihung und Zusammenfügung des Materials liegt außerhalb jeder Schutzfähigkeit. Erst in einem erheblich weiteren Abstand beginnt die untere Grenze der Urheberrechtsschutzfähigkeit, die ein deutliches Überragen der Gestaltungstätigkeit in Auswahl, Sammlung, Anordnung und Einteilung der Informationen und Anweisungen gegenüber dem allgemeinen Durchschnittskönnen voraussetzt (st. Rspr., zul. BGH GRÜR 1984, 659, 661 - Ausschreibungsunterlagen). Eine individuelle Eigenart kann auch durch die Be-, Um- und Einarbeitung vorbekannter Elemente und Formen erzielt werden.

Quantität keine Frage der schöpferischen Gestaltung

Für die Frage der schöpferischen Gestaltungshöhe kommt es grundsätzlich nicht auf den guantitativen Umfang des Programmes an; ebensowenig darauf, mit welchem Aufwand und welchen Kosten es konzipiert worden ist und ob die Aufgabenstellung neu war. Für die Werkqualität ist weiter nicht entscheidend daß eine Vielzahl von Programmierern bei gleicher Aufgabenstellung unterschiedliche Programme entwickeln würden.

Ergibt sich im Einzelfall, daß eine hinreichende schöpferische Gestaltungshöhe nur in der Anfangsphase der Programmentstehung (zum Beispiel nur bei der generellen Problemlösung und dem Datenflußplan), nicht dagegen in den späteren Arbeitsphasen (beim Programmablaufplan und insbesondere auch nicht bei der Kodierung) festgestellt werden kann, so steht dies der Urheberrechtsschutzfähigkeit des vollendeten Werkes, des betriebsfertigen Programms, grundsätzlich nicht entgegen.

Bei einem einheitlichen Werkschaffen gehen die schöpferischen Vorarbeiten in das endgültige Werk ein. Bei getrenntem Werkschaffen wäre die generelle Problemlösung als eigentliches Werk, der eigenschöpferisch gestaltete Datenflußplan als deren abhängige Bearbeitung (° 3 UrhG) und der Programmablaufplan sowie die Kodierung als unfreie Benutzung in Form der Vervielfältigung (° 16 UrhG) zu beurteilen.

Sind an der Programmentstehung als einem einheitlichen Werk mehrere Urheber beteiligt, so wird - falls die Beteiligten nicht etwas Gegenteiliges wollten - ein gemeinsames Werkschaffen vorliegen (° 81 UrhG), bei dem das betriebsbereite Computerprogramm das endgültige urheberrechtsgeschützte Werk darstellt.

b) Das Berufungsgericht ist im wesentlichen zutreffend von den dargelegten Grundsätzen ausgegangen. Seine Annahme, das in Streit befindliche Inkasso-Programm stelle eine schöpferische Leistung (° 2 Abs. 2 UrhG) dar, wird jedoch von den tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Dies rügt die Revision der Beklagten zu Recht.

aa) Das Berufungsgericht hat zur schöpferischen Gestaltungshöhe ausgeführt: Die schöpferische Leistung bei der Gestaltung des Programms sei zu erkennen in: (wird ausgeführt).

bb) Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen indessen schon deshalb nicht zur Begründung der Schutzfähigkeit aus, weil das Berufungsgericht sich im wesentlichen auf eine Beschreibung der Arbeitsvorgänge beschränkt hat; die das Inkasso-Programm der Klägerin zu leisten vermag. Die dargestellten Arbeitsvorgänge sind einem inhaltlichen Schutze nicht zugänglich. Sie können nicht für die Klägerin monopolisiert werden, sondern müssen für die Hersteller und Verwender anderer Inkasso-Programme freibleiben; zumal es sich überwiegend um Selbstveständlichkeiten des Inkassoverfahrens handelt (so unter anderem die Erfassung der außergerichtlichen Mahnung, des gerichtlichen Mahnverfahrens, der Bearbeitungskartei und die Dateien).

Unterschied zu anderen Programmen bleibt unklar

Dies hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt und die schöpferische Leistung in der Anordnung, Zuordnung, Verbindung und Kombination der einzelnen Leistungsmerkmale gesehen. Die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind indessen nur pauschal und ohne nähere Begründung getroffen worden. Es ist nicht ersichtlich, worin das Charakteristische der Anordnung und Kombination zu sehen ist. Es fehlen Feststellungen darüber, daß die Anordnung und Verbindung der einzelnen Elemente nicht durch den normalen Ablauf des Inkasso- Programms vorgegeben ist und mehr als eine bloße technisch- mechanische Aneinanderreihung darstellt; ebenso bleibt ungeklärt, wodurch sich das im Streit befindliche Inkasso-Programm von vorhandenen abhebt.

Der Senat vermag mangels entsprechender Feststellungen nicht zu überprüfen, ob eine deutlich über dem Durchschnitt liegende schöpferische Leistung vorliegt. Aufgrund des vom Berufungsgericht in Bezug genommenen und daher auch vom Revisionsgericht verwertbaren Pflichtenheftes gemäß Anlage K 8 das nach dem Parteivorbringen in der Folgezeit weiterentwickelt worden sein soll, lassen sich die fehlenden Feststellungen nicht nachholen; der dort wiedergegebenen Beschreibung läßt sich eine individuelle eigenschöpferische Leistung nicht hinreichend entnehmen. Soweit das Berufungsgericht anführt, die Anordnung und Verbindung der erforderlichen Arbeitsschritte lasse sich dem

ausgedruckten Programm entnehmen, ist nicht ersichtlich, welche individuellen Züge das Berufungsgericht ihm entnehmen konnte.

Im Hinblick auf die nur pauschale Feststellung des Berufungsgerichts, die dargestellten Leistungsmerkmale seien in schöpferischer Weise miteinander kombiniert, bestehen überdies Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit des ausgesprochenen Verwertungsverbots. Denn für die Beklagten wäre nicht ersichtlich, in welcher Anordnung und Einteilung die einzelnen - inhaltlich gemeineren - Arbeitsschritte des Inkassoverfahrens für die Klägerin geschützt wären.

Die Frage der Urheberrechtsschutzfähigkeit des SWI-Inkasso-Programms bedarf nach alledem weiterer tatrichterlicher Aufklärung.