Microsoft x Open Source

Beziehungsstatus "kompliziert"

Kommentar  21.06.2022
Von 
Matt Asay ist Autor der US-Schwesterpublikation Infoworld.com.
Die Entscheidung, die C#-Extension in Visual Studio Code proprietär zu machen, sorgt für Unmut. Dennoch kann man Microsoft weiterhin als konsequenten Open-Source-Unterstützer sehen.
Microsoft und Open Source... eine komplexe Liebesbeziehung.
Microsoft und Open Source... eine komplexe Liebesbeziehung.
Foto: koya979 - shutterstock.com

Miguel de Icazas Kritik an Microsoft ist durchaus glaubwürdig. Schließlich hat der Developer einen Großteil seiner Karriere damit verbracht, Open-Source-Projekte innerhalb des Microsoft-Ökosystems aufzubauen. Sein Hauptvorwurf: Microsoft untergrabe mit einer proprietären Erweiterung aktiv ein Open-Source-Projekt, um .NET weiterhin "abzuschotten".

Hintergrund der Kritik ist, dass Microsoft seine Techniken zur Unterstützung der hauseigenen Programmiersprache C# und des .NET-Frameworks teilweise lizenzpflichtig machen will. Über den Editor Visual Studio Code stellt das Unternehmen jede Menge Zusatzwerkzeuge bereit, von denen die meisten weiter via Open Source, einige aber auch über zahlungspflichtige Lizenzen bereitgestellt werden sollen.

Wer nun die Wiederbeburt des "alten" Microsoft ("Linux ist ein Krebsgeschwür") fürchtet, sollte allerdings einen Gang zurückschalten. Microsoft ist seit seiner öffentlichen Liebeserklärung für Open Source im Jahr 2014 ein beständiger Unterstützer der Community. Es ist unwahrscheinlich, dass der Konzern nun einen seiner sichtbarsten Open-Source-Erfolge wieder zunichte machen will. Vielmehr dürfte es sich um eine abteilungsinterne Entscheidung handeln, mit der bestimmte Umsatzziele erreicht werden sollen.

Von Affen-, Zebra- und Nilpferdbrillen

Bei Microsoft gehörte CEO Satya Nadella selbst zu denjenigen, die den Kursschwenk in Richtung Open Source mit Macht betrieben hatten. Doch solch ein Richtungswechsel braucht in einem großen Unternehmen mit einer völlig anderen Tradition viel Zeit und Beharrlichkeit.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Der CEO gibt den Teams vor, "jeder muss unsere neue Affenbrille verkaufen". Das klingt solange gut, bis der Leiter der Abteilung für Zebrabrillen den CEO daran erinnert, dass auch noch eine Milliarde Umsatz am Geschäft mit Zebrabrillen hängt. Dann tritt der Leiter der Nilpferdbrillen-Abteilung auf den Plan und erinnert die Geschäftsleitungen an das enorme Umsatzpotenzial - und an die Verpflichtungen in Höhe von 500 Millionen Dollar gegenüber Partnern. Sollen wirklich alle Vertriebsmitarbeiter auf den Verkauf von Affenbrillen geschult werden? Und beschäftigt sich die Marketingabteilung nur noch mit Affenbrillen? Es kommt zu verzögerungen, fünf Jahre später ist die ursprüngliche Vorgabe immer noch nicht erfüllt.

Zurück zu Microsoft: Im Jahr 2014 erklärte Microsoft-CEO Satya Nadella öffentlichkeitswirksam, dass "Microsoft Linux liebt". Zu diesem Zeitpunkt blieb Microsoft auch gar nichts anderes übrig: Linux und Open Source hatten sich etabliert, gehörten zum Alltag. Zudem war Cloud Computing (IaaS, PaaS, SaaS) auf dem Vormarsch. Wenn Microsoft eine Zukunft haben wollte, musste es seine Windows-Fixierung ablegen.

Es waren vor allem finanzielle Gründe, die den Konzern dazu zwangen, sich auf Open Source einzulassen. Allerdings dauert es seine Zeit, bis die Botschaft der Geschäftsführung auf allen Ebenen angekommen war und umgesetzt wurde. Das galt insbesondere für das Jahr 2014. Im selben Moment, in dem Nadella seine Open-Source-Liebe kundtat, kämpften andere Teile des Unternehmens aktiv dagegen an, wie Infoworld-Kolumnist Simon Phipps damals eindrücklich schrieb. Dann besserte sich die Situation allmählich und im Jahr 2016 konnte ich Microsoft guten Gewissens als den weltweit größten Open-Source-Kontributor bezeichnen.

Momentan sind de Izaca und andere Open-Source-Verfechter verärgert, weil Microsoft die C#-Erweiterung von Visual Studio Code proprietär gemacht und entsprechende Änderungen anschließend auf schwer nachvollziehbare Art und Weise kommuniziert hat. Der Entwickler kommentierte die Vorgänge auf seinem Twitter-Kanal mit drastischen Worten:

Für all diejenigen, die gehofft hatten, dass ein quelloffenes .NET den Weg zu C# und anderen wichtigen Microsoft-Technologien ebnen würde, erscheint das als Kehrtwende und lässt Vermutungen aufkeimen, Microsoft sei zu seiner ursprünglich Open-Source-feindlichen Haltung zurückgekehrt:

Auch wenn die Sorgen von de Izaca berechtigt sein mögen, scheint es doch noch immer so, als wenn Microsoft mehr richtige als falsche Entscheidungen trifft, wenn es um Open Source geht. Schließlich reden wir von dem Unternehmen, das 2022 das GNOME-Projekt finanziert hat - eine direkte, wenn auch nicht besonders bedrohliche Herausforderung für den Windows-Desktop. Darüber hinaus engagiert sich Microsoft in der Apache Software Foundation und steuert (nicht nur finanzielle) Ressourcen zu Projekten wie Python, Java (!), Kubernetes oder OpenTelemetry bei.

Natürlich verfolgt Microsoft seine eigenen Interessen. Allerdings ist mir kein Fall bekannt, in dem ein Unternehmen aus rein altruistischen Motiven zu Open-Source-Projekten beigetragen hätte. Eigeninteressen widersprechen der Natur von Open-Source-Projekten keineswegs - das ist der Grund, warum das Ökosystem weiterwächst und sich selbst erhält. Entwickler, die Beiträge leisten und dafür von Unternehmen bezahlt werden, handeln ebenfalls aus eigenen Interessen.

Ich beschäftige mich schon seit mehr als zwei Dekaden mit Microsoft und habe manches mal gegen den Konzern gewettert. Dabei habe ich aber eines gelernt: Ein Unternehmen ist nie so schlecht, wie es auf den ersten Blick scheint. Am Ende msüssen Einzelpersonen Entscheidungen treffen - einige gefallen mir, andere nicht. Am Ende zählt nur, was die Entwickler und die Kunden tun. Wenn Microsofts .NET-Entwicklergemeinde schrumpft und finanzielle Ressourcen mitnimmt, wird der Konzern zurückrudern müssen. Microsofts Liebe zu Open Source ist vom schnöden Mammon getrieben - wie bei jedem anderen Unternehmen auch. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.