Bewußtseinswandel hinkt im Management hinterher

23.09.1988

Helmut Bender, Unternehmensberater Herzebrock

Die 40jährige Geschichte der Informationsverarbeitung ist durch eine atemberaubende Entwicklung mit eindrucksvollen Erfolgen geprägt. Eine Vielzahl von Leistungsbeispielen belegt dies, und man könnte eigentlich mit einer langausholenden Laudatio fortfahren, gäbe es nicht zwei unterschiedliche Gesichter, die hier eine differenzierte Betrachtung erforderlich machen.

Da ist auf der einen Seite die Hardwareentwicklung mit ihren zweifelsohne dramatischen Leistungssteigerungen, die sich in immer größeren Schritten vollziehen, und bei denen noch lange kein Ende abzusehen ist.

Auf der anderen Seite blieben die Fortschritte bei der Entwicklung von Anwendungssystemen vergleichsweise marginal. Und dies nicht nur bezogen auf Kosten und Qualität, sondern insbesondere auch auf die Nutzung der Informationsverarbeitung für die Unterstützung strategischer Unternehmensziele. Die technischen Voraussetzungen sind da. Was fehlt, ist ein Bewußtseinswandel hin zu den auf diesem Sektor bestehenden Chancen einer modernen Informationsverarbeitung. Dies ist in erster Linie ein Top-down-Problem; ein solcher Prozeß muß von der Unternehmensleitung ausgehen.

Aber gerade dort hinkt der erforderliche Bewußtseinswandel noch am weitesten hinterher. Die Beziehung der Unternehmensleitung zur Informationsverarbeitung (IV) wird vielfach noch von der traditionellen Rolle der DV geprägt, die sich zunächst noch darauf beschränkte, arbeitsintensive Abrechnungssysteme wie Lohn/Gehalt und Buchhaltung zu rationalisieren. Unsicher und mißtrauisch bleibt sie auf Distanz. Der eine oder andere Manager kokettiert immer noch eher damit, daß er nichts von DV versteht ("dafür hat man seine Programmierer"), als daß er sich mit einer Neuausrichtung der IV auseinandersetzt. Allenfalls die Kosten werden kritischer betrachtet; dies aber oft nur in pauschaler Relation zum Umsatz und nicht in differenzierter Analyse ihrer Beiträge zum Unternehmenserfolg.

So ist es kein Wunder, daß man an der organisatorischen Einbindung der IV ins Unternehmen noch aus der Zeit der 50er und 60er Jahre festhält. Damals wie heute findet man die Informationsverarbeitung "im dritten Glied', angegliedert an den Bereich Rechnungswesen. Aus dieser Position heraus müssen alle Bemühungen des IV-Managers, allein auf sich gestellt, seinen Bereich unternehmensweit auf die strategischen Erfordernisse auszurichten und weiterzuentwickeln, Stückwerk bleiben.

Zum Glück trifft dieses Szenario bei weitem nicht auf alle Unternehmen zu. Hier und da hat ein Umdenkungsprozeß eingesetzt, der die Chancen einer Neuorientierung der IV deutlich verbessert. Hier haben wohl auch so augenscheinliche Phänomene wie der unkontrollierte Wildwuchs bei den Personal Computern und die inkompatible Dezentralisierung auf der Ebene der Abteilungsrechner zu einem schmerzlichen Erwachen beigetragen.

Der Ruf nach konzerneinheitlichen Standards wurde auch von der Unternehmensleitung aufgegriffen. Damit bekam die IV, ergänzend zu ihrer Dienstleistungsfunktion, eine unternehmensübergreifende strategische Kompetenz.

Nun liegt es am IV-Manager, den vom ihm lange geforderten Bewußtseinswandel auch im eigenen Rollverständnis zu vollziehen. Die Schaffung technischer Voraussetzungen zur Kommunikationsfähigkeit ist zwar ein wichtiger Schritt, aber erst mit der Entwicklung unternehmensübergreifender Anwendungen, durch die wichtige strategische Unternehmensziele nachhaltig unterstützt werden, wird er der neuen Herausforderung gerecht.

Für die Durchsetzung solcher Konzepte ist es allerdings unverzichtbar, daß er hierarchisch richtig angesiedelt ist und direkt an die Unternehmensleitung berichtet.

Aber auch im Dienstleistungsbereich der IV ist ein Umdenkungsprozeß erforderlich. Statt immer nur die "unausgegorenen" Wünsche der Anwender zu reklamieren und zu beklagen, sollte sich die IV mit organisatorisch-strategisch denkenden Inhouse-Beratern ausstatten, um schon im Vorfeld der Anwendungsprojekte eine kompetente Beratung anbieten zu können.

Die Anwendungsentwicklung selbst muß sich von dem Image befreien, zu teuer zu sein, lange Wartezeiten für die Anwender zu verursachen und oftmals nicht ausgetestete Systeme instabil in die Produktion zu übergeben.

Nicht das Finden geeigneter Methoden des Software Engineering sind hierbei das Problem, sondern eine Akzeptanzstrategie, die dazu führt, daß ein solches Konzept von allen Entwicklern mit Überzeugung angewendet wird.

Dies ist eine Managementaufgabe, die bisher erst von wenigen zufriedenstellend gelöst wurde. Erfolgversprechende Wege sind bekannt, und es wird in Zukunft auch vielen anderen gelingen, wenn sie bereit sind, sich von diesbezüglich ungeeigneten Managementpraktiken zu lösen und in einen Umdenkungsprozeß einzutreten. Dann werden auf einmal erstaunliche Verbesserungen in Produktivität und Qualität sichtbar. Die daraus zu vermittelnden Erfolgserlebnisse führen zu hoher Motivation, und weitere Verbesserungen folgen.

Auch im Management der Fachbereiche muß sich ein Bewußtseinswandel vollziehen. Vor der Beauftragung der IV mit der Entwicklung eines neuen Anwendungssystems muß eine gründliche Analyse Aufschluß über die Stärken und Schwächen des eigenen Bereiches geben, und zwar im Hinblick auf die Erfordernisse der Unternehmensziele und der von ihm hierfür zu erbringenden Leistungsbeiträge. Dieser Prozeß mit den daraus abzuleitenden Anforderungen an die IV findet vielfach überhaupt nicht statt oder mit unzureichender organisatorisch-strategischer Kompetenz. Im schlimmsten Fall entstehen unter hohem Aufwand Anwendungssysteme, bei denen man erst nach Einführung merkt, daß sie am tatsächlichen Handlungsbedarf vorbei entwickelt wurden.

Unternehmensleitung, Fachbereichs- und IV-Management, können - jeder für sich - bereits eine ganze Menge für die Entstehung wirkungsvoller, die strategischen Unternehmensziele unterstützender Anwendungssysteme tun. Aber erst ein weiterer Baustein rundet diese Überlegungen ab.

Das Zusammenspiel aller Beteiligten ist ebenfalls zu überdenken. Hierzu muß beispielsweise hinterfragt werden, wer für was schlußendlich verantwortlich ist, wie Entscheidungsprozesse ablaufen, und nach welchen Prioritätsregeln ein Projekt den Vorzug vor einem anderen bekommt.

Vielfach ist es an der Tagesordnung, daß sich ein Projekt während der Entwicklung durch eine Vielzahl von Änderungen und Erweiterungen per Saldo derart aufbläht, daß schließlich die Kosten- und Terminziele bei weitem verfehlt werden. Da dies meist - unbemerkt vom Management - in direktem Kontakt zwischen Fachbereich und Entwicklern geschieht, wundern sich am Ende alle, wie eine derartige "Fehleinschätzung" möglich war.

Hier führt nur ein Weg an solchen Überraschungseffekten vorbei: Jede Änderung muß in einem mit dem Management aller Beteiligten besetzten Control-Board genehmigt werden, und zwar in Kenntnis einer Ergänzungskalkulation über die Auswirkung auf Kosten und Termine. Nebeneffekt: Die Flut an Änderungswünschen nimmt in erstaunlichem Umfang ab.

In einer Reihe von Unternehmen hat der Bewußtseinswandel im Management schon lange eingesetzt. Die Erfolge zeigen, daß sich die Informationsverarbeitung zu einer schlagkräftigen Waffe beim Kampf um Wettbewerbsvorteile entwickeln kann.