Bewerbungsstrategien in der Rezession (Teil 4) Der Jobsuchende muss sich als Problemloeser darstellen koennen

16.07.1993

Bei der schriftlichen Bewerbung ist das Anschreiben das geeignete Schriftstueck, um den Einsteller Marketing-orientiert zu umwerben. Stehen die rein egoistischen Motive im Mittelpunkt der Darstellung, verbucht der Jobsuchende nicht unbedingt Pluspunkte. "Der Bewerber als Problemloeser fuer den Einsteller" lautet nach Bernd Anderschs* Erfahrung heute das Rezept fuer das Anschreiben.

Marketing heisst der Schluessel zu den Kunden auf Maerkten, in denen viele Anbieter um eine geringere Nachfrage konkurrieren. Marketing ist die Ausrichtung von Produkten und Dienstleistungen an den Beduerfnissen der Kunden. Die Anbieter, denen es am besten gelingt, Beduerfnisse, Probleme und Wuensche der Kunden in den Mittelpunkt der Kundenumwerbung zu stellen, sind erfolgreich.

Auch am Arbeitsmarkt zeigt sich in der Rezession ein klarer Angebotsueberhang an Arbeitskraeften. Warum also nicht die Erfolgsrezepte aus dem Produkt- und Dienstleistungs-Marketing auf das Bewerbungsgeschehen uebertragen und die Einstellerwuensche, - probleme und -anliegen in den Mittelpunkt der Bewerbung stellen?

Hier nun die Gegenueberstellung zweier Anschreiben. Dass es dabei um Bewerbungen von Hochschulabsolventen geht, ist zweitrangig. Wichtiger ist, die fehlende beziehungsweise vorhandene Marketing- Orientierung zu erkennen.

Da heisst es etwa in einer Stellenanzeige: "... und suchen einen Hochschulabsolventen der Betriebswirtschaft/Wirtschaftsinformatik/Informatik als Anwendungsentwickler fuer kaufmaennische Systeme. Wichtig sind uns eine anwenderorientierte Vorgehensweise. Faehigkeit zur Teamarbeit wird erwartet ..." etc.

Zunaechst das Beispiel fuer ein schlechtes Anschreiben eines Hochschulabsolventen auf diese Anzeige:

"Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe Ihre Anzeige in der ... gelesen und bewerbe mich daraufhin um die Position des Anwendungsentwicklers. Letzte Woche habe ich mein Betriebswirtschaftsstudium, Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik, mit Praedikat beendet und suche eine neue Herausforderung. Das

Thema meiner Diplomarbeit lautete: ... Neben der Wirtschaftsinformatik vertiefte ich mein Wissen in Marketing und Rechnungswesen. Basierend auf meinem fundierten betriebswirtschaftlichen Know-how, moechte ich gerne in Ihrem Unternehmen meinen beruflichen Einstieg vollziehen, um mich fuer weiterreichende Fuehrungsfunktionen zu qualifizieren. Ich kann mir zur Realisierung meiner beruflichen Ziele gut den Einstieg in Ihre Anwendungsentwicklung vorstellen. Als Starttermin kaeme mir der 1. Oktober entgegen. Ich besuche Sie gerne zu einem persoenlichen Gespraech. Bitte geben Sie mir zur Vereinbarung eines Termines Bescheid."

Zweifellos stehen hier ausschliesslich die Interessen des Bewerbers im Vordergrund. Der Bewerber sieht den zukuenftigen Arbeitgeber als Mittel zur Erreichung seiner Ziele. Der Marketier unter den Bewerbern verfaehrt genau umgekehrt und praesentiert sich als Loeser fuer Probleme des Einstellers. Und die entnimmt er der Stellenanzeige: geforderte fachliche Qualifikationen, auszuuebende Funktionen sowie erwartete persoenliche Eigenschaften.

Besonders paradox wirkt ein Anschreiben, das die Interessen des Bewerbers in den Vordergrund stellt, auf Vertriebsmitarbeiter. Die ganze DV-Welt predigt Kunden- und Anwenderorientierung. Ein bewerberorientiertes Anschreiben ist der beste Beweis, dass ein Vertriebsmitarbeiter das Prinzip der Kundenorientierung nicht verstanden hat.

Ein einstellerorientiertes Anschreiben auf die oben angefuehrte Stellenanzeige kann etwa wie folgt lauten:

"Sehr geehrte Damen und Herren, da ich Sie mit meinen DV- und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen unterstuetzen moechte, bewerbe ich mich auf Ihre Stellenanzeige. Sie suchen einen benutzerorientierten Entwickler fuer Ihre kaufmaennischen Informationssysteme. Waehrend meiner Semesterferien war ich mehrfach bei dem Unternehmen XY in der Anwendungsentwicklung taetig. Es handelte sich in erster Linie um kaufmaennische Anwendungen. Bei allen Projekten musste ich sehr stark benutzerorientiert vorgehen. Aufgrund meiner anwendernahen Sprache und guten betriebswirtschaftlichen Kenntnisse im Rechnungswesen, Marketing und der Produktion gab es wenig Reibungsverluste bei der Einfuehrung der Systeme in die Fachbereiche. Die Fachbereiche waren auch sehr stark in den einzelnen Projektteams vertreten. Teamarbeit bin ich daher gewohnt."

Einstellerorientierte Anschreiben greifen drei bis fuenf Schluesselanforderungen der Anzeige auf. Es kann sich hierbei um fachliche Qualifikationen, zu erfuellende Aufgaben und persoenliche Eigenschaften handeln. Diese sollte der Bewerber in seinem Anschreiben ansprechen und kurz und praegnant sagen, weshalb er die Anforderungen besonders gut erfuellt.

Diese Passage sollte das Herzstueck des Anschreibens ausmachen. Die eigenen beruflichen Wuensche werden zurueckgestellt. Das einstellerorientierte Anschreiben treffe ich in meiner Beratungspraxis erst in rund 20 Prozent aller Faelle an.

*Bernd Andersch hat in Fach- und Fuehrungsfunktionen Org./DV gearbeitet und ist heute selbstaendiger Karriere- und Unternehmensberater sowie

Management-Trainer in Detmold.