Bewerbungsstrategien in der Rezession (Teil 11) Kandidat sollte nur im Notfall auf Exotisches zurueckgreifen

03.12.1993

Jobsuchende tun gut daran, uebliche Bewerbungskonventionen einzuhalten. Wer mit Abweichungen von der Norm arbeitet, sollte dosiert vorgehen und nicht die Ungewoehnlichkeit um jeden Preis suchen. Auch gute Kandidaten koennen sich sonst nach Bernd Anderschs* Auffassung schnell uninteressant machen.

Ein Diplominformatiker bewirbt sich auf eine Stellenanzeige. Die Qualifikationen des Bewerbers sind gut: vor dem Studium eine Ausbildung und ein Jahr Berufspraxis im DV-Bereich, nach dem Studium ein 15monatiges Trainee-Programm im Ausland. Seit etwa sechs Monaten arbeitet er nun als Gruppenleiter in einer vertriebsnahen Abteilung.

Die Bewerbung wird durch ein ungewoehnliches Anschreiben eroeffnet. In der Anzeige aufgefuehrte fachliche und persoenliche Qualifikationen sowie abzudeckende Aufgaben sind als augenfaellige Gliederungspunkte links neben dem eigentlichen Text herausgezogen. Dort stehen jetzt Begriffe wie: Management-Informationssysteme, Systementwicklung, Projekt-Management, Teamarbeit, Mobilitaet, ueberzeugendes Auftreten etc. Rechts daneben findet der Leser in kurzen und praezisen Saetzen, was der Bewerber zu den einzelnen Punkten anzubieten hat. Danach folgt die abschliessende Frage: "Wann darf ich mich bei Ihnen vorstellen?"

Fuer ungewoehnlich, aber trotzdem gut halte ich die Gliederung des Anschreibens. Der Leser findet auf einen Blick die entscheidenden Qualifikationen, die der Bewerber zu den gestellten Anforderungen anbieten kann. Der abschliessende Satz stammt allerdings aus der Rhetorikkiste des Staubsaugervertreters. Drueckermethoden machen im Bewerbungsgeschehen wenig Eindruck. Der Arbeitssuchende nimmt hier in der Manier des Bevormunders dem Einsteller die Entscheidung ab, ob er ihn ueberhaupt zum Vorstellungsgespraech einladen soll.

Die Frage nach dem Wann des Vorstellungsgespraeches stellt sich zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Einsteller fragt sich lediglich, ob er ueberhaupt den Kandidaten einladen soll. Dies scheint der Bewerber hier als selbstverstaendlich zu unterstellen. Der bescheidenere und konventionelle Satz "... und wuerde mich freuen, zu einem Vorstellungsgespraech eingeladen zu werden" gefaellt mir da doch besser.

Der Lebenslauf ist in mehreren Punkten ungewoehnlich. Augenfaellig wurde gegenchronologisch geordnet. Die letzte berufliche Station ist auf der ersten Seite an erster Stelle zu finden. Dann geht es zurueck zum Trainee-Programm, zum Studium, der Taetigkeit und Ausbildung vor dem Studium, den Schulbesuchen. Auf der zweiten Seite unten schliesst der Lebenslauf mit den persoenlichen Daten ab. Weiterhin nennt der Bewerber offen den aktuellen Arbeitgeber, fuehrt zu einzelnen Projekten Investitionssummen, Rationalisierungsmassnahmen, Einsparungsbetraege und sehr viele unternehmensspezifische Details auf.

Die gegenchronologische Gliederung halte ich fuer schlichtweg schlecht. Der Einsteller muss sich einen unkonventionellen Lesestil aufzwaengen lassen und wird immer wieder Orientierungsprobleme bekommen, insbesondere dann, wenn er von Lebenslauf zu Lebenslauf verschiedener Kandidaten springt. Offensichtlich moechte sich hier ein Kandidat nicht an uebliche Wege im Bewerbungsgeschehen halten. Wenn er sich dann an die im Unternehmen allgemein akzeptierten Spielregeln genauso haelt ...!

Inhaltlich ist der Lebenslauf sehr gut, was auf die hervorragenden Qualifikationen des Kandidaten zurueckzufuehren ist. Eher anstoessig wirkt die Auffuehrung der vielen Unternehmensdetails wie Investitionssummen, erzielte Einsparungen, detaillierte Beschreibung der getroffenen Rationalisierungsmassnahmen bei genannten Produktgruppen, und das unter Angabe des derzeitigen Arbeitgebers!

Hier werden eindeutig Betriebsgeheimnisse ausgeplaudert, was keinesfalls fuer den Bewerber spricht. Da es sich zudem um einen sehr grossen Arbeitgeber handelt, schreckt der Bewerber moeglicherweise Unternehmen, die in kleineren Groessenordnungen operieren, als potentielle Einsteller ab. Der aktuelle Arbeitgeber sollte in Bewerbungen nicht genannt werden. Diskretion ist zwar laut Einstellern selbstverstaendlich, aber ...!

Auch die Tatsache, dass der Kandidat relativ kurze Zeit nach Beenden eines Trainee-Programms einen neuen Arbeitgeber sucht und dies mit fehlenden Aufstiegsmoeglichkeiten begruendet, spricht gegen ihn. Er hat sich das teure Einarbeiten "spendieren" lassen. Doch jetzt, wo es darauf ankommt, die Investition zu rechtfertigen, sucht er den Absprung. Mindestens zwei Jahre nach Absolvieren eines Trainee-Programms sollte der Mitarbeiter im Unternehmen bleiben.

Client-Server-Computing und Outsourcing sorgen fuer Wirbel bei DV- Beschaeftigten. Die Rezession tut ein uebriges. Entlassungen in einer vom Erfolg verwoehnten Branche sind nichts Ungewoehnliches mehr. Damit ist es auch fuer Bewerber schwieriger geworden als fueher, einen neuen Job zu finden. Die Serie will mit praxisorientierten Tips all denen helfen, die sich in dieser schwierigen Phase im Berufs-leben neu orientieren.

*Bernd Andersch hat in Fach- und Fuehrungsfunktionen Org./DV gearbeitet und ist heute selbstaendiger Karriere- und Unternehmensberater sowie Management-Trainer in Detmold.