Outsourcing-Trend führt zur Auslese bei Mitarbeitern

Betroffen ist vor allem das Rechenzentrums-Personal

22.05.1992

Es ist kein Geheimnis, daß viele Rechenzentren unwirtschaftlich arbeiten, daß Aufwand und RZ-interner Umsatz längst in keinem Verhältnis mehr zueinander stehen. Wird die DV ausgelagert, so kann der Kunde von der günstigeren Hardware-Auslastung des Dienstleisters sowie von dessen vorteilhaften Softwarelizenz-Bedingungen profitieren. Ein wichtiger Rationalisierungseffekt wird darüber hinaus im Personalbereich erzielt - eine Tatsache, über die Anbieter wie Kunden nur ungern reden. Tatsache ist jedoch, daß die Anwenderunternehmen diese Einsparung schon bei ihrer Outsourcing-Kalkulation einplanen. Da die Deutschen bei der Auslagerung noch relativ zurückhaltend sind, wirkt sich dieser Trend noch nicht spürbar auf den Stellenmarkt aus. Das könnte sich aber sehr schnell ändern, da auch die Dienstleistungsanbieter selbst nur begrenzt Personal aufnehmen können.

Der Betrieb eines eigenen Rechenzentrums ist ein Luxus geworden, den sich Unternehmen längst nicht mehr so selbstverständlich leisten wie noch vor wenigen Jahren. Der Outsourcing-Diskussion ist es zuzuschreiben, daß Konzerne häufiger denn je Berechnungen über die Wirtschaftlichkeit ihres Rechenzentrums anstellen. Wozu eine eigene MVS-Lizenz erwerben, wenn sich das Betriebssystem mit anderen Anwendern teilen läßt? Warum eine teure SAP-Lizenz kaufen, wenn ein Dienstleister, zum Beispiel die Heilbronner tds GmbH, mit einer einzigen Lizenz bis zu 100 Kunden bedient? Wozu einen eigenen Mainframe installieren, wenn der Dienstleister die Hardware zu wesentlich günstigeren Konditionen betreibt?

Immer mehr Anwender beantworten diese Fragen mit der Auslagerung von RZ-Leistungen. Dabei weist das Outsourcing sehr unterschiedliche Facetten auf: In manchen Fällen übernimmt der Servicepartner das Rechenzentrum, betreibt es nach entsprechender Auf- oder Umrüstung weiter und verkauft seine Dienstleistungen unter anderem an den ehemaligen Inhaber. In anderen Fällen bietet er nur Services in bestimmten Bereichen an, wobei der Kunde möglicherweise sein Rechenzentrum behält. Möglich ist aber auch, daß das RZ seine Tore schließt und der Kunde von anderer Stelle aus mit Dienstleistungen versorgt wird. Vor allem in diesen Fällen haben Teile des Personals das Nachsehen.

"Den Konsolidierungsprozeß, den man derzeit in der Branche sieht, wird es auch weiter geben", prognostiziert Frank Solbach, Geschäftsführer der Input Deutschland GmbH in Langgöns bei Gießen. Weil zu viele Rechenzentren unwirtschaftlich betrieben würden, müsse auch künftig mit Einsparungen gerechnet werden - nicht zuletzt im Personalbereich.

Nicht besonders ökonomisch arbeitete zum Beispiel das Rechenzentrum der Axel Springer Verlags AG in Hamburg. Aus diesem Grunde wurde es vor wenigen Wochen zu einem eigenständigen Unternehmen gemacht, dessen Anteilsmehrheit mit 51 Prozent die Stuttgarter Daimler-Benz-Tochtergesellschaft Debis Systemhaus GmbH hält (siehe auch CW Nr. 20 vom 15. Mai 1992, Seite 1: "Outsourcing der Springer-DV...").

Wilfried Schwetje, Org./DV-Direktor beim Axel Springer Verlag in Hamburg, sieht den Grund für diesen Deal darin, daß die Relation zwischen den laufenden RZ-Kosten und der vom Verlag wirklich benötigten Leistung nicht mehr stimmte: "Größere Rechenzentren arbeiten effizienter, und das liegt daran, daß man mit der Vergrößerung der DV-Anlagen nicht auch gleichzeitig die Mannschaft vergrößern muß."

Die 60 RZ-Mitarbeiter im Springer-Rechenzentrum haben Glück: Ihr Arbeitsplatz wird nicht dem allgemeinen Konsolidierungsprozeß bei Debis zum Opfer fallen. Im Gegenteil: Der Konzern plant, sein BS2000-Geschäft in Deutschland auf der Basis dieses Rechenzentrums zu errichten - die Rede ist vom Projekt "RZ2000". Weniger Glück haben dagegen möglicherweise Mitarbeiter in anderen deutschen Siemens-Rechenzentren, denn deren Betreibern bietet sich jetzt die interessante Alternative der DV-Auslagerung.

Der Stellenwert des eigenen Rechenzentrums hat sich geändert, seitdem Outsourcing-Anbieter die Kosten des RZ-Betriebs in die öffentliche Diskussion gebracht haben. Bisher galt das hausinterne Rechenzentrum als Tabu. Die Datenverarbeitung - und dazu zählte auch der operationale Bereich - wurde als strategisches Instrument gesehen und war unantastbar. Weil es ein Angebot von externen Dienstleistern nur in einem sehr beschränkten Maße gab, kam auch niemand auf die Idee, Teile der DV auszulagern.

Nachdem aber die Kosten immer offensichtlicher ausuferten und die Dienstleister eine echte Alternative zur hausinternen DV boten, mehrte sich auch die Kritik an der Inhouse-DV. Lange Zeit von der Geschäftsführung in Ruhe gelassen, müssen sich die RZ-Leiter jetzt die Frage gefallen lassen: Wie wirtschaftlich arbeitet das RZ? Rolf Dahlems, geschäftsführender Gesellschafter von Ward Howell in Düsseldorf, bringt zum Ausdruck, was viele denken: "Ich habe den Verdacht, daß in den internen DV-Abteilungen einiges im argen liegt und daß viele Mitarbeiter mitgeschleppt werden, die vielleicht gar nicht so notwendig sind."

Abteilungsleiter hätten Interesse daran, ihren Einfluß und ihre Macht durch die Beschäftigung möglichst vieler Mitarbeiter zu mehren. Schließlich wolle man nicht hinter dem Budget zurückbleiben, möglicherweise werde sonst im nächsten Jahr der Geldhahn zugedreht. Mit solchen Problemen hätten Dienstleister, bei denen es ausschließlich darum gehe, Gewinn zu erwirtschaften und das Kapital zu verzinsen, nicht zu kämpfen.

Obwohl die Bilanz großer DV-Serviceunternehmen in Deutschland bisher alles andere als berauschend ist, nehmen Marktbeobachter den Outsourcing-Trend und damit auch seine personellen Auswirkungen sehr ernst. Input-Geschäftsführer Solbach hegt keinen Zweifel daran, daß sich dieser in den USA und in England wesentlich weiter fortgeschrittene Trend auch auf den bundesdeutschen DV-Arbeitsmarkt auswirken wird. In der Branche sei bei größeren Outsourcing-Kontrakten oft die Rede von einer 100prozentigen Übernahme des Personals durch den Dienstleister. "Das ist aber nicht so", wagt der Analyst anzuzweifeln.

In vielen Fällen zeige der Anbieter Kostenrechnungen auf, mit denen er seinem Kunden signalisiere: "Entweder wir bauen Personal ab, oder der Vertrag kann nicht zustande kommen." In der Umstellungsphase, in den sechs bis zwölf Monaten also, in denen der Dienstleister das Rechenzentrum übernehme, werde das Know-how der Mitarbeiter oft noch benötigt. Danach würden viele DV-Fachkräfte - zumindest im Idealfall - an anderer Stelle eingesetzt. "Effektiv ist es aber so, daß auch Leute gehen werden", betont Solbach.

Gegangen sind beispielsweise Angestellte der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) in Ottobrunn bei München. Mit der Auslagerung des inzwischen stillgelegten Rechenzentrums konnten zwar insgesamt 50 Mitarbeiter zum Servicepartner Debis wechseln, doch einige Mitarbeiter aus dem Operating-Sektor mußten - mit einer entsprechenden Abfindung in der Tasche - den Hut nehmen. "Meistens hatten die RZ-Operatoren keine ausreichende Qualifikation auf dem IT-Sektor und waren auch nicht mehr umzuschulen". erläutert Peter Ebeling, Leiter des Unternehmensbereiches Informationstechnik bei der IABG.

Ebeling ist froh, daß ein Großteil der Mitarbeiter zum Debis-Konzern wechseln konnte - auch bei der Daimler-Tochtergesellschaft sei im Zuge der Konzentrationsbestrebungen der Bedarf an RZ-Personal gesunken. "Ich weiß nicht, wie Debis das Problem löst, die stehen jetzt nämlich vor der Aufgabe, daß sie zunehmend straffen müssen."

Vor allem Aufgaben des RZ-Betriebs, also Operating, Systemprogrammierung und Arbeitsnachbereitung, sind vom Outsourcing-Trend betroffen. Diese Problem umschreibt Ragnar Nilsson, Direktor Organisations- und Informationstechnik bei der Klöckner-Humboldt-Deutz AG in Köln: "Wenn sich zwei Unternehmen zusammentun und ein gemeinsames RZ bilden, wird automatisch Personal gespart." Nur weil der Maschinensaal möglicherweise um einen Rechner erweitert werde, müsse das Operator-Personal keineswegs verdoppelt werden.

Zwar werben die Serviceunternehmen nicht offen mit dem Argument der Personaleinsparung, aber die Kunden kalkulieren fest mit Kürzungen im Personalbudget. Nilsson rechnet damit, daß sich auf diese Weise zwischen 20 und 40 Prozent des RZ-Personals einsparen lassen. "Hierbei wird es eine Auslese geben, wobei sich die guten qualifizierten Mitarbeiter sicher keine Sorgen machen müssen", ergänzt Dahlems. Die Auslagerung der DV. beschleunige so den Sparkurs, den die DV-Abteilungen oder Rechenzentren sowieso einschlagen müßten.

Klar umrissene Aufgabengebiete, Spezialisierung und Konzentration auf Standardsoftware prägen die Arbeit beim Outsourcer. Der Alleskönner in den kleineren Unternehmen der sich auf das Erstellen von Individualsoftware nach den Vorlieben der einzelnen Fachabteilungen konzentrierte, wird sich hier radikal umstellen müssen Noch schlechter sind die Aussichten für das weniger qualifizierte RZ-Personal, da die Rationalisierungseffekte gerade bei den Routinearbeiten auftreten.

Input-Analyst Solbach schlägt in dieselbe Kerbe: "Die Personaleinsparungen treffen vor allem das Low-level-Personal, also die Operatoren." Haben diese Mitarbeiter keine Zusatzqualifikationen, so stehen ihre Chancen schlecht. Im Anwenderunternehmen fallen ihre Aufgaben weg, beim Outsourcer können sie längerfristig nicht alle unterkommen.

Auch viele DV oder RZ-Leiter betrachten Auslagerungstendenzen teils interessiert, teils mit Unbehagen - und das nicht zu Unrecht: "Es gibt Fälle, bei denen die DV-Mitarbeiter durch Outsourcing ihre Funktion verloren, zu Ausführungsgehilfen und damit praktisch überflüssig wurden", berichtet Wolfgang Tautz, Personalberater bei Kienbaum & Partner in München.

Die DV-Leiter der ersten Stunde, die in die Datenverarbeitung hineinwuchsen - meist ohne ein Studium absolviert zu haben -, sind den neuen Aufgaben des Outsourcing kaum gewachsen. So entwickelt die DV-Kerngruppe, die beim Anwenderunternehmen zurückbleibt, die Strategie des Informations-Managements und bildet zugleich die Schnittstelle zum Dienstleistungsunternehmen.

Oft scheuen die Mitarbeiter der größeren Konzerne den Wechsel zum Dienstleister. "Sie fürchten, ihre guten Sozialleistungen, geregelte Arbeitszeiten sowie den gesicherten Bürokratismus zu verlieren", meint Manfred Lang, Geschäftsbereichsleiter der Diebold Deutschland GmbH. Die Outsourcer seien dagegen meist kleinere, dynamischere Unternehmen. Ein Großteil stelle allerdings nach dem Wechsel des Arbeitgebers fest, daß diese Kultur besser in die heutige Landschaft passe. "Zudem wirkt es motivierend, nicht mehr intern als ungeliebter Kostenblock zu agieren."

Einige der DV-Chefs nehmen die Outsourcing-Aktion zum Anlaß, sich auf das Altenteil zurückzuziehen. "Viele sind aber auch so abgeklärt, daß sie die Attraktivität ihrer verbleiben den strategischen Aufgaben höher einschätzen als die frühere Machtposition, die nur auf einer großen Abteilung beruhte, urteilt Lang.

Für die höher qualifizierten Mitarbeiter kann sich der Wechsel zum Dienstleister durchaus positiv auswirken. Sie haben bei einem Unternehmen, das sich nur mit DV beschäftigt, in der Regel bessere Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Auch in fachlichen Belangen ist die Chance, beim Vorgesetzten ein offenes Ohr zu finden, normalerweise größer. "Die DV-Mitarbeiter fühlen sich beim Outsourcer oft besser untergebracht als beim Anwenderunternehmen, wo sie nicht selten kleinlichen Zwängen unterworfen sind", erklärt Werner Dostal, wissenschaftlicher Direktor beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit.

Plant ein Unternehmen Outsourcing, so ergeben sich für die Mitarbeiter zunächst zwei Alternativen. Sie können zum Dienstleister wechseln oder im alten Unternehmen bleiben. Rechtlich ist dieser Vorgang in der Bundesrepublik folgendermaßen geregelt: Outsourcing ist als Übergang eines Betriebsteils definiert, der gemäß ° 613a des BGB zur Folge hat, daß die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter automatisch an den Outsourcer gehen. Die Mitarbeiter haben allerdings die Möglichkeit, dem Übergang zu widersprechen und bei ihrem alten Arbeitgeber zu bleiben. Gehen sie zum Dienstleister, muß eine vergleichbare Tätigkeit und Vergütung sichergestellt sein.

Trotz dieser rechtlichen Regelung wirft die DV-Auslagerung in der praktischen Durchführung immer noch viele Probleme auf. So wollen die hochqualifizierten Mitarbeiter oft zum Serviceanbieter wechseln, werden aber auch von ihrem Unternehmen noch gebraucht. Auch die garantierte vergleichbare Tätigkeit führt offenkundig zu Problemen. So berichtet der Londoner Informationsdienst "Computergram", daß in den USA elf ehemalige Kodak-Angestellte mit ihrem Wechsel zu dem Outsourcer DEC so unzufrieden waren, daß sie jetzt den alten und neuen Arbeitgeber auf jeweils fünf Millionen Dollar Schadensersatz verklagen. Sie werfen Kodak vor, sie zum Arbeitgeberwechsel gezwungen zu haben. Außerdem sei die Zusage nicht eingehalten worden, übernommene Mitarbeiter könnten bei DEC dieselbe Position einnehmen wie bei Kodak. In der Bundesrepublik, wo sich im Gegensatz zu den USA mit Outsourcing erst ein relativ kleiner Teil der Unternehmen beschäftigt, gab es bislang keine vergleichbaren aufsehenerregende Streitfälle. Dies könnte sich allerdings in dem Maße ändern, wie die Auslagerungstendenz zunimmt.

Aber auch jenseits der arbeitsrechtlichen Bestimmungen tauchen Schwierigkeiten auf. "Die Probleme sind oft weniger rechtlicher als psychologischer Natur. Besonders Mitarbeiter mit langer Betriebszugehörigkeit können den Übergang zum Outsourcer als erhebliches Risiko ansehen, selbst wenn sie dadurch wirtschaftlich nicht schlechter gestellt werden dürfen", meint Klaus Sommerlad Rechtsanwalt bei der Kanzlei Pünder, Volhard, Weber & Axster in Frankfurt.

Durch Outsourcing-Pläne mißgestimmte Mitarbeiter, die nicht zum Dienstleister wechseln wollen, verlassen bislang meist freiwillig das Unternehmen, obwohl ihnen in der Regel das Recht auf Weiterbeschäftigung zustehe So berichtet die IABG vom Abgang einiger Mitarbeiter im Zuge der DV-Auslagerung, und auch tds-Mitarbeiter Thiele erkennt in diesem Zusammenhang einen "natürlichen Schwund". Tautz von Kienbaum & Partner sieht ebenfalls diese Tendenz: "Im Prinzip sind die Betroffenen so frustriert, daß sie irgendwann von sich aus kündigen."

Bis jetzt haben die höher Qualifizierten kaum Probleme, eine adäquate Position zu finden. Dies könnte sich aber ändern, wenn vermehrt im DV-Bereich rationalisiert wird und Outsourcing in Deutschland einen ähnlichen Stellenwert bekommt wie in den USA. Auch die Anbieter werden, so der Geschäftsführer der r & p Management Consulting Stefan Rohr, an den Rand ihrer Kapazität kommen: "Auf Dauer können es sich die Dienstleister nicht erlauben, alle Mitarbeiter des Kunden zu übernehmen."