Ideale Systemsoftware für Büroautomation läßt noch auf sich warten, Teil 1:

Betriebssystemen mangelt es am Zielwasser

29.03.1985

MÜNCHEN(CW) - Unix wurde häufig als potentielles Betriebssystem für Büroautomationssysteme der Zukunft bezeichnet. Vorteile wie Übertragbarkeit, Kommunikationsmöglichkeiten und Multitaskingfunktionen müssen jedoch gegen die Nachteile von Unix, einschließlich der schwierigen Schnittstelle, abgewogen werden.

Ehe man jedoch das Für und Wider Integrierte Büroautomatisierung von Unix im Umfeld der Büroautomatisierung exakt beurteilen kann, müssen einige Grundlagen geklärt werden. Die Frage stellt sich, welche Merkmale ein modernes Bürosystem haben soll und welche Anforderungen ein solches System an das Betriebssystem stellen wird.

Heute werden zwei unterschiedliche Softwareklassen für Büroanwendungen eingesetzt: Integrierte Kleinrechnersoftware und integrierte Büroautomatisierungssysteme. Obwohl beide Softwaretypen als integriert bezeichnet werden, fehlen ihnen jeweils die wichtigen Integrationsmöglichkeiten des anderen Typs.

Integrierte Mikrosoftware hat Pionierfunktionen für analytische professionelle Anwendungen wie Kalkulationsblätter und Grafik erbracht. Seit einiger Zeit ist auch qualitativ hochwertige Textverarbeitungssoftware für Arbeitsplatzcomputer erhältlich. Außerdem wurden die

Benutzerschnittstellen zu diesen Anwendungen in den besseren Systemen relativ gut integriert.

Mikrocomputern fehlen jedoch meist die Möglichkeiten einer echten Kommunikation, da diese Geräte ursprünglich für den einzelnen Benutzer ausgelegt waren. Ein heraus ragendes Beispiel für diese Situation ist das nicht für Multitasking gecignete Betriebssystem MS-DOS von Microsoft.

Eine gewisse Form des Multitasking ist für die Überwachung eines lokalen Netzes jedoch eine unabdingbare Forderung, um die gleich zeitige Anwendungsverarbeitung zu ermöglichen. Aus diesem Grund bietet integrierte Software für Mikros typischerweise keine Anwendungslösungen, bei denen die Vorteile der Kommunikation genutzt werden. Die Grundannahme fast der gesamten Mikrosoftware heißt "Jeder sitzt auf einer Insel, so eine Analyse der Computerworld; mit anderen Worten: Jeder Benutzer arbeitet für sich allein mit eigenen Daten.

Untersuchungen mit Büroangestellten haben jedoch gezeigt, daß insbesondere Manager den größten Teil ihrer Zeit mit Kommunikation, Koordination und "Teamarbeit" zubringen. Microcomputer müssen daher in die fundamentalen Kommunikationssysteme im Büro integriert werden können.

Integrierte Büroautomatisierungssysteme - die andere Klasse der Anwendungssoftware für das Büro - bieten ausgezeichnete Kommunikationslösungen. Diese Software ist meist aus einer Kombination traditioneller Textverarbeitungssoftware mit der herkömmlichen Dialogtechnik von Minicomputern entstanden.

Hierbei wurde ein Textverarbeitungsprogramm als Basis um elektronische Post- und Meldungsanwendungen, gemeinsame Gruppen-Nutzung von Informationen, gemeinsame Betriebsmittel und Kalenderfunktionen sowie gemeinsame Verwaltungsunterstützung ergänzt. Die Mehrbenutzer-Multitasking-Funktionen typischer Minicomputerbetriebssysteme bilden die Grundlage für all diese Möglichkeiten. Auch hier gilt, daß die Benutzerschnittstelle bei den besseren Systemen gut in die Anwendungen integriert ist.

In den Bereichen analytische Unterstützung und Benutzerschnittstellen-Technologie konnte diese Softwareklasse jedoch mit der integrierten Mikrocomputersoftware nicht Schritt halten. Die Kalkulationsblätter sind meist weniger leistungsfähig als in den Programmen unabhängiger Softwareanbieter für Kleinrechner und die Grafikfunktionen sind mit den übrigen Anwendungen häufig schlecht integriert.

Ein letzter Punkt ist die Tatsache daß ein Großteil dieser Büroautomatisierungssoftware die Möglichkeiten der dezentralen Verarbeitung auf Arbeitsplätzen oder Mikros nicht effizient und flexibel nutzt. Häufig muß ein gemeinsam genutzter Minicomputer als zentraler Kern dienen - ein Aufbau, der noch aus der Timesharing-Zeit des Dialog-Computerbetriebs stammt.

Sowohl Mikro- als auch Büroautomatisierungssoftware erfüllt wichtige Bedürfnisse im Büro. Jede dieser Softwareklassen hat da Stärken, wo die andere Schwächen aufweist, jede ist da integriert, wo es der anderen an lntegration mangelt.

Ein Bürosystem der nächsten Generation sollte die Stärken beider Softwareklassen vereinen - die analytischen Problemlösungsfunktionen von Mikrosoftware mit den Vorteilen der gemeinsamen Informationsnutzung und Kommunikation von Büroautomatisierungssoftware.

Es ergibt sich die Frage, welche Betriebssystemalternativen zur Verfügung stehen, auf deren Grundlage ein solches Bürosystem entstehen könnte.

Betriebssysteme lassen sich in zwei Kategorien einteilen - patentrechtlich geschützte, firmenspezifische Betriebssysteme und lizenzierte, übertragbare Betriebssysteme. Die Betriebssysteme der ersten Kategorie laufen nur auf den Geräten eines bestimmten Herstellers, was entweder auf die Auslegung (beispielsweise in Assembler geschrieben) oder auf die Geschäftspolitik des Systemherstellers (VMS auf den VAX-Systemen von Digital Equipment) zurückzuführen ist.

Im Gegensatz dazu werden die übertragenen Betriebssysteme von ihren Eigentümern auf vielfältige Weise allgemein zur Verfügung gestellt. Wie im Falle von Unix wird dies dadurch erleichtert, daß sie durchweg in einer höheren Programmiersprache geschrieben sind. Auch MS-DOS und CP/M sind Beispiele für übertragbare Betriebssysteme.

Vom technischen Standpunkt her könnten viele der gerätespezifischen Betriebssysteme eine fundierte Grundlage für ein fortgeschrittenes Bürosystem liefern.

Obwohl alle Betriebssysteme einen technischen Kompromiß darstellen und keines absolut optimal für die Büroautomatisierung ist, sind auch viele der bekannten Minicomputerbetriebssysteme als technische Grundlage durchaus angemessen, so beispielsweise VMS oder AOS/VS. Solche Systeme bieten die gewünschten Mehrbenutzer- und Multitasking-Funktionen. Sie können Zeichen für Zeichen auf Terminal-Ein-/Ausgaben reagieren und eignen sich auch für die einfache Erstellung von Prozessen sowie den gleichberechtigten Netzbetrieb. All dies gilt auch für Unix. In vielen Fällen liegt der technische Nachteil von firmenspezifischen Betriebssystemen darin, daß sie zu umfangreich sind, um auf preiswerten Systemen auf Mikroprozessorbasis laufen zu können.

Andere spezifische Betriebssysteme schaffen technische Hindernisse für Anwendungen der Büroautomatisierung. In diese Kategorie fallen typische Mainframe-Betriebssysteme wie DOS/VSE und MVS. Wegen ihres Ursprungs in der Stapelverarbeitung ist die Einrichtung von Prozessen in bezug auf die Computerressourcen zu aufwendig. Außerdem erfolgt die Terminal-Ein-/Ausgabe im Blockmodus, was sich an der Transaktionsverarbeitung orientiert. Durch die erstgenannte Einschränkung ist es unmöglich, einem Benutzer mehrere Prozesse zuzuweisen, was zur Handhabung von Dokumenten mit Grafik, Text und Sprache beispielsweise wünschenswert ist. Wegen der blockorientierten Ein-/Ausgabe werden visuelle Büroanwendungen wie Textverarbeitung äußerst schwierig zu realisieren sein.

Abgesehen von den technischen Vor- und Nachteilen besteht der auffälligste Mangel aller unternehmensspezifischen Betriebssysteme jedoch darin, daß sie definitionsgemäß auf einen bestimmten Hersteller oder Gerätetyp beschränkt sind.

Durch die weitverbreitete Nutzung übertragbarer Betriebssysteme kann der Benutzer bei der Büroautomatisierung jedoch entscheidende Vorteile erzielen.

Das Fehlen eines Bürosystems, das auf vielen Geräten wie dem IBM PC einem VAX-Mainframe oder IBM-4300-Systemen eingesetzt werden kann, bildet heute ein großes Problem. Diese Situation hat zu Versuchen geführt, die unterschiedlichen Bürosysteme mit den verschiedensten Dokument-Formatkonvertern zu verbinden. Bestenfalls erzielt man so eine schwache Integration, die diejenigen

Kommunikationsmöglichkeiten deutlich verringert, für die Bürosysteme angeschafft wurden.

Im Gegensatz dazu schafft der Einsatz eines übertragbaren Betriebssystems eine gemeinsame Grundlage, auf der ein "verringertes" Büroautomatisierungssystem existieren kann. Ohne diese gemeinsame Grundlage ist die Aufgabe, ein Bürosystem für die verschiedenen spezifischen Betriebssysteme zu schaffen, fast unlösbar. Bei einem übertragbaren Betriebssystem kann man unter einer Vielzahl von Hardwareherstellern wählen, gleichzeitig aber mit nur einem Betriebssystem und Bürosystem arbeiten.

Ein gemeinsames Betriebssystem für einen großen Bereich von Bürohardware stellt eine interessante und große Marktbasis für die Anwendungssoftware dar. Diese wiederum stimuliert die Entwicklung durch unabhängige Softwarehäuser, was für den Endbenutzer mehr Auswahl und höhere Qualität der Software bedeutet. Ein Beispiel für diesen Trend ist die geradezu im Überfluß erhältliche Software für das Betriebssystem MS-DOS, nachdem sich dieses zum Standard für 16-Bit-Mikrocomputer entwickelt hat.

Mit einem Standardbetriebssystem und einem daran (und nicht an die Hardware) gekoppelten Büroautomatisierungssystem kann der Benutzer zwischen der Hardware von vielen Anbietern frei wählen. Dies bewirkt eine Senkung der Hardwarepreise selbst für solche Leute, die grundsätzlich nur Produkte eines oder zweier Hersteller kaufen.

Die inhärenten Vorteile übertragbarer Betriebssysteme würden jedoch nicht ausreichen, den Wunsch vieler Hardwarehersteller zu überwinden, ihr eigenes Operating System zu fördern. Hierzu bedarf es des zusätzlichen Drucks der hohen Stückzahlen hochleistungsfähiger Mikroprozessoren.

Die heute erhältlichen Chips, beispielsweise die Intel-Serie 80286 und die Motorola-Serie 68000, bieten für geringe und mittlere Verarbeitungslasten eine Wirtschaftlichkeit, die mit den vergleichsweise geringen Stückzahlen spezifischer Computerarchitekturen nicht zu erreichen ist. Und diese Chips wurden in der Industrie meist ohne eigene Betriebssysteme eingeführt.

Aus dieser Situation heraus haben sich viele Hersteller bemüht, die Möglichkeiten dieser Chips in übertragbaren Betriebssystemen wie MS-DOS und Unix in möglichst großem Maße zu nutzen. wird fortgesetzt