Betriebsdatenerfassung wird zur Meßsonde für Non-Profit-Zonen:Mit der Wünschelrute gegen Verlustquellen

02.05.1986

MÜNCHEN (CW) - Niemand investiert gern nur aus Spaß 100 000- Mark-Beträge in ein Betriebsdatenerfassungssystem (BDE). Wer in diese Form der technischen EDV für die Produktionsdatenerfassung Geld steckt, möchte davon sobald wie möglich Nutzen haben: Es muß sich schon in Mark und Pfennig auszahlen. Bei Schlossnickel in Renningen hat es geklappt.

Die 190 000 Mark, die Bernd Schlossnickel in eine technische EDV mit Einfach-Betriebsdatenerfassung für seine Formdreherei investiert hat, tragen schon im zweiten Jahr Früchte: in Mark und Pfennig, in mehr "Durchblick" und in einem entspannteren Management.

Der agile Unternehmer versteht sich und seine frühere Arbeitsweise heute selbst nicht mehr, wenn er nur zwei Jahre zurückblickt: "Die Angebotskalkulation habe ich am Wochenende zu Hause gemacht, für jedes Teil neu gerechnet und dabei überhaupt nicht gewußt, ob die Zahlen, die ich für die Maschinenauslastung, für Werkzeugwechsel, Material und Rustzeiten eingesetzt habe, auch das richtige Fundament waren."

Schwammig war auch die monatliche Chefbilanz, die regelmäßig auf Bernd Schlossnickels Schreibtisch lag: Waren die Zahlen schlecht, wie im "Krisenjahr 1981", oder nicht gut genug, ging die mühevolle Suche nach Sündenböcken und Schwachstellen los. Bestenfalls war noch zu ermitteln, ob die Non-Profit-Zentren in der Fertigung, im Personalwesen, in der Materialwirtschaft oder im Einkauf lagen. Das ganze war aber eher Schätzung und Vermutung, als Klarheit und Wahrheit.

Damals auf gewinnbringende Lösungen mittels EDV angesprochen,

reagierte Bernd Schlossnickel mit den üblichen Vorbehalten einer kleineren Firma:"EDV - doch nicht für uns!"

Mit einem eher privaten Zusammentreffen mit einem unternehmerischen Newcomer aus dem Bereich der technischen EDV in Stuttgart begann der Wandel des Bernd Schlossnickel von der EDV-Abstinenz zum heutigen EDV-Fan. Er verstand, daß BDE nicht nur Geld kosten muß, sondern auch Gewinn bringen kann, wenn man nicht gerade an die überperfekten Systeme der Großanbieter denkt, in kleineren Schritten vorgeht, auch selbst aktiv wird und individuelle Lösungen sucht.

Schlossnickel und sein Berater gingen daran, gemeinsam ein maßgeschneidertes BDE-System zu erarbeiten.

Bis heute weiß der Unternehmer immer noch nicht genau, was ihn die Installation des Grundsystems mit seinen "Satelliten" an Zeit und Engagement gekostet hat. Was er in Mark und Pfennig ausgegeben hat, ist ihm allerdings klar: Etwa 190 000 Mark hat er in zwei Jahren für Hard und Software hinlegen müssen. Die reine BDE-Komponente hat davon einen 65000-Mark-Anteil. Vergleichbare BDE-Systeme können bis zu 250 000 Mark kosten.

Sichtbarer Niederschlag im Betrieb: sechs Terminals, verteilt auf Chefbüro, Arbeitsvorbereitung, Fertigungsleitstand und Verwaltung; fünf Drucker und 35 Datenerfassungsgeräte (Meldeeinheiten), an jeder Produktionsmaschine eines; als elektronische Seele ein 8-Bit-Rechner mit 1,6-MB-Floppystationen, einer 70-MB-Festplatte und eine Bandstation zur Datensicherung mit 24 MB (Streamer Tape). Die unterschiedliche Herkunft der Hardware (NEC-Drucker, Tandberg und QumeTerminals, Triumph-Adler-Schreibmaschinen mit Interface) sowie das Rechnerbetriebssystem "Oasis" mit Multiuser- und Multitaskingfähigkeit soll" Herstellerunabhängigkeit zum Kundenvorteil" bringen.

Dazu kommt ein Rechner für die eigentliche, engere Betriebsdatenerfassung, der per Datenleitung mit jedem der sechstastigen Betriebsdatenerfassungsgeräte verbunden ist.

Unsichtbare Installationen sind die sieben Softwarepakete, die nach und nach im Rechner eingepflanzt. wurden und den eigentlichen BDE-Kern umrahmen und ergänzen: als erstes und als "Einstiegsdroge" das Vorkalkulationspaket, das damals den EDV-enthaltsamen Bernd Schlossnickel am meisten reizte. Die weiteren Pakete verarbeiten heute den Einkauf, Lagerverwaltung und Materialwesen, die Auftragsabwicklungen und vertrauliche Chef-Infos. Die CNC-Programmverwaltung im DNC-Betrieb erfolgt über moderne Lichtleiter. Alles ist miteinander verknüpft und vernetzt und um die eigentliche Betriebsdatenerfassung heraus aufgebaut und angesiedelt.

Das Gesamtsystem im Hause Schlossnickel erfolgt jetzt für die Finanzbuchhaltung mit Lohn- und Gehaltsabrechnung (früher außer Haus), heute intern in eigener Regie erledigt. Jedes der Buntmetalldrehteile, zu 99 Prozent aus Messinghalbzeug, wird nach tatsächlichen Daten des letzten Auftrags kalkuliert. Das Auftragswesen wird so verwaltet, daß Auftragsbestätigung, Lieferschein und Rechnungen EDV-erstellt, Materialdisposition und Lager optimiert, Maschinenauslastung und Stillstandseiten mit Störungsursache angegeben und für die ersten CNC-Maschinen im Betrieb auch noch die Maschinenprogramme im DNC-Betrieb modifiziert und verwaltet werden. Und der Jungmanager Schlossnickel bekommt jeden Monat exakte, verläßliche Chefinformationen auf den Bildschirm.

Natürlich werden sämtliche Daten nicht nur zum Monats-Ultimo aufbereitet und geliefert, sondern stehen im 3-Sekunden-Takt aktualisiert auf honigfarbenen Bildschirmen jederzeit zur Verfügung.

Natürlich kommen die Daten für die Fütterung des BDE-Systems nicht von selber: An jedem der Drehautomaten ist ein Erfassungsgerät installiert, das über sechs verschiedene Tasten den Betriebszustand angibt: Produktion, Werkzeugwechsel, Störung durch Materialmangel, Rüstzeiten, Arbeitsbeginn, Arbeitsende, Arbeitspause, Auftragsende. Die Notwendigkeit zum Stangenwechsel wird dem Maschinenbediener durch ein optisches Signal angezeigt und ohne sein Zutun erfaßt.

Die von dem Beratungsunternehmen selbst entwickelten und selbst

gebauten BDE-Erfassungsgeräte sind in den Störgründen erweiterbar und können, wenn die Maschine dazu fähig ist, auch Informationen wie beispielsweise Stückzahlen automatisch aufnehmen. Um alle Meldegeräte anschließen zu können, war in der Fertigungshalle eine aufwendige Installation für die Datenleitungen notwendig: Fast 20 000 Mark hat es gekostet, die Leitungen und die Erfassungskästchen an jede Maschine zu bringen und mit dem eigentlichen BDE-Rechner zu verbinden - hohe Kosten, vor allem, weil die Installation in "produktionsfreien Zeiten" gemacht wurde, um noch teurere Ausfallzeiten zu vermeiden.

Um Kosten und Aufwand nicht ins Kraut schießen zu lassen, wurden die Termin- und Kapazitätsplanung und die Auftragsverfolgung noch nicht mit ins System aufgenommen, sondern finden, in guter alter Tradition, auf einer Plantafel statt.

Finanzbuchhaltung jetzt vor Ort

Das hat für Bernd Schlossnickel den klaren Vorteil, wirklich alles, vom Stand der Produktion über Termine bis zur Auslastung mit einem Blick optisch erfassen und überblicken zu können; etwas, das in dieser Komplexität nie auf einem einzigen Bildschirm Platz finden könnte. Für den Betrieb ist diese Plantafel auch deswegen ein unerläßliches Planungsmittel, weil es die althergebrachten, allzu menschlichen Eingriffe doch noch möglich macht: So mancher Auftrag kommt nämlich, ad hoc, nur dadurch ins Haus, daß auch "unmögliche" Wunschtermine doch noch garantiert werden können.

Erreicht ein eingeplanter Auftrag aber einmal die aktuelle Null-Linie auf dieser Tafel, dann gibt es kein Halten mehr: Der Maschineneinsteller holt sich die bereitgestellten Papiere im Fertigungsleitstand ab: Auftragszettel, Zeichnung und Einrichtplan. Er ruft sich auch auf dem BDE-Terminal neben der Plantafel die Bildschirmmaske für die Fertigung auf. Mit wenigen Tastendrucken gibt er die Auftragsdaten ein und kündigt dem System an, daß er gleich ans Abarbeiten des Auftrags geht. Nach Umrüsten und Einstellen seiner Maschine genügt dann der Tastendruck "Produktion", um zu übermitteln, daß an diesem Auftrag gearbeitet wird. Jeder Maschineneinsteller ist auf diese Weise für sieben Drehautomaten verantwortlich. Die Mitarbeiter an den Maschinen haben übrigens die minimale Zusatzarbeit, die aus der Eingabe der Kundennummer, wenigen anderen Daten und aus dem Knopfdruck vor und nach Produktionsbeginn besteht, ohne Widerstand angenommen. Auch für sie hat es Vorteile gebracht, daß aus der provisorischen Auftragsfolge ein ordentlicher Ablauf geworden ist.

Wo liegen nun, außer der besseren Übersichtlichkeit, die Sparquellen, die das EDV-System im Unternehmen erschlossen hat? Bernd Schlossnickel hält damit nicht hinter dem Berg: Einmal sind es Personalkosten für einen Mitarbeiter, der sonst zusätzlich für den Organisationsaufwand insgesamt notwendig wäre: etwa 60 000 Mark im Jahr. Dann entfallen jetzt die Kosten für die bisherige, externe Finanzbuchhaltung durch die Datev; eine Arbeit, die vom installierten Rechner eigentlich so nebenher miterledigt wird. Dann ist es die drastische Reduzierung des teuren Lagerbestandes an Buntmetall (Messing) mit seinen börsenmäßig schwankenden Preisen: Wo früher 80 bis 90 Tonnen lagerten, liegen jetzt nur noch 50 bis 60 Tonnen des teuren Halbzeuges.

Eliminierung von Verlustaufträgen

Vor allem aber ist es die konsequente Eliminierung von Verlustaufträgen, die das Schlossnickel-System zum Erfolg gemacht hat: Heute ergibt eine Nachkalkulation auf Basis der aktuellen, ermittelten Maschinendaten, was der Auftrag tatsächlich gekostet hat und ob das gleiche Teil beim nächsten Mal gar nicht mehr oder zu einem gewinnversprechenden Preis angeboten und hereingenommen werden soll. Auch der Auslastungsgrad jeder Maschine wird, kommagenau, angeboten und läßt sich mit Vormonatszahlen vergleichen. Ausreißer, Fehler und Schwachstellen fallen auf.

Bernd Schlossnickel hat sich dazu ein perfektes Kalkulationsblatt im System einrichten lassen: Es enthält den börsenabhängigen Materialpreis, Losgröße, Späneanteil, die Werte für Rüstzeiten und Auslastungsgrad und eine Fülle weiterer Daten, die ihm Entscheidungshilfe für seine Preisgestaltung beim Folgeauftrag sind. So wird jeder Nachkalkulationsbogen sozusagen Vorkalkulationsbogen für den nächsten Auftrag. Nach Eingabe von wenigen Grunddaten liegen eindeutige Fakten für eine Entscheidung vor: Können die Formdrehteile (4000 verschiedene pro Jahr und zu 90 Prozent Wiederholteile) zum alten Preis produziert und angeboten werden? Soll mit Eilaufschlag angeboten oder lieber gar nicht hergestellt, als mit Verlust produziert werden? Früher konnte es passieren, daß an einer Maschine zwar eifrig produziert wurde, der Auftrag selber aber nur Verluste einfuhr. Und es kam vor, daß sich neun Maschinen schwer täten die Verlustproduktion der zehnten wieder auszugleichen.

Heute ist aus einer früheren Vermutung Klarheit geworden: Die systematische Nachkalkulation hat ergeben, daß bei fast 30 Prozent der Drehteile zumindest die Gewinnspanne zu gering war. Sie mußten im Preis angehoben werden.