Betreiber fordern von Bonn mehr Rechtssicherheit Bayerns Polizei fahndet nach Mailbox-Suendern

07.07.1995

CW-Bericht Juergen Hill

MUENCHEN - Die bayerische Staatsanwaltschaft und die Polizei machen zur Zeit Jagd auf Mailbox-Betreiber, die in ihren elektronischen Info-Boersen pornographische Bilder zum Abruf bereithalten. Die Massnahmen, die ihren Hoehepunkt in der Konfiskation mehrerer Rechner fanden, gelten in Insiderkreisen als voellig ueberzogen: Auf CD-ROM und im Internet sind weit anruechigere Materialien legal zu beziehen.

Mit der geballten Staatsmacht sah sich beispielsweise das Muenchner Ingenieurbuero Eckmar Eckel konfrontiert. Beamte der Arbeitsgemeinschaft EDV im Polizeipraesidium Muenchen beschlagnahmten das komplette DV-Equipment des selbstaendigen Software-Entwicklers. Die Begruendung: Eckel stehe unter dem Verdacht, gegen n 184 des Strafgesetzbuches verstossen zu haben. Dieser regelt beziehungsweise sanktioniert die Weitergabe pornographischen Materials aller Art. Die anfangs nur auf Antrag taetigen Beamten waehlen sich mittlerweile auch ohne Verdachtsmomente in Mailboxen ein und suchen nach straftatsrelevanten Files. Im Visier haben die Fahnder neben pornographischen Dateien auch Raubkopien oder Texte der extremistischen oder radikalen Szenen.

Eckel hatte den Fehler begangen, auf einem seiner Rechner fuer eine geschlossene Benutzergruppe die heiss begehrten Bilder im GIF- oder MPEG-Format zum Abruf via Modem bereitzuhalten. Dabei war der Sysop, wie die Mailbox-Betreiber im Szenejargon heissen, dem gefaehrlichen Trugschluss aufgesessen, dass es, um nicht mit n 184 in Konflikt zu kommen, ausreiche, wenn er die Benutzer persoenlich kenne.

Doch diese Absicherung genuegt laut Karl Heinz Moewes, Kriminalhauptkommissar und Leiter der Muenchner Arbeitsgemeinschaft, nicht, da ein Betreiber kaum gewaehrleisten koenne, dass er alle Benutzer persoenlich kenne. Zudem koenne ein Sysop nicht ausschliessen, dass ein Minderjaehriger in den Besitz des Passwortes komme und sich so Zugang verschaffe. Auch die frueher bei Mailbox-Betreibern uebliche Methode, sich via Ausweiskopie vom Alter der User zu ueberzeugen, reicht nach Auskunft des Polizeibeamten nicht aus.

Der auf DV-Fragen spezialisierte Muenchner Rechtsanwalt Christian Czirnich hat fuer Mailbox-Betreiber nur einen Ratschlag parat: Haende weg von den umstrittenen Bildern, denn was auf internationalen Festplatten im Internet oder anderen Netzen fuer den Zugriff via Modem gespeichert ist, muss hierzulande noch lange nicht erlaubt sein.

"Hier gilt das Tatortprinzip", so Czirnich, "wenn eine Mailbox entsprechende Bilder in Deutschland anbietet, kann ein Verstoss gegen n 184 vorliegen."

Dass der damit eingehandelte Aerger schnell existenzbedrohend werden kann, musste Eckel erfahren. Neben der sogenannten "Lustbox", die der Sysop eigenen Angaben zufolge auf einem separaten Notebook betrieb, beschlagnahmten die Beamten 17 weitere Rechner, Drucker, Monitore und diverses DV-Geraet. Damit war nicht nur die Weiterarbeit an einem termingebundenen Projekt zur Entwicklung einer Datenbank unterbunden, sondern auch der Betrieb der kommerziellen Mailbox CISS lahmgelegt. Die unter der Rufnummer (089/9301081) erreichbare Box ist als gebuehrenpflichtige Supportbox konzipiert und soll Anwendern bei der Suche nach Softwaretreibern helfen oder beim Erfahrungsaustausch mit anderen Usern ein Informationsforum bieten.

Polizei nahm gesamte Anlage mit

Eckel, der seinen Entwicklungsrechner erst wiederbekam, als er mit Schadensersatzklage in Hoehe von einigen hunderttausend Mark drohte, empoert sich denn auch darueber, dass die Polizei mit unverhaeltnismaessiger Haerte vorgegangen sei. Eine Argumentation, die aus Sicht von Moewes nicht stimmt: "Wir muessen aus Beweisgruenden die ganze Anlage mitnehmen." Fuer den Polizeibeamten besteht die Crux darin, dass er bei den modernen PCs und der Vielzahl an Peripheriegeraeten nicht den erforderlichen Geraetepark bei der Polizei unterhalten kann. "Wenn ich nun einen Bildschirm- oder Druckertreiber fuer unsere eigenen Geraete auf einer beschlagnahmten Festplatte installiere, dann ist die Festplatte vor Gericht als Beweismittel unbrauchbar, da ich sie nachtraeglich geaendert habe."

Anwalt Czirnich kann diese Auffassung nicht teilen. Ihm zufolge sind die Betroffenen nicht dazu verpflichtet, Staatsanwaltschaft und Polizei die im PC-Bereich weitestgehend standardisierten Peripheriegeraete zur Verfuegung zu stellen, damit die Behoerden auch wirklich die Daten des betreffenden Rechners einsehen koennen. Aehnlich verhaelt es sich nach Darlegung des Rechtsexperten mit nicht zugelassenen Modems, da deren Einsatz nach neuer Rechtslage keine Straftat mehr sei, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit.

Schlechte Karten haben die Betroffenen jedoch, wenn es um die Mitnahme der Rechner mit CPU und Datentraeger geht. Dies sei durch den Beschlagnahmebeschluss, der in der Regel auf die Sicherung von Beweisstuecken ohne eine genaue Spezifizierung der Geraete laute, gedeckt. Hier koenne im Falle eines Falles nur auf den Goodwill der Beamten gehofft werden, falls der Verdaechtige waehrend der Konfiskation schluessig nachweisen koenne, dass der Mailbox-Rechner physikalisch nicht mit sonstigen Rechnern verbunden ist.

Der Jurist empfiehlt nicht unbedingt die freiwillige Herausgabe der Geraete, da die Rechtsmoeglichkeiten im Falle einer Beschlagnahmung besser seien. Ansonsten raet er jedoch zur Kooperation mit den Behoerden, um den Verlust von Daten vor allem bei Servern zu vermeiden, wie er im Falle von Bedienungsfehlern durch die Beamten auftreten kann.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen im Falle eines Datenverlustes - Eckel behauptet entgegen anderslautenden Angaben der Muenchner Polizei, dass auf seinem Server durch die unsachgemaesse Bedienung mehrere hundert MB an Daten zerstoert wurden - kaum Chancen auf Schadensersatz haben, wenn sich die Verdachtsmomente der Behoerden als richtig erweisen. Darum appelliert der Rechtsanwalt nochmals an alle Anwender, den altbekannten Ratschlag zu beherzigen und ein regelmaessiges Back-up der Festplatten zu fahren.

IDK will aufklaerend wirken

Um Fragen dieser Art zu klaeren und anderen Mailbox-Betreibern zu helfen - Schaetzungen gehen von 6000 bis 18000 Mailboxen in Deutschland aus -, bauen die Muenchner Sysops gerade die Interessengemeinschaft Datenkommunikation (IDK) auf. Der Verein soll, so der erste Vorsitzende Thomas Roedel(089/45067211), nach innen und aussen aufklaerend wirken. Man wolle das Gespraech mit Staatsanwaltschaft und Polizei suchen, um seine Mitglieder und andere Betreiber vorbeugend zu informieren.

Auch wenn die Beanstandungen angesichts des Angebots auf CD-ROM oder im Internet fast laecherlich wirken, droht dem Betreiber nach deutschem Recht der Makel der Vorstrafe sowie eine Geldstrafe zwischen 30 und 60 Tagessaetzen. Besonders aergert sich Roedel darueber, dass er sich als Betreiber kaum dagegen wehren kann, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Denn will im hypothetischen Fall ein Hersteller seinen Konkurrenten aergern und dessen Support- Mailbox lahmlegen, so genuegt es, wenn er ihm nachts eine strafrechtsrelevante Datei per Modem auf die Platte kopiert und ihn dann anonym anzeigt.

Aufgrund der unklaren Rechtslage, bisher existieren nur Urteile von Amtsgerichten, bleibt den Betreibern in Bayern nur ein Ausweg, um auf Nummer Sicher zu gehen: Sie muessen ihre Systeme stillegen. In anderen Bundeslaendern scheinen die Behoerden eher ein Auge zuzudruecken.

Bei allen Differenzen: In einem sind sich zumindest alle Beteiligten einig. Angesichts der Rechtsunsicherheit und des rasanten Fortschritts der Kommunikationstechnologie ist der Gesetzgeber in Bonn gefordert, mit neuen Gesetzen fuer eine entsprechende Rechtssicherheit zu sorgen und Abkommen fuer den internationalen Verkehr zu treffen.