Thomas Cook AG führt Lösung für den Umgang mit Reklamationen ein

Beschwerdeverwaltung mit Lerneffekt

17.09.2004
MÜNCHEN (kf) - Voraussetzung für die effektive Bearbeitung von Kundenanliegen sind unternehmensweit durchgängige Richtlinien und Workflows. Bei der Thomas Cook AG, Oberursel, konnte davon bis vor kurzem keine Rede sein. Erst mit der Einführung einer einheitlichen Beschwerde-Management-Lösung brachte der internationale Touristikkonzern System in den Umgang mit Reklamationen.

Längst ist der Tourismus zum Massengeschäft geworden - da bleibt der Kunde als reisendes Individuum leicht auf der Strecke. Reklamationen sind in der Reisebranche daher keine Seltenheit. Umso entscheidender ist es, wie Touristikunternehmen ihren Kunden in solchen Fällen begegnen und ob es ihnen gelingt, die durch Unzufriedenheit gefährdete Beziehung wieder zu stabilisieren.

Die Thomas Cook AG kann davon ein Lied singen. Zu dem weltweit drittgrößten Touristikkonzern gehören 32 Veranstaltermarken - darunter Neckermann, Bucher Reisen und Aldiana, 3600 Reisebüros, 76000 kontrollierte Betten und eine Flotte von 79 Flugzeugen. Das rund 26000 Mitarbeiter starke Unternehmen deckt damit sämtliche Stufen der touristischen Wertschöpfungskette ab - vom Vertrieb über Flug und Veranstalter bis hin zum Hotel am Zielort.

Noch vor drei Jahren gab es bei Thomas Cook keinen markenübergreifenden, konzernweit verbindlichen Standard, nach dem Kundenanliegen bearbeitet worden wären. Auch fehlte eine Software zur Unterstützung des Beschwerde-Management-Workflows - zum Einsatz kam lediglich eine Vorgangsverwaltung, in die Grunddaten zu statistischen Zwecken eingegeben wurden. "Es handelte sich um einen rein manuellen, lokal sehr unterschiedlichen Datenerfassungsprozess, der nirgends zusammenlief", erinnert sich Colette Rückert-Hennen, Leiterin des Bereichs Kunden-Management bei Thomas Cook.

Vor diesem Hintergrund ist das Zustandekommen des folgenden Szenarios nicht verwunderlich: Ein Thomas-Cook-Kunde - mit Neckermann gereist und mit Condor geflogen - reicht eine Beschwerde bei Condor ein. Nach geraumer Zeit wird er von dort an den Veranstalter Neckermann verwiesen - nur um zu erfahren, dass er die Reklamationsfrist von vier Wochen ab Reiserückkehr mittlerweile verpasst habe. "Das ist tatsächlich vorgekommen", so Rückert-Hennen. Die Ursache: Zwischen den beiden Thomas-Cook-Marken Neckermann und Condor bestand hinsichtlich der Kundenbetreuung keinerlei Verbindung.

Vorkommnissen dieser Art wollte der Konzern ein für allemal vorbauen. Abgesehen von der uneinheitlichen Außenwirkung und unnötiger Kundenfrustration schien es auch intern an der Zeit, die aufwändige, noch vorwiegend papiergebundene Arbeitsweise zu modernisieren. "Unsere Mitarbeiter standen selbst in ruhigeren Zeiten vor wahren Bergen aus Akten, Formularen, Zweit- und Dritt- sowie Anwaltsschreiben, die in der Hochsaison durch den naturgemäß vervielfachten Beschwerdeeingang noch weiter anstiegen", erinnert sich die Leiterin des Bereichs Kunden-Management. Zeitweise musste das Unternehmen bis zu vier Aushilfen allein für das Aufstöbern streunender Dokumente beschäftigen.

Initialzündung für CRM

Im Zuge der grundsätzlichen Entscheidung, die Kundenorientierung im Konzern zu systematisieren, beschloss Thomas Cook deshalb, zunächst im Bereich Reklamationen aufzuräumen. Auf diese Weise geriet das Thema Beschwerde-Management zur Initialzündung für ein umfassendes Customer-Relationship-Management (CRM).

Noch fehlte dem Konzern allerdings das Basis-Werkzeug sowohl für ein gezieltes Beziehungs-Management als auch für eine kundenorientierte Beschwerdebearbeitung: eine zentrale Kundendatenbank. "Es war zwar viel Wissen vorhanden, aber nirgendwo gebündelt greifbar", blickt Rückert-Hennen zurück. Zum ersten Schritt auf der CRM-Roadmap wurde demnach die Etablierung der Datenbank erklärt -, als ihr erster Nutzer wiederum war ein Beschwerde-Management-System vorgesehen. Wer Kunden gewinnen und langfristig an sich binden wolle, komme am professionellen Umgang mit Reklamationen nicht vorbei, begründet Rückert-Hennen den pragmatischen Ansatz.

Neue Standards für die Beschwerdebearbeitung

Deshalb setzte der Konzern im Oktober 2001 ein Projekt mit dem Ziel auf, über alle Konzernmarken hinweg einheitliche, verbindliche und kontrollierbare Standards für die Beschwerdebearbeitung zu definieren und mit Hilfe einer Software umzusetzen. "Letztendlich sollten natürlich auch die Prozesse verschlankt und damit Kosteneinsparungen erzielt werden", fügt Rückert-Hennen hinzu.

Nach der Evaluierungsphase entschied man sich gegen Paketlösungen à la Peoplesoft, Siebel oder SAP. Stattdessen bevorzugte Thomas Cook einen Best-of-Breed-Ansatz bei der Wahl der Software. Das neue System sollte offen für Weiterentwicklungen und mehrsprachig sein, um schrittweise auch die ausländischen Standorte anbinden zu können.

Der Touristikkonzern entschied sich für die Standardsoftware "Sorry" der Nürnberger Rödl IT-Consulting GmbH. Ausschlaggebend für die Wahl war neben dem Know-how des Anbieters im Bereich Beschwerdeverwaltung die individuelle Anpassungsfähigkeit sowie die einfache Implementierbarkeit der Lösung.

Zügig umgesetzt

Ehrgeizig war der Zeitrahmen, den sich der Konzern gesetzt hatte: Binnen sechs Monaten, pünktlich zum Beginn der Reise-Hochsaison, sollte die Software einsatzbereit sein. Gesagt, getan - im Mai 2002 wurde die Zentrale in Oberursel mit den Veranstaltermarken Aldiana, Condor, Neckermann und Terramar mit insgesamt rund 70 Mitarbeitern an das Beschwerde-Management-System angebunden. Im November 2002 erfolgte der Rollout für die Marken Bucher Reisen sowie Neckermann Preisknüller (ehemals Air Marin) in Düsseldorf, und im April 2003 wurde die Lösung für Thomas Cook Reisen in München live geschaltet.

Die Kundendatenbank ist eine Individualentwicklung, die Thomas Cook gemeinsam mit der SD 38;M AG realisiert hat. Sie läuft auf einem DB2-Host. Eine Besonderheit stellte die Anbindung des bereits vorhandenen Data Warehouse von Microstrategy dar, das als Datensenke für Reiseaufträge aus unterschiedlichen Reservierungssystemen dient. Diese galt es erst einmal zusammenzuführen.

Scannen statt Akten verwalten

An die Softwareeinführung gekoppelt war die Umstellung auf eine elektronische Verwaltung der meist schriftlich eingehenden Kundenanliegen. Heute werden Kundenschreiben direkt über das System eingescannt und einem Vorgang zugeordnet, so dass sich die Bearbeiter nicht länger mit Papierbergen und Ordnerablagesystemen plagen müssen. Zudem kann jeder Mitarbeiter über das System den aktuellen Stand eines Vorgangs einsehen - unabhängig davon, ob er das Anliegen persönlich aufgenommen hat.

Die Vernetzung des Beschwerde-Managements mit der zentralen Kundendatenbank gewährt eine umfassende Sicht auf die jeweilige Kundenhistorie, was den Betreuern ein individuelles Eingehen auf den Beschwerdeführer erleichtert. Rund 200 auf Thomas Cook zugeschnittene Konkretisierungspunkte ermöglichen es zudem, Kundenanliegen bereits bei der Erfassung zu kategorisieren. Wird beispielsweise Lärmbelästigung moniert, lässt sich heute mit Hilfe des Systems genau aufschlüsseln, ob sich der Reisende durch Geräusche von der Baustelle nebenan oder der nahe gelegenen Disco beziehungsweise durch das hellhörige Zimmer behelligt fühlte. Auf Basis dieser Details lassen sich im Zielgebiet konkrete Veränderungen anstoßen.

Mehr Tempo, mehr Disziplin

Im Bereich Beschwerdebearbeitung ist die Produktivität mit der Einführung der Lösung deutlich gestiegen. Mussten die Kundenbetreuer früher internen Schreibkräften ihre Antworten auf Reklamationen diktieren, sind Letztere heute fast ausschließlich mit dem Einscannen von Kundenschreiben beschäftigt. Die Betreuer wiederum schreiben ihre Briefe inzwischen selbst - und zwar direkt im System mit Hilfe vorgefertigter Textbausteine, die durch individuelle Informationen ergänzt werden. Nach Angaben des Konzerns lassen sich heute 80 Prozent der Beschwerdeeingänge innerhalb von 21 Tagen bearbeiten. "Früher lag der Schnitt zwischen vier und sechs Wochen", so Rückert-Hennen. Auf Aushilfen könne man mittlerweile sogar zu den Peak-Zeiten verzichten.

Als einen weiteren positiven Effekt erachtet die Expertin für Kunden-Management den durch die Beschwerde-Management-Software vorgegebenen Prozess der Reklamationsbearbeitung. Dieser beschleunige zum einen die Einarbeitung neuer Mitarbeiter - unabhängig vom didaktischen Talent des jeweiligen Sachbearbeiters, zum anderen erfordere er vom einzelnen Mitarbeiter mehr Disziplin und steigere somit die Qualität der Reklamationsabwicklung. "Wer früher ein eher flüchtiges Arbeiten gewöhnt war, kommt heute nicht mehr daran vorbei, sich intensiv mit der Beschwerde auseinandersetzen. Das System lässt es nicht zu, dass man sich an einem Punkt vorbeimogelt", erläutert Rückert-Hennen.

Ein weiteres Plus der Lösung: "Mit Sorry haben wir gleichzeitig ein ausgereiftes, am Kunden-Feedback orientiertes Qualitäts-Management eingeführt", freut sich Rückert-Hennen. Beispielsweise werde nun deutlich, ob sich bestimmte Produkte für das Unternehmen lohnten oder Flops seien.

Für die Unternehmensleitung eröffnet sich damit eine weitere wertvolle Informationsquelle: So ist zwar die rege Nachfrage nach einem Reiseangebot grundsätzlich erfreulich. Anders sieht es jedoch aus, wenn Beschwerdebearbeitung und negative Mundpropaganda im Nachhinein Kosten verursachen. Die Daten aus dem Beschwerde-Management liefern demnach eine stichhaltige Argumentations- hilfe, wenn es um die Beurteilung und den Einkauf bestimmter Produkte geht. In regelmäßigen Qualitätszirkeln identifiziert Thomas Cook heute anhand von Reports Fehler und erarbeitet entsprechende Maßnahmen. "Diese werden dann von uns im Kunden-Management kontrolliert und verfolgt", erklärt Rückert-Hennen.

Aufwand unterschätzt

Ernsthafte Stolpersteine in technischer Hinsicht hat es nach Angaben von Rückert-Hennen nicht gegeben. Etwas Zeit habe es allerdings gekostet, die auf das Zusammenspiel mit Oracle-Datenbanken optimierte Software Sorry auf den Einsatz mit dem bereits vorhandenen Datenbank-Management-System DB2 einzustimmen. Ferner hatte sich Thomas Cook beim Einkauf der Scanner-Hardware vergriffen: So war die erste Geräteflotte mit dem in der Hochsaison anfallenden Beschwerdevolumen überfordert. "Zum Glück waren diese Maschinen geleast, so dass ein Umtausch ohne Extra- kosten möglich war", erinnert sich Rückert-Hennen. Die heute im Einsatz befindlichen zwölf Fujitsu-Scanner des Typs "M309 2DC" seien ihrer Aufgabe nun gewachsen.

Außerdem hatte das Projektteam den Aufwand, sämtliche kundenrelevante Informationen zu scannen und zu erfassen, um sie sofort verfügbar zu machen, mangels Erfahrung unterschätzt, was zu personellen Engpässen vor Ort führte. Als größte Herausforderung habe es sich allerdings erwiesen, die Berührungsängste auf Seiten der Mitarbeiter abzubauen, die sich mit einem vollkommen neuen Prozess konfrontiert sahen. "Auf einmal gab es kein Papier mehr, darüber hinaus mussten sich die Kundenbetreuer intensiv mit einem System auseinandersetzen, das sie früher lediglich als Informationsquelle genutzt hatten", beschreibt Rückert-Hennen die Eingewöhnungsphase. Aufgrund der hohen Umsetzungsgeschwindigkeit des Projekts habe man die Mitarbeiter wohl nicht immer dort abholen können, wo sie gerade standen, räumt sie selbstkritisch ein.

Mittlerweile sei die Akzeptanz jedoch erfreulich gestiegen - nicht zuletzt dadurch, dass sich die Sachbearbeiter nicht mehr als reine Beschwerdeabwickler, sondern als Quality-Manager sähen. "Ihre Arbeit wurde definitiv aufgewertet", so Rückert-Hennen.

Demnächst steht bei Thomas Cook der Sorry-Rollout in Österreich an. Darüber hinaus will der Touristikkonzern sein im Aufbau befindliches CRM-System um ein Kampagnen-Management erweitern. "Diesmal haben wir uns für ein Tool von SAP entschieden", verrät Rückert-Hennen. Bis zum Jahresende soll das Projekt abgeschlossen sein.

Hier lesen Sie ...

- wie Thomas Cook System in den Umgang mit Kundenanliegen brachte;

- warum das Beschwerde-Management zur Initialzündung eines CRM-Systems geriet;

- welche Anforderungen die neue Lösung an die Mitarbeiter stellte;

- worin die Vorteile für die Kunden und ihre Betreuer bestehen;

- wie der Konzern darauf aufbauend ein Qualitäts-Management seiner Produkte entwickelte.

Die CRM-Roadmap

?2002/2003: Etablierung einer zentralen Kundendatenbank;

2002: Implementierung eines Beschwerde-Management-Systems;

2003: Einführung eines Qualitäts-Managements;

2004: Einführung eines Kampagnen-Managements.

Steckbrief

Projektart: Entwicklung und Einführung eines Beschwerde-Management-Systems.

Branche: Touristikkonzern.

Zeitrahmen: Oktober 2001 bis Mai 2002.

Stand heute: im Produktivbetrieb.

Produkte: Kundendatenbank (Individualentwicklung); DB2-Host; Beschwerde-Management-Software Sorry von Rödl IT-Consulting GmbH; Fujitsu-Scanner (M309 2DC).

Dienstleister: in Eigenregie mit Unterstützung der SD 38;M AG, Rödl IT-Consulting und Cap Gemini Ernest 38; Young.

Umfang: Rollout an drei Standorten.

Ergebnis: Beschleunigte, effizientere Beschwerdebearbeitung; Einführung eines Qualitäts-Managements.

Nächster Schritt: Rollout in Österreich; Einführung eines Kampagnen-Managements.