Höherwertige Protokolle stützen den Dialog:

Berücksichtigung von Standards garantiert hohes Anwendungspotential

14.07.1989

Heutzutage gilt es bereits als Binsenweisheit, daß der Einstieg in das elektronische Büro nicht revolutionär verlaufen darf, sondern nur sinnvoll ausgewogene Realisierungsschritte Erfolg versprechen. Das stufenweise Vorrücken auf eine umfassende BK-Lösung wird dabei beeinflußt von einer Reihe organisationsinterner und -externer Rahmenfaktoren, so daß die "Evolutionsschritte" für jedes Unternehmen anders ausfallen.

Professor Fritz Steimer lehrt an der Fachhochschule Furtwangen mit dem Kommunikationssysteme/Bürokommunikation"; Bernward Senff-Schöne ist Leiter der SW- Entwicklung des IOT München

Nebenstehende Abbildung 1 vermittelt einen Überblick über die vielfältigen Einflußgrößen auf ein BK-Stufenkonzept.

Neben diesen Einflußgrößen sprechen weitere wesentliche Gründe für ein evolutionäres Vorgehen:

- Organisationsstrukturen sind kontinuierlich gewachsen und können nicht ad-hoc verändert werden.

- Der Wirtschaftlichkeitsaspekt getätigter Investitionen darf nicht vernachlässigt werden.

- Neue Technologien unterliegen evolutionären Entwicklungsprozessen.

- Auch das Unternehmensumfeld (Partnerunternehmen, Infrastrukturen) entwickelt sich evolutionär.

Eine wichtige Einflußgröße auf das BK-Stufenkonzept stellen öffentliche Netz- and Industriestandards dar.

Diese Standards lassen sich am Besten in Anlehnung an das OSI-7-Schichten-Kommunikationsmodell einordnen. Auf den beiden untersten Schichten sind vor allem die physikalischen Transportsysteme im Bereich lokaler und öffentlicher Kommunikation zu nennen.

Hierbei haben sich im lokalen Bereich mittlerweile die LAN-Typen Ethernet mit dem Zugriffsverfahren CSMA/CD (gemäß IEEE 802.3) und Token Ring mit Zugang über die Token-Methode (gemäß IEEE 802.5) durchgesetzt. Bei letzterem gibt es neben einer 4-MBit/s-Version inzwischen auch den 16-MBit/s-Token-Ring.

Der Standard-802.4-Token-Bus besitzt derzeit lediglich eine Relevanz für das technische, fertigungsnahe Büro und wird beispielsweise in den Festlegungen des "Technical & Office Protokoll" (TOP) berücksichtigt.

Neben diesen - praktisch ausschließlich durch Industrieunternehmen geprägten Normen - haben sich auch öffentlich definierte Standards der unteren Ebenen wie RS 232 (V.24), X.21 beziehungsweise X.25 in Büroumgebungen durchgesetzt. Diese Entwicklung verstärkte sowohl das preisgünstige als auch mengenmäßige Angebot an Netzwerkkomponenten und Peripherieinterfaces.

Stufenkonzept ermöglicht evolutionäre Entwicklung

Alle bisher genannten Standards bilden die Voraussetzung für die erste(n) Stufe(n) eines BK-Konzepts. Ohne sie wäre die Realisierung geeigneter physikalischer Transportsysteme für die Büroanwendungen nicht möglich.

Da ältere BK-Verbundlösungen die Ebenen 3 bis 6 des OSI-7-Schichtenmodells kaum berücksichtigt haben, blieben sie in ihrem Wirkungsrahmen auch eingeschränkt. Der mittlerweile geforderte, meist heterogene lokale und remote Systemverbund macht jedoch Protokollfestlegungen in diesen Ebenen unverzichtbar: So sorgen Protokolle der Ebene 3 in der Regel für das in Netzwerken erforderliche Routing, während die Protokolle der Ebenen 4 und 5 den reibungslosen Informationstransport zwischen Endsystemen und die logischen Verbindungen zwischen Kommunikationspartnern sicherstellen.

Neben den Festschreibungen der ISO wie zum Beispiel ISO 8473, 8326-27 finden sich nach wie vor die Protokolle von TCP/IP (Transmission Control Program/Internet Protocol), die sich hervorragend in Internet- Umgebungen und im heterogenen Systemverbund bewährt haben. Hierbei unterstützen sie auf höherer Ebene, transparentes Filing sowie Mailingfunktionen und Terminalemulationen.

In der PC-Welt hat sich auf vergleichbaren Ebenen Netbios wohl deshalb durchgesetzt, weil es eine Entkopplung der Anwendungsprogramme von der unterlegten Vernetzungsstruktur ermöglicht.

Der Einfluß von Standardprotokollen dieser Ebenen auf die Realisierung von Bürokommunikationsprojekten ist unverkennbar: So hätten sich PC-Vernetzungen ohne Netbios wohl nie auf so breiter Basis durchgesetzt und ein überregionaler Verbund von Rechnersystemen hätte ohne TCP/IP in einer heterogenen Systemumgebung möglicherweise ebenfalls keine Überlebenschance.

Zukünftige PC-Vernetzungen für Anwendungen der Bürokommunikation werden sich allerdings in verstärktem Maße auf die deutlich erweiterten Möglichkeiten von LAN-Servern wie etwa denen des OS/2-LAN-Managers, stützen. Trotz dieser Entwicklung sollte jedoch nicht unterschlagen werden, daß zukünftig auch noch DOS-PCs in den Verbundkonzepten existieren.

Ein schlagartiges Wechseln in leistungsfähigere Kommunikationssysteme ist deshalb aufgrund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen in den wenigsten Fällen gegeben. Dies bestätigt die Notwendigkeit einer evolutionären Entwicklung der Bürokommunikation im Sinne des Stufenkonzeptes.

Protokolle der Ebene 6 zeichnen sich vorwiegend durch die Definition von Daten-/Dokumentenformaten aus. Sie stellen somit eine unverzichtbare Festlegung gerade für die Anwendungen der Bürokommunikation dar.

Stellvertretend genannt seien hier die umfangreichen, teils noch nicht vollständig verabschiedeten Festlegungen für den offenen Dokumentenaustausch auf der Basis von ODA-ODIF (ODA: Office Document Architecture, ODIF: Office Document Interchange Format) oder auch für den Bereich des Message Handling mit der Rahmendeklaration X.400. In gewissem Sinn vergleichbare Festschreibungen, die allerdings nur den Status eines Industriestandards besitzen, sind die Definitionen von IBMs DCA-DIA (DCA: Document Content Architecture, DIA: Document Interchange Architecture).

Während in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart (Büro-) Kommunikation vorwiegend durch den Austausch von Files und Dokumenten auf der Basis einheitlicher Transportsysteme abgedeckt war, beginnen sich die Anforderungen an eine Inter-Programmkommunikation, das heißt also an den bedienerlosen Dialog von Anwendungsprogrammen im Netzverbund, verstärkt durchzusetzen. Für die Erfüllung dieser Anforderungen sind höherwertige Protokolle erforderlich, die den zugeordneten Dialog stützen.

Diesen Dialog unterstützt die von IBM im Rahmen der LU 6.2-Definitionen fixierte Programm-zu-Programm-Kommunikation gemäß APPC (Advanced program to program communication) sowie eine analoge Festschreibung CASE innerhalb der MAP/TOP-Architektur. Erst die Protokolle der LU 6.2 haben beispielsweise dazu geführt, daß im IBM-Systemverbund Bürokommunikation ohne Zwischenschaltung eines Hosts (etwa auf PC-PC-Ebene) möglich wird (zur Realisierung versucht IBM das BK-Produkt "Office Vision" im Markt zu plazieren).

Auf dem Weg zu gleichen Repräsentationsschichten

Standards, die Festschreibungen auf mehreren Ebenen des Schichtenmodells umfassen, finden sich im öffentlichen Bereich praktisch bezüglich aller Postdienste, wie etwa Teletex, Telefax, Btx, aber auch im Datex-P-Verbund.

In greifbarer Nähe sind hier weitere Standards in Verbindung mit ISDN: Neben den Schnittstellen SO, S2PM sowie D-Kanal-Protokoll(en), scheint es notwendig, für neue Dienste - etwa den Textfax-Dienst -entsprechende Standards festzulegen. Festschreibungen dieser Art sind den zukünftigen Implementierungsstufen eines BK-Konzepts zuzuordnen.

Vergessen wir schließlich bei all diesen Betrachtungen den Benutzer nicht: Der Bürobereich stellt hier wegweisende Anforderungen - vor allem ist im Hinblick auf eine einfache, möglichst grafikorientierte Bedienoberfläche positiv, daß sich die diesbezüglichen Standardisierungsbemühungen auf der Unix-Seite und der IBM-Seite in Form der Oberflächen "Motif" und "Presentation Manager" - zumindest was die Präsentationsschicht betrifft - nahezu vereinheitlichen. Analoges gilt für die (bedienerfreundliche ?) Abfragesprache SQL.

Standards auf hohen BK-Stufen durchsetzen

Die Reihe von Standards ließe sich noch weiter fortsetzen: So etwa Vernetzungsstandards wie den LAN-Manager, welcher eine PC-LAN-orientierte Bürokommunikation unterstützt. Wie wir gesehen haben, existieren einige öffentliche Standards sowie Industriestandards, die eine evolutionäre und offene Entwicklung der Bürokommunikation im Anwenderunternehmen berücksichtigen muß. Nur durch deren Berücksichtigung kann der "Organismus" Bürokommunikation sich frei und herstellerungebunden entfalten, sowie ein großes Potential an Anwendungen für sich verfügbar machen.

Berücksichtigung von Standards (= Offenheit) ist immer noch die beste Garantie, in einer sich dynamisch ändernden Systemwelt zu bestehen. Dabei ist es ein weitverbreiteter Irrtum, daß Offenheit nur auf den unteren BK-Stufen möglich ist. Für Anwender wie Hersteller gilt es, diese Standards rechtzeitig zu erkennen, sie in ihrer zeit- und funktionslogischen Relevanz einzusetzen.