Beratermarkt: Kreativer Mittelstand

13.06.2008
Von Gabi Visintin
Consulting-Häuser brauchen dringend Mitarbeiter und loten aus, wie viel und was sie ihnen zumuten können. Dauerthema ist die Reisebereitschaft.

Obwohl die Zahl der Absolventen mit erfolgreichem Informatikabschluss noch steigt - 2006 verließen laut Statistischem Bundesamt 15 400 examinierte Informatiker die Hochschulen -, betrachten Wirtschaft und Politik den gegenläufigen Trend bei der Einschreibung mit zunehmender Sorge: Im vergangenen Jahr nahmen nur noch 28 000 Abiturienten ein Informatikstudium auf. Im Vergleich zum Jahr 2000 mit 38 000 Informatikeinsteigern sank die Zahl also um mehr als 25 Prozent.

Laut der neuen McKinsey-Zukunftsstudie "Deutschland 2020", in der die Berater Szenarien mit einem, drei und sieben Prozent Wachstum pro Jahr entwickelt haben, werden bis 2020 rund 2,5 respektive 6,1 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Die Unternehmensberatung plädiert deshalb dafür, die Zahl der Hochschulabsolventen eines Jahrgangs von derzeit 20 auf 40 Prozent zu steigern. Zudem solle die Frauenerwerbsquote erhöht werden. Die zu geringe Zahl von Hochschulabsolventen und der Mangel an Ingenieuren, so fasst McKinsey zusammen, sind das größte Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands.

In Ansätzen spüren das die IT-Dienstleister heute schon. So erklärt etwa Peter Neisius, Geschäftsführer des Duisburger Business-Intelligence-Spezialisten Cundus AG mit knapp 100 Mitarbeitern: "Ich würde sofort zehn Leute einstellen, doch gute Bewerber mit SAP-Erfahrung zu bekommen ist schwer."

Auch die Business Technology Consulting (BTC) AG mit Sitz in Oldenburg hat das Problem erkannt. Rüdiger Theobald, Leiter Führungskräfte und Mitarbeiterentwicklung, stellt fest: "Die Anzahl der Bewerbungen reduziert sich. Umso wichtiger ist es, den Bewerbern gegenüber glaubhaft aufzutreten." Das norddeutsche Unternehmen, das rund 1300 Mitarbeiter zählt und auch in Polen und der Türkei aktiv ist, bemüht sich mit großem Engagement um Nachwuchskräfte. Dieses Jahr sollen mindestens 120 neue Mitarbeiter angeheuert werden.

Michael May, Vorstand des IT-Beratungs- und Servicehauses Syngenio mit Sitz in München und rund 100 Mitarbeitern, betont, dass kleinere Unternehmen vor allen Dingen den "Richtigen" suchen: "Wir können nicht so viel Unterschiedlichkeit brauchen wie große Unternehmen."

Generalisten gesucht

Sebastian Amtage, Gründer und Geschäftsführer von b.telligent, einer mittelständischen Unternehmensberatung für Daten- und Informations-Management aus Garching bei München, konkretisiert: "Die Hauptschwierigkeit ist heute, den Generalisten zu finden." Für Amtage hat sich das Beraterbild gegenüber Anfang 2000 nicht geändert. Seine Bewerber benötigen technisches Wissen, Kommunikationsstärke und schnelle Auffassungsgabe, aber nicht unbedingt spezifische Modul- oder Programmierkenntnisse: "Die Entwicklung von einer Technik zu einer anderen ist immer möglich", erklärt der Manager. Was heute allerdings nicht mehr funktioniere, sei, "einmal als Stürmer und dann wieder als Verteidiger zu agieren". Damit spielt der Firmengründer von b.telligent darauf an, wie wichtig es ist, die zukünftige Rolle eines neuen Mitarbeiters im Unternehmen bei den Auswahlkriterien zu berücksichtigen. May ergänzt: "Wenn ein Bewerber eine Jugendgruppe geleitet hat, dann lässt sich daraus schließen, dass er mehr Erfahrung für Projekt- und Kundenarbeit mitbringt als jemand, der nicht links noch rechts geschaut hat."

Umgekehrt können schlecht strukturierte oder schlampige Bewerbungsunterlagen einen Bewerber aus dem engeren Auswahlkreis ausschließen, selbst wenn der Inhalt stimmt: "Wie will einer ein Projekt effizient leiten, wenn er es nicht einmal schafft, eine ordentliche Bewerbung abzugeben?", fragt etwa Amtage. Trotzdem sind viele Personalverantwortliche auch zu Kompromissen bereit. So wird etwa auf die Auswahlfilter Einser- oder Zweier-Abschluss, auf die Rechtschreibprüfung oder den Auslandsaufenthalt verzichtet. Eine wichtige Rolle spielt hingegen, was im Lebenslauf steht. "Für uns zählt Authentizität; es ist eine Frage der gesamten Story eines Bewerbers", schildert Syngenio-Mann May. "Auch Umwege sind in Ordnung, sie müssen sich nur erschließen", wie etwa Carsten Ackermann von Accenture betont.

Was sich im Vergleich zu früher verändert hat, ist das Thema Domänen- beziehungsweise Branchenkenntnisse. Rüdiger Theobald von BTC: "Vor fünf oder sechs Jahren hat es ausgereicht, Spezialisten zu finden, heute ist das Prozesswissen und das Branchen-Know-how bei der Beraterauswahl von großer Bedeutung." Besonders in größeren Unternehmen wie der BTC, die sich in der Automotive-, in der Versorgerbranche und im öffentlichen Sektor bewegt, werden Bewerber mit Branchen-Know-how gesucht. Dabei gibt es immer wieder Überraschungen: Als BTC eine neue Stelle für jemanden mit GIS-Kenntnissen ausschrieb, bewarb sich eine Geologin, die "über sehr gutes SAP-Wissen verfügte". Das zeigt, dass eine gezielte Suche nach Talenten in Studienrichtungen, die sich nicht auf Anhieb mit IT verbinden lassen, sich ebenfalls auszahlen kann.

Gewandelt haben sich auch die Anstrengungen der Arbeitgeber. "Wer attraktive Bewerber will, muss selbst attraktive Bedingungen bieten", sagt Theobald von BTC und ergänzt: "Allerdings darf der Fokus nicht auf rein monetären Anreizen liegen, denn wer für Geld bleibt, der geht auch für Geld." Tatsächlich geben sich IT-Firmen immer mehr Mühe, bei den Kandidaten aufzufallen. Als Indiz dafür kann das stark gewachsene CW-Karriereforum auf der CeBIT gewertet werden, das in diesem Jahr über 30 Aussteller zählte. Auch über ihre Websites bemühen sich IT-Unternehmen, mit Jobsuchenden in Kontakt zu treten. So lädt etwa beim Software- und Beratungshaus IDS Scheer AG, das im Januar 2008 mit knapp 900 Bewerbungen die höchste Anzahl in der Geschichte des Unternehmens registrierte, ein virtueller Headhunter Hochschulabsolventen und wechselwillige IT-Kräfte auf seine Microsite ein. Neben dem Personalberater Ansgar von Löwenberg, so der Name des "Headhunters", stellt sich eine Reihe von Bereichsleitern des Unternehmens mit ihrem Tätigkeitsfeld im Videoclip vor.

Klein, aber fein

Besonders kleinere Unternehmen, die im Kampf um die besten Bewerber mit den Großen konkurrieren, versuchen mit dem Thema "kurzweiliger Job" zu locken. Wer beispielsweise flache Hierarchien schätzt, gerne früh Verantwortung übernimmt und sich einbringt, findet sich bei Unternehmen wie dem IT- und HR-Dienstleister Bebit mit Sitz in Mannheim wieder. "Teamarbeit ist bei uns keine Worthülse, sondern Teil unserer Kultur", betont Wilfried Hübl, Geschäftsführer des 130-köpfigen IT-Dienstleisters. Wer einen abwechslungsreichen Beruf sucht, der liegt bei einem Beratungshaus ohnehin richtig, empfiehlt Hübl und erklärt: "Im Projektgeschäft ergeben sich täglich neue Situationen, auf die sich ein Berater einstellen muss; das macht die Arbeit so spannend." Aber oft auch anstrengend. Deshalb gehören Forderungen wie "Belastbarkeit" und "Reisebereitschaft" in Stellenausschreibungen zum Standard. Gerade Letzteres schreckt aber immer wieder Kandidaten von einer Zusage ab - es sei denn, sie sind noch sehr jung, unverheiratet oder kinderlos. In diesem Punkt gilt es für Unternehmen, auf die neuen Mitarbeiter einzugehen und nicht allein zu versuchen, die Belastung über hohe Gehälter auszugleichen.

So rät Carsten Ackermann von Accenture, mit den Mitarbeitern rechtzeitig Vereinbarungen darüber zu treffen, wie viele Tage pro Woche vor Ort im Projekt zu arbeiten sind. Syngenio strebt beispielsweise eine Begrenzung der Reisezeit auf ein Drittel der Arbeitszeit an. Zudem wird in Unternehmen darauf hingearbeitet, Jobs und Rollen auf die jeweiligen Lebensphasen abzustimmen und nicht ausgerechnet Familienväter oder auch Mütter für die reiseaufwändigsten Tätigkeiten vorzusehen.

Auch mit dem Thema Weiterbildung können Firmen bei ihren Mitarbeitern punkten. So unterstützt Cundus junge Mitarbeiter, die studieren oder - wie in einem Fall geschehen - promovieren möchten, finanziell. Auch das Beratungshaus BTC greift dem IT-Beratungsnachwuchs wirtschaftlich unter die Arme. Als Mitgliedsunternehmen der Berufsakademie (BA) Oldenburg fördert der IT-Dienstleister jedes Jahr vier BA-Studenten der Wirtschaftsinformatik. Zudem genießen drei Kandidaten in den dualen Ausbildungsgängen der Hochschule Bremen sowie der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft und Technik die Unterstützung des Oldenburger Unternehmens. Führungskräfte zieht BTC in einem zweijährigen New-Talent-Programm heran, in dem eine Auswahl von Hochschulabsolventen in Kontakt mit den Vorständen geschult wird. (hk)

Hilfe vom virtuellen Berater

Rosemarie Clarner, Personalchefin der IDS Scheer AG, berichtet über ihre Erfahrungen mit einem virtuellen Headhunter.

CW: Die IDS Scheer AG hat im Januar einen Höchststand an Bewerbungen in Deutschland erreicht. Worauf führen Sie das zurück?

CLARNER: Schon seit längerem nehmen wir an Recruiting-Messen teil und organisieren Veranstaltungen und Workshops an Hochschulen. Im vergangenen Jahr haben wir unsere Anstrengungen verstärkt, weil wir nicht genügend geeignete Kandidaten gefunden hatten. Einen wichtigen Anteil an den gestiegenen Bewerberzahlen hat unser "virtueller Headhunter", der seit Mitte Januar auf unserer Website Bewerber einlädt. Die Microsite ist zusätzlich im Web 2.0 vernetzt und verfügt über Profile bei unterschiedlichen Kontaktplattformen.

CW: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Ihrem virtuellen Personalberater gemacht?

CLARNER: Sehr gute. Immer wieder sagen uns Bewerberinnen und Bewerber, dass ihnen die etwas andere Art der Einladung ins Unternehmen gefällt. Dabei ist der virtuelle Headhunter ja "nur" der Einstieg, wichtiger ist, dass Bewerber viel mehr interne Informationen über das Unternehmen IDS Scheer erhalten und personalisiert an die für sie passende Stellenausschreibung herangeführt werden. Seit dem Start der Kampagne wurde der Film 50 000-mal abgerufen, und die Zahl der Bewerber ist um rund 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Das zeigt, wie gut diese Recruiting-Maßnahme wirkt. Seit Januar haben wir 130 Arbeitsverträge abgeschlossen.

CW: Was haben Sie sich noch an Aktivitäten überlegt, um Bewerber von Ihrem Unternehmen zu überzeugen?

CLARNER: Wir schnüren individuelle Pakete für Bewerber und kommen ihrer Interessenlage je nach persönlicher Lebensphase entgegen. Wenn ein Berater nicht im Einzugsgebiet unserer acht Standorte in Deutschland lebt, dann bieten wir ihm eine Home-Office-Regelung an. Und um beispielsweise nicht auf erfahrene Beraterinnen mit Kindern verzichten zu müssen, versuchen wir deren Bedürfnissen in Bezug auf die Arbeitszeitregelung entgegenzukommen. Für Berufseinsteiger haben wir kürzlich eine zusätzliche Ausbildungsinitiative zu bestimmten Fachthemen wie Business Intelligence gestartet. Damit können sich Berufseinsteiger das Prozess- oder BWL-Wissen aneignen, das sie noch brauchen.

Zudem bieten wir den Mitarbeitern berufliche Perspektiven - wie den Karrierepfad Projekt-Management, der eine externe Zertifizierung beinhaltet. Eine solche Investition kommt nicht nur dem Unternehmen zugute, sondern auch der persönlichen Karriere eines Mitarbeiters.

Arbeiten in Offshore-Projekten

Benjamin Poensgen, Geschäftsführer von Quantimetrics, zu den geforderten Fähigkeiten bei der Leitung von Offshore-Projekten:

"Die Hochschulen sind heute gefordert, den Wandel vom Land der Softwareentwicklung zum Land der Softwareausschreibung schnell nachzuvollziehen. Denn im Zeitalter des Near- und Offshorings werden die Leiter von Softwareentwicklungs-Projekten immer mehr zu den Steuerern von tschechischen, polnischen oder indischen Programmierern. Dieser Weg ist für die Beteiligten oft sehr schmerzhaft. Vielen fehlt es an Basiskompetenzen, sie können zum Beispiel Softwareprojekte noch nicht richtig bewerten. Das bedeutet für die Ausbildung von Informatikern und Wirtschaftsinformatikern vor allem, mehr echte Management-Kompetenzen zu vermitteln."

Hier lesen Sie ...

  • welche Kriterien heute bei der Kandidatenauswahl den Ausschlag geben;

  • wo Unternehmen Kompromisse machen;

  • was Mittelständler Bewerbern anbieten.