Berater als verlaengerter Arm des Auftraggebers Im SAP-Umfeld muss Raum fuer neutrale Beratung bleiben

14.10.1994

Von Peter Windhoefel*

SAP ist ein Standard, an dem man nicht mehr vorbeikommt. Bedeutet das auch, dass man sich unbedingt einen SAP-akkreditierten Berater zulegen muss? Welcher Bedarf besteht an neutralen und unabhaengigen Beratern ausserhalb des SAP-Dunstkreises von Beratungsunternehmen und Herstellern?

Spaetestens seit sich der "Spiegel" des Themas angenommen hat, wird in der breiten Oeffentlichkeit diskutiert, was in unserer Branche bereits seit geraumer Zeit bekannt ist: naemlich die Dominanz der SAP im deutschen und internationalen Markt fuer kaufmaennische Anwendungssoftware.

80 der 100 groessten deutschen Unternehmen setzen SAP ein; R/3 verkauft sich ueber alle Massen gut; in den USA hat SAP mit R/3 eine Lawine losgetreten, deren Auswirkungen noch gar nicht abzusehen sind - offenbar hat der IV-Markt wieder einmal einen Standard geschaffen, an dem man nicht mehr vorbeikommt.

Seit R/3 hat sich das Marktsegment veraendert

Diese Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Branche der DV- Berater. Zwar gab es schon immer ein eigenes Marktsegment der SAP- Beratung, aber auch dieses hat sich veraendert, seit das Unternehmen mit der Einfuehrung von R/3 erstmals eine Art "Vertriebspartnerschaft" mit Beratungsunternehmen einging und vor allem auch einige grosse Hardwarehersteller wie IBM, SNI, HP oder DEC fuer die Vermarktung, Installation und Betreuung seiner Software autorisierte.

Seit dieser Entscheidung stellt sich die Frage, welche Art von Consulting denn im Zusammenhang mit SAP noch erforderlich ist und ob es ueberhaupt noch einen Bedarf an neutraler, unabhaengiger Beratung im SAP-Umfeld gibt.

Dass im Zusammenhang mit dem Einsatz von Produkten dieses Unternehmens ein erheblicher Beratungsbedarf besteht, steht ausser Zweifel und wird durch die Stellenangebote in ueberregionalen Tageszeitungen und der Fachpresse eindrucksvoll belegt.

Aber welcher Bedarf besteht an neutralen und unabhaengigen Beratern ausserhalb des "SAP-Dunstkreises" von Consultling-Unternehmen und Herstellern?

Warum soll eine Firma einen unabhaengigen Berater mit der SAP- Einfuehrung beauftragen, wenn ein einziges Unternehmen wie beispielsweise HP alles als Komplettloesung anbietet? Warum sollte man eine kleine Consulting-Firma fuer ein solches beauftragen, wenn einem eines der grossen, internationalen Beratungshaeuser ein erfahrenes Team und die Gewissheit bietet, jederzeit personelle Verstaerkung und Ersatz fuer ausfallende Mitarbeiter zu bekommen. Die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit liegen auf der Hand:

- umfangreiche Erfahrungen mit Einfuehrung, Anpassung und Betreuung der Software;

- enge Kontakte zum Softwarehersteller mit entsprechend kurzen Informationswegen;

- ausreichende Kapazitaeten, um auch grosse Projekte und Installationen abwickeln und betreuen zu koennen und

- ein zentraler Ansprechpartner zeichnet fuer den Projekterfolg verantwortlich und koordiniert alle beteiligten Soft- und Hardwarelieferanten.

Also besteht kein Bedarf mehr an unabhaengigen Consulting-Firmen ohne SAP-Akkreditierung, an freien Beratern ohne umfangreiche Personal- und Ressourcen-ausstattung?

So undifferenziert im Ja-Nein-Stil kann man diese Frage nicht beantworten.

Trotz aller Begeisterung ueber Leistungsmerkmale und Vorteile der SAP-Software darf man nicht vergessen, dass fuer den Anwender nicht der Einsatz von SAP im Vordergrund stehen darf, sondern die zweckmaessige, wirtschaftliche und bedarfsgerechte Loesung seiner individuellen Anforderungen und Aufgabenstellungen Vorrang haben muss.

Und auch wenn praktisch kein Unternehmen mehr bei der Entscheidung fuer eine Softwareloesung an SAP vorbeikommt, muss bedacht werden, dass der Markt noch immer eine ganze Reihe von Alternativen bietet, die durchaus ihre Daseinsberechtigung haben.

So gibt es viele Situationen, in denen eine Entscheidung bewusst gegen SAP zugunsten einer anderen Standardsoftware oder sogar einer Individualentwicklung getroffen wurde.

Anlass hierfuer war im Falle eines bundesweit agierenden Handelsunternehmens zum Beispiel der Umstand, dass eine verbindliche Aussage ueber das zu erwartende Antwortzeitverhalten aufgrund des grossen Daten- und Transaktionsvolumens von SAP nicht zu erhalten war.

In anderen Faellen ist es das in SAP abgebildete betriebswirtschaftliche Modell, das nicht fuer jede Aufgabenstellung optimal ist. So wurde ein Nahrungsmittelhersteller vor einiger Zeit hinsichtlich der Konzeption und Planung eines Warenwirtschafts- und Vertriebssystems beraten.

Entscheidung nur unter grossen Bauchschmerzen

Dabei stellte sich heraus, dass die notwendigen Modifikationen an der SAP-Software vor allem im Bereich der Beschaffungslogistik so umfangreich geworden waeren, dass sich eine komplette Individualentwicklung als die beste und auch kostenguenstigste Loesung erwies. Dabei wurde diese Entscheidung allerdings nur unter grossen Bauchschmerzen aller Beteiligten getroffen, denn eigentlich haetten IV-Abteilung und Unternehmensleitung den Schritt in Richtung SAP bevorzugt.

Eine solche Entscheidung faellt aber naturgemaess leichter, wenn der Berater kein originaeres Interesse am SAP-Einsatz hat, ausser dem, die beste Loesung fuer seinen Klienten ausfindig zu machen.

Auch die Pruefung und Optimierung von bestehenden Ablaeufen (Stichwort Business Re-Engineering und Prozesskettendesign) muss durchaus nicht zwingend vor dem Hintergrund einer bevorstehenden SAP-Einfuehrung gesehen werden. Auch hier sind die Ziele und Perspektiven des Anwenders hoeher zu gewichten als etwaige Restriktionen, die sich aus einer Standardsoftware ergeben. Gefordert ist also weniger eine profunde Kenntnis der Ablaeufe und Leistungsmerkmale der Software als vielmehr fundierte Branchenkenntnis, Methodenwissen, Erfahrung und die Vertrautheit einer Vielzahl von Unternehmen und Loesungsansaetzen.

Was die Durchfuehrung der SAP-Einfuehrung betrifft, gibt es bei objektiver Betrachtung also eigentlich keine Alternative zur Zusammenarbeit mit einem der SAP-Beratungspartner. Allerdings kann es durchaus gefaehrlich sein, die Gesamtverantwortung diesbezueglich pauschal an einen externen Dienstleister abzutreten, sich dann zurueckzulehnen und ihm im Vertrauen auf seine Kompetenz alle Entscheidungen zu ueberlassen.

In einem solchen Fall besteht die Gefahr, als Ergebnis nicht die optimale Problemloesung fuer das Unternehmen zu erhalten, sondern eine optimale SAP-Installation - was keinesfalls immer dasselbe sein muss.

Berater kann Projekte koordinieren und steuern

Gefordert ist deshalb die aktive Einflussnahme des Anwenders bei der Gestaltung "seines" SAP-Systems - zum Beispiel bei der immer wieder anstehenden Entscheidung, ob eine Anpassung der Ablauforganisation einer Softwaremodifikation vorzuziehen ist oder umgekehrt.

Diese Einflussnahme setzt eine funktionierende Schnittstelle zwischen allen Beteiligten - Fachabteilungen, IV-Abteilung, Einfuehrungsteam - voraus, vor allem aber eine funktionierende Koordination und Steuerung des Einfuehrungsprojekts durch den Auftraggeber.

Gerade dieser Punkt stellt die meisten IV-Abteilungen aber oft vor erhebliche Probleme. Zusaetzlich zu der Belastung aus dem operativen Tagesgeschaeft und zu den Anforderungen, die sich aus der Einfuehrung einer komplett neuen Entwicklungs- und Produktionsumgebung fuer die SAP-Produkte ergeben, muss ein umfangreiches Projekt zumindest konzeptionell im Griff behalten und gesteuert werden.

Projektstatus und -fortschritt muessen regelmaessig ermittelt und transparent gemacht, Zwischenergebnisse geprueft und an das Management und die Fachabteilung vermittelt, Probleme identifiziert und einer Loesung zugefuehrt werden.

Schwierigkeiten offen auf den Tisch legen

Dies stellt auch fuer groessere IV-Abteilungen eine Herausforderung dar, die sich haeufig am schnellsten und effektivsten durch einen externen Berater bewaeltigen laesst. Dass es sich dabei um eine unabhaengige, neutrale Person handeln sollte, ist selbstverstaendlich - nur sie hat im Zweifelsfall die Kraft und den Willen, erkannte Schwierigkeiten anzusprechen und offen auf den Tisch zu legen.

Zu guter Letzt sei ein Aspekt erwaehnt, der in der aktuellen Diskussion zu kurz kommt: leider oft die Funktion von SAP R/3 als "Tueroeffner" fuer Client-Server-Projekte in den Betrieben.

Waren noch vor etwa eineinhalb Jahren nennenswerte C/S-Projekte praktisch nicht zu finden, so hat mittlerweile fast jedes deutsche Grossunternehmen ein konkretes Pilotprojekt geplant oder bereits aufgesetzt. Hier besteht zur Zeit ein grosser Bedarf an Unterstuetzung durch kompetente Fachleute, die nicht nur technische Kenntnisse ueber Unix und relationale Datenbanksysteme mitbringen, sondern vor allem methodisches Know-how und Erfahrungen in der Planung, Abwicklung und Steuerung der Software-Entwicklung in einem solchen Unternehmen.

Genau das ist haeufig ein Schwachpunkt, weil viele Anbieter im C/S- Umfeld keine Erfahrung aus der unternehmensweiten DV mitbringen, sondern aus dem PC- und Unix-Umfeld kommen, wo in der Vergangenheit zum Teil andere Anforderungen und Regeln bestanden als fuer Grossbetriebe.

Um auf die Ausgangsfrage zurueckzukommen: Gibt es noch einen Bedarf an unabhaengiger, neutraler Beratung im SAP-Umfeld?

Die Antwort lautet aus Sicht des Verfassers viermal "Ja":

- Wir brauchen den neutralen Berater im Vorfeld der Entscheidung fuer oder gegen SAP - als Schnittstelle zum Markt, als Lieferanten von Erfahrungen und Kenntnissen aus einer Vielzahl von vergleichbaren Aufgabenstellungen und als Garanten der Objektivitaet bei der zu treffenden Entscheidung.

- Wir brauchen waehrend der Voruntersuchungen und der Vorbereitung des SAP-Einsatzes - als Traeger des methodischen Know-hows und als Interessenvertreter der Anwender, um die Optimierung der unternehmensindividuellen Ablaeufe unabhaengig von der einzusetzenden Softwareloesung sicherzustellen.

- Wir brauchen ihn auch waehrend der eigentlichen SAP-Einfuehrung - nicht fuer die Durchfuehrung der operativen Aufgaben, sondern als Vertreter und verlaengerter Arm des Auftraggebers, der gewaehrleistet, dass diesem das Einfuehrungsprojekt nicht entgleitet, sondern sich jederzeit steuern laesst.

- Wir brauchen ihn, um sicherzustellen, dass das Client-Server- Umfeld, das im Zuge des SAP-Einsatzes in die Unternehmen einzieht, optimal und effizient genutzt wird und auch die Software- Entwicklung im C/S-Umfeld professionell und methodisch fundiert erfolgt.

Zusammenfassend laesst sich sagen, dass die unabhaengige und neutrale Beratung wohl auch durch SAP R/3 nichts von ihrem Stellenwert einbuessen wird. Im Gegenteil: Durch die Rolle der SAP- Beratungspartner fuer die Verwirklichung der Einfuehrung im engeren Sinne wird der neutrale Berater sich wieder verstaerkt seinen eigentlichen Aufgaben zuwenden koennen: die Bereitstellung von methodischem Handwerkszeug, Know-how und Erfahrung, um den optimalen und zweckgerichteten Einsatz einer neuen Technologie sicherzustellen.