Beobachtungen aus der praktischen Arbeit im Technologie-Transfer:\Information ist ein eigener Produktionsfaktor

16.04.1981

Die Fachhochschule Furtwangen macht seit Jahren Technologie-Transfer. Jährlich wickelt sie etwa 250 Industrieprojekte ab. Für über 30 Millionen Mark wurden gemeinsam mit der Wirtschaft Anträge zum Innovationsförderprogramm bearbeitet.

Der Begriff Technologie-Transfer wird im allgemeinen in einem engeren Sinn verwendet: Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft. In jedem Fall soll das aber heißen: nur in eine Richtung und vom "Höheren" zum "Niederen". Diese Definition entspricht nun aber in der Praxis nicht den Tatsachen und ist auch in der Theorie einseitig. Die Praxis zeigt, daß gerade auch die Wissenschaft sehr viel von der Wirtschaft lernt. In manchen Fällen haben wir sogar eine Umkehrung des Gefälles. Wir sprechen also besser von Technologie-Dialog.

Bleibt noch der Begriff Technologie. Es genügt, wenn wir sagen: Technologie ist die Kunde über Produkte und Verfahren im weitesten Sinne.

Informationsverarbeitung und Kommunikation

Informationen nun sind Kenntnisse über beliebige Tatsachen, Ereignisse und Abläufe. Informationsverarbeitung ist dann folgerichtig die Aufbereitung oder Auswertung von Informationen. Daten sind Informationen, die durch spezielle Zeichen oder Funktionen dargestellt werden. Fehlt noch der Begriff Kommunikation, der Verständigung oder Übermittlung von Informationen meint.

Kommunikations-Masken

Eine Maske dient - wie jedermann weiß - zur Verhüllung des Gesichts. Im Umfeld, in dem wir uns befinden, versteht jeder, wenn ich sage: Eine Maske dient zum Ausblenden bestimmter Bits aus einer Bitfolge. Kommunikationsmasken sind nun nichts anderes als Masken, die bei der Kommunikation verwendet werden.

Ich verlasse jetzt das sichere Gebiet der Definitionen und begebe mich ohne dieses Netz in den Bereich der freien Interpretation. Mit Hilfe der Kommunikation wollen wir Informationsverarbeitung betreiben. Eine Patentdatenbank etwa ist Teil der Kommunikation, denn sie ist Träger von Informationen, die mit ihrer Hilfe von einem Sender zum Empfänger gelangt. Andere Teile der Kommunikation sind zum Beispiel Bücher, Messen oder Computer. Diese Teile der Kommunikation wollen wir aber in den Hintergrund rücken und uns auf den Dialog zwischen Menschen konzentrieren.

Der Mensch mit seiner Maske ist ohnehin der entscheidende Faktor. Hier fallen die Würfel und erst hinterher versucht man "Logik" hineinzubringen. Das ist wie mit einem mathematischen Beweis. Da ist die Idee zur Lösung und dann wird das Ganze umgedreht mit der Lösung am Ende und folgerichtigen Schritten, die vorgeben, so hätte man gedacht.

Kommunikation an sich ist wertfrei. Es gibt keine gute oder schlechte Kommunikation. Es gibt aber, abhängig vom Sender, Empfänger und von der Technologie, zweckmäßige oder unzweckmäßige Kommunikation. Eigentlich ist damit alles perfekt. Man wählt die Kommunikation nach Nutzwert, und es gibt nur vollkommene Lösungen.

Leider ist da noch das kleine menschliche Problem. Sender und Empfänger haben Masken, die die Informationen filtern oder modulieren: Passiv- und Aktivmasken. Es kommt noch schlimmer: Filtern und modulieren geschieht sowohl bewußt und hängt außerdem von der Rolle ab, die gerade gespielt wird.

Was anfangs nach einer sauberen Theorie aussah, hat plötzlich einen Haken. Die vielen Parameter und deren Wechselwirkung sind nicht mehr berechenbar. Aus der fast unendlichen Zahl sind nur wenige Masken berechenbar. Beispiel: Die Standardmaske des Vorstands bei einem Gesuch auf Gehaltserhöhung oder die Maske eines Mitbürgers, der absolut nichts Neues aufnehmen will, sondern nur damit beschäftigt ist, das Alte umzumöblieren.

Ich will nachfolgend aus unserer Erfahrung einige Typen von Sendern und Empfänger nennen und dann im letzten Abschnitt zu Thesen kommen, die auch das Umfeld einbeziehen. Halten wir fest: Information und Kommunikation sind wertfrei. Die Filterung und Modulation erfolgt durch den Menschen.

Individual-Masken

Jedes folgende Beispiel möchte ich einem Typ Sender beziehungsweise Empfänger umschreiben. Es geht weniger um das konkrete Beispiel, als vielmehr darum, Verhaltensweisen in verdichteter Form zu skizzieren.

Der Fakultätentyp

Seine Maske lautet zum Beispiel Maschinenbau. Er versucht jedes Problem von der Maschinenbauseite zu lösen. Damit ich richtig verstanden werde: Maschinenbau ist wichtig, Fachwissen ist notwendig. Aber wie die Informationen durch die Maske relativiert werden, sieht man aus folgender Überlegung: Hätte es seit früherer Zeit andere Einteilungen der Fakultäten gegeben, dann wäre auch seine Maske eine andere.

Der Abteilungstyp

Wie ist seine Maske? Alle Informationen, die über die Kommunikation hereinkommen, werden gleichsam digital bewertet; Nützt es meiner Abteilung oder nicht? Bei dessen Person sind die Sensoren in der Maske so fest verdrahtet, daß er die andere Sicht gar nicht mehr hat.

Der Kennzahltyp

Welches Problem Sie auch bearbeiten: Den Einsatz von diesem oder jenem Micro, er sagt Ihnen Umsatz und Umsatzsteigerung der zugehörigen Firmen. Wenn er einmal die Daten nicht weiß, geht es erst weiter, wenn man sie beschafft hat.

Der Fehlersuchtyp

Hüten Sie sich in seiner Abwesenheit davor, einen Vorschlag zu machen, der nicht realisiert wird oder noch schlimmer, der nicht realisierbar ist. Er wird Ihnen nichts mehr glauben. Alle künftigen Informationen von Ihnen werden mittels der "Kill-Funktion" belegt.

Der Rollenverteiler

Er hat sich auch eine Maske zugelegt In einer Besprechung wird jede ankommende Information mit einem vermeintlichen Rollenfaktor des Senders moduliert.

- Ha, Sie sind Politiker, also Ihre, Aussage gilt nur bis zur nächsten Wahl.

- Aha, Sie sind Professor, dann müssen wir anschießend noch einmal einen Praktiker hören.

- Aha, Sie kommen von Kienzle, Sie wollen also etwas verkaufen.

-Aha, Sie sind von der Presse, dann wollen Sie sicher unsere "Türken" sehen.

Der Vorurteilschecker

Jemand hat Probleme: Der Gewinn geht zurück, die Produkte gehen nicht mehr gut. Vielleicht kommt er zu dem Schluß, es ist die Weltlage und ich kann auch nichts daran ändern. Einige unserer Partner im Technologie-Dialog gehören zu dieser Gruppe. Im Grunde suchen sie schon keine Lösung mehr, sondern wollen von uns nur noch einmal bestätigt haben, daß die Lage schwierig ist.

Der Sofortwoller

Bei den Produktfindungs-Projekten gab es einige Partner, die sagten etwa: In 14 Tagen hole ich mir die Produktidee ab. Mit dieser nicht erfüllbaren Aufgabenstellung wird dem anderen die Schuld der Nichterbringung zugeschoben, oder es wird wenigstens versucht. Hier erleben wir an der Maske eine echte Produktinnovation. Zu den Funktionen Filtern und Modulieren ist nämlich ein kleiner Sender hinzugekommen. Es ist gleichsam das intelligente Terminal der Datenverarbeitung, wenn wir den Zentralcomputer als den objektiven Menschen betrachten. Achten Sie also auch auf diese Funktion.

Der Rückdelegierer

Wir haben einem Unternehmer drei aussichtsreiche Vorschläge zur Produktfindung gemacht und ihn gebeten, sich dazu Gedanken zu machen, um sich dann für einen Vorschlag zu entscheiden. Damit wollten wir unseren Anteil abschließen . Es ist ihm auf freundliche Weise gelungen, das Projekt zurückzudelegieren, was wir erst richtig nach der Sitzung gemerkt haben. Nun sollen wir erst einmal je einen Funktionstyp bauen.

Unternehmer steht in meiner Terminologie nicht nur für den Menschen der ein Unternehmen führt, sondern mehr für die unternehmerische Haltung.

Der Träge

Dieser Typ verhält sich häufig wie ein Rückdelegierer. Er ist eigentlich gar kein Unternehmer, obwohl es so heißt. Man muß dazu wissen, daß wir in aller Regel Patente oder patentfähige Ideen ohne besondere Berechnung an die Unternehmer weiter geben. Was ihm auch angeboten wird, er springt nicht an.

Der Einwänder

Wir haben ein bestimmtes Produkt patentfähig einem Partner vorgestellt. Er hat bereits nach dem ersten Satz Einwände gesehen.

Der Übermensch

Das ist der Mensch, der alle negativen Eigenschaften der aufgezählten Typen nicht besitzt, dafür aber alle Positiven.

Gesellschafts-Masken

Die Gesellschafts-Masken unterscheiden sich von den Individual-Masken nicht in ihren Definitionen und nicht in ihren Funktionen Filtern, Modulieren, kleiner Sender. Sie haben sich nur so verbreitet, daß man meinen möchte, sie gehören schon zum Menschen an sich.

Das Japan-Syndrom

Damit die Aussagen besser verständlich werden, schiebe ich vorab noch das Computer-Syndrom ein. Längst bekannt ist: Jemand kann nicht liefern und verwendet als Alibi die Aussage "Der Computer hat die Ware auf die 50. Woche disponiert." Sogar Managementfehler, die eindeutig nicht Datenverarbeitung waren, werden verkauft als "Der Computer". Jetzt zum Japan-Syndrom. Ob Fotoapparate, Uhren, Bauelemente, Werkzeugmaschinensteuerungen, Autos und auch schon Computer. Die Aussage lautet: "Die Japaner". Der Tenor ist fast ausschließlich resignierend, Begründung für fast jeden Mißerfolg, fast immer Lethargie. Man schaut wie das Kaninchen auf die Schlange.

Ganz kurios wird es, wenn man hört: Warten wir einmal ab, die japanische Bevölkerung wird durch die Erfolge selbstbewußter und damit anspruchsvoller, dann folgt die Sättigung und wir haben wieder gleichgezogen.

Schlußfolgerung zur Situation: Das Individuum hat Schwierigkeiten bei einer Problemlösung. Statt zu kämpfen sucht es Fluchtziele wie Utopie oder Nostalgie. Hier wird der Natur-Ereignis-Effekt benutzt.

Die Anspruchshaltung

Beispiele: Mancher Student erwartet vom Professor auf jede Frage eine Anwort. Wenn das nicht geht, verbringt er seine Zeit damit, die Qualifikation seines "Vordenkers" zu kritisieren, anstatt eine Lösung des Problems zu suchen. Mancher Unternehmer und mancher Manager glaubt, diese Eigenschaft sei erblich und ist entrüstet, wenn Mitarbeiter auch plötzlich unternehmerisch denken, obwohl das in der Stellenausschreibung gefordert war.

Mancher Professor erwartet, daß alles, was er sagt, ohne Widerspruch hingenommen wird und beklagt sich gleichzeitig über die mangelnde Initiative der Jugend. Schlußfolgerung zur Situation: Das Individuum nimmt eine zum Teil einfältige Anspruchshaltung ein, statt sich für Problemlösungen zu motivieren.

Aktenlage versus Realität

Manchen Administrator interessiert nur noch, ob das Formular richtig ausgefüllt ist. Er hat überhaupt keine Beziehung mehr zu dem Problem, welches gelöst werden soll. Administrator steht hier für Staat und Wirtschaft.

Manche Technokraten benutzen den Computer nur noch dazu, Auslastungswerte zu erzielen. CPU-Time, Kilo-Core per Second, Paging-Rate sind noch die Harmlosesten. Sie haben völlig verlernt, daß man damit auch Probleme lösen kann.

Manche Manager, die einen Dienstwagen benutzen, verwenden einen zu großen Teil ihrer Aufmerksamkeit darauf, daß vorgegebene Rentabilitätswerte erreicht werden. Kilometer, Fahrtstunden als Funktion von Umsatz, Fahrzeugtyp und Stellung. Sie haben vergessen, daß sie zum managen eingestellt wurden.

Kuriose Geschichte

Dieses Phänomen Aktenlage versus Realität wird ja häufig auch als Bürokratie bezeichnet.

Wenn man heute ein Satellitenprogramm durchsetzen wollte, dann würde man im Fragebogen spätestens an der Stelle scheitern, wo der quantitative Nutzwert angegeben werden muß. Es sollte aber zu denken geben: Das Satellitenprogramm der USA hat den Microcomputer und die Expansion der Bauelemente-Industrie hervorgebracht, obwohl das nicht in der Aktenlage stand. Schlußfolgerung zur Situation: Es ist ein Irrglaube, die Aktenlage sei identisch mit der Realität.

Immer dort, wo das Individuum diese Diskrepanz erkennt, hat es schnell eine Antwort parat: Es sind die anderen, es sind die Beamten, es ist der Staat, es ist unser Top-Management. Nur wir selbst sind es nicht. Kurios wird die Geschichte, wenn jemand seine eigene Bürokratie mit der angeblichen Bürokratie der anderen begründet.

Thesen

Die nachfolgenden Sieben Thesen sollen eine Art Message sein, die ich mitgeben oder wenigstens zur Diskussion stellen möchte .Es sind verdichtete Schlußfolgerungen aus den bisherigen Ausführungen zur Informationsverarbeitungen und Kommunikationsmasken. Wir wollen dabei nicht lückenlos aufarbeiten, sondern auch das Umfeld mit einbeziehen.

These 1 :

"Die Information ist ein eigener Produktionsfaktor neben Arbeit, Kapital und Rohstoff."

-Derjenige , der schnellere und qualitativ bessere Informationen hat, gewinnt einen Wettbewerbsvorteil, daß heißt, wer die nützlichere Kommunikation hat, um zum Beispiel Technologien zu transferieren.

- Durch die Mikroelektronik als Folge der säkularen Halbleiterentwicklung wird die Expansion der Informationsverarbeitung erheblich beschleunigt, ja zum Teil erst ermöglicht.

- Die Innovationszyklen werden für immer mehr Produkte und Verfahren bei größerer Marktsättigung kürzer: Das Planungs- und Investitionsrisiko wird größer.

- Jede Technologie schafft so viel Einsatz, wie sie gut ist.

These 2:

"Viele Menschen müssen ihre Kommunikationsmaske erneuern."

- Es ist ein Irrglaube, daß Management-Informations-Systeme den Entscheider ersetzen.

- Gefährlich ist, unternehmerische Entscheidungen zu treffen, weil Nebenprodukte anfallen (zum Beispiel Förderprogramme, Energieeinsparung, Umweltschutz, Beschaffung von Arbeitsplätzen).

Übertriebene Ist-Aufnahmen schaden dem Soll-Konzept und der Durchführung.

- Die Rollenspiele Theorie und Praxis müssen abgeschafft werden. Sie können allenfalls Aspekte einer integrierten Lösung sein.

These 3:

"Nachdem für anstehende Probleme ein angemessener Begriff gefunden worden ist, erübrigt sich für viele Menschen die Lösung des Problems ".

- Beispiele Innovation, Technologie-Transfer, Strategische Planung, Kommunikationsmaske, Benutzerunterstützung

These 4:

"Die Anspruchshaltung muß ersetzt werden durch Motivation für die Problemlösung."

- Forderungen an andere zu stellen, ist die gefährlichste Krankheit unserer Zeit, wenn damit nicht gleichzeitig ein eigener Beitrag geleistet wird.

These 5:

"Die Aktenlage ist zu vernichten, wenn sie nicht mit der Realität übereinstimmt."

These 6:

"Der Ist-Zustand unserer Gesellschaft lautet: Technik größer Bildung. Der Soll-Zustand: Bildung größer Technik."

- Es ist ein Widerspruch. Menschen nutzen zu ihrem Vorteil die Technik und bekämpfen sie gleichzeitig. Eine andere Strategie ist erforderlich .

- Ein Maschinensturm könnte herbeigeredet werden.

These 7:

"Eine freiheitliche Gesellschaft reagiert zwar sehr träge und läßt sich einiges an Auswüchsen bieten. Wenn sie aber reagiert, kann sie mehr Kräfte mobilisieren als jede andere Form der Gesellschaft."

Johann Löhn ist Rektor der Fachhochschule Furtwangen