Benutzerservice/Trotz Telefon ist Praesenz beim Anwender gefragt Selbsternannte Spezialisten entnerven den User-Support

11.08.1995

Von Horst-Joachim Hoffmann*

"Mein PC spinnt." Die Magier aus dem User-Support muessen wieder ran - am besten sofort oder wenigstens ganz schnell. All-Praesenz und Multitasking, politisches Geschick und Seelsorgerqualitaeten gehoeren zu den Grundanforderungen dieses durch den PC zur Bluete gebrachten Berufs.

Wo PCs und Netze Bleistift und Formular verdraengt haben, ist die Telefonnummer des User-Supports wichtiger als die von Feuerwehr und Notruf. Der Netzwerkadministrator kommt besonders haeufig in den Genuss, seine Unentbehrlichkeit zu erleben. Aus gutem Grund, denn mit dem Aufkommen der PCs als aktiven Netzwerkpartnern ist der Bedarf nach intensiver Anwenderunterstuetzung akut geworden. Bei der Arbeit mit dummen Terminals und Host-Anbindung gab es zwar hier und da auch schon Probleme auf Anwenderseite; sie aber waren wenigstens nicht selbstgemacht.

Erst die neue Technik mit grafischer Oberflaeche, Maus, Multi-dies und Multi-das brachte den User-Support voll in Schwung. Der Lerneffekt stellt sich auf beiden Seiten ein. Der Anwender begreift, wo es langgeht, der User-Supporter erlebt den Blick in die Tiefen der Psyche und Verhaltensmuster im Extrem.

Drei Typen von Anwendern lassen sich erkennen

Drei grosse Gruppen Ratsuchender unterscheiden Profis wie Thomas G.**, verantwortlich fuer Netzwerk und User-Support eines grossen Autozulieferers aus dem Hessischen:

Da gibt es zuerst die "Unbedarften", die froh sind, wenn sie ihren PC eingeschaltet haben, eigenhaendig ihre Anwendungsprogramme starten und bedienen koennen. Diese Gruppe umfasst mehr als die Haelfte der Anwenderschaft.

Zur zweiten Kategorie zaehlen die "Pseudo-Spezialisten", rund ein Drittel der Anwenderschaft. Vermeintlich mit unschlagbarem Know- how begnadet, fummeln sie an saemtlichen Systemeinstellungen herum und schaffen damit sich und dem User-Support Probleme, deren Loesung durch die Supporter nervenaufreibend - weil kritisch beaeugt und kommentiert - wird. Sie wirken so in nicht geringem Ausmass arbeitsplatzerhaltend fuer den User-Support und gelten als das beruehmte Salz in der Suppe.

Mit gut fuenf bis zehn Prozent gehoeren die tatsaechlichen Koenner und "Spezialisten" zur geliebten, da unproblematischen Minderheit im Unternehmen, erzaehlt der Supportfachmann. Die machen keine Arbeit, sondern alles selbst. Im Idealfall sind sie auch noch User-Support fuer die Kollegen in ihrer Umgebung.

Die Fragestellungen, die an den Hilfeleistenden herangetragen werden, lassen sich knapp zusammenfassen: PC ist, wenn man trotzdem lacht. Denn was fuer den PC-Anwender oft schierer Aerger ist, verursacht dem Profi unglaeubiges Kopfschuetteln.

Mit den Schwierigkeiten im Leben eines Anwenders beginnt es schon recht frueh. Thomas G. weiss von Mitarbeitern zu berichten, die beispielsweise echte Maus-Probleme quaelen. Gehen doch einige mit dem elektronischen Tierchen hypervorsichtig um, schieben es mit spitzen Fingern ueber das Mouse-Pad zur richtigen Zeigerposition und klicken freischwebend nach dem System "Adler" auf die Taste. Weggerutscht, was anderes getroffen, aber was? Und wo ist das jetzt?

Noch dramatischer wird es, wenn - wie bei Programmen - mehrere Maustasten mit Funktionen belegt sind. Hier folgt auch noch die Qual des Rechts-Links-Mitte. Spaetestens nach dem zehnten Fehlversuch kommt der Hilfeschrei Richtung Support.

Icons auf grafischen Oberflaechen stellen einen weiteren, von Profis oft unterschaetzten Stolperstein fuer unbedarfte Anwender dar. Nicht nur, dass Icons in ihrer Funktion durch einzig dem Programmierer verstaendliche Symbolik lange Zeit unbegreiflich sind. Viele Anwender denken aus Gewohnheit wortgebunden und moechten wie im Pull-down-Menue lesen, was passiert.

Also zeigen viele Programme mittlerweile auch im Klartext an, was geschehen wuerde oder was als naechster Schritt zu tun sei. Dennoch verleiten bunte Bildchen zum souveraenen Doppelklick. Und flugs geraet die User-Welt ins Wanken.

Mit der Komplexitaet der Netze, eventuell des Einsatzes von Personal Computern und Terminals im Parallelbetrieb der Anwendung, wachsen auch die Probleme der Kommunikation. Bei einer Telefonberatung besteht die Schwierigkeit in der verbalen Verstaendigung ohne Sichtkontakt und Gebaerdensprache. Telefonate ohne gemeinsamen Blick auf den Rechner neigen zur Wirkungslosigkeit.

Fazit: Hintergrund und sprichwoertliches Feeling fehlen oft beim Anwender in seiner ersten PC-Phase - und dieser Mangel ist der Nervenkiller fuer den Support.

Ein Manko liegt auch im System begruendet. Vielfach wird Erstanwendern von den Unternehmen nicht der Freiraum eingeraeumt, sich erst einmal in Ruhe mit dem PC vertraut zu machen, Scheu abzubauen und spielerisch zu ueben. So entstehen Spitzenbelastungen im Support. Bei Neuanschaffungen steht 14 Tage lang das Telefon nicht still, hat Thomas G. erfahren.

Schwierigkeiten der Eingewoehnung sind nicht zu unterschaetzen - wobei auch Banalem Tuer und Tor geoeffnet ist. Windows-Fenster auf maximaler Groesse verstecken mehr, als sie zeigen. Ein Tip: Neue Programme und PCs sollte man nicht am Donnerstag oder Freitag installieren. Das Wochenende traegt zum Vergessen bei.

Privat-PCs foerdern die Selbstueberschaetzung

Dass die ersten Huerden ueberwunden sind, laesst sich daran erkennen, dass der Anwender seinen Supporter duzt. Es folgt die Selbstbefoerderung des Users in die Gruppe 2, die Gilde der Pseudospezialisten. Unterstuetzt wird dieser Aufstieg durch die Anschaffung eines Privat-PCs, der meist auch unter Windows laeuft und als Inselloesung anders als ein Netzrechner diverse Parameter- Verdreher etwas lockerer hinnimmt.

Ein zeitaufwendiges Unterfangen ist die Identifikation der vom Pseudospezialisten fabrizierten Feinheiten, erzaehlt Thomas G. Da werden Parameter geaendert, Icons verschoben oder umbenannt, und der Benutzerdienst soll alles richten.

Beliebtes Spiel ist auch die Anpassung der Farbe an den eigenen Geschmack. Lange von Entwicklern ausgetueftelte Kontraste passen nicht zum aktuellen Outfit des Benutzers. Der Moeglichkeiten gibt es viele, und schnell sind markierte Daten gelb statt blau - die unmarkierten aber bleiben gelb. So what, wir haben ja den Support.

Je weiter fortgeschritten in der Sache, desto einfallsreicher und mutiger wird der Anwender. Da wissen die Hilfestellenden schon tolle Dinge zu erzaehlen. Eine beliebte Stammtischgeschichte ist die, in der die Mitarbeiter flugs mit dem Schraubenzieher in der Hand dem Arbeitsplatz-PC ein paar "ueberfluessige" MB entnahmen, die zu Hause doch viel besser zu gebrauchen waren. Zur Abhilfe eignen sich hier Netzwerk-Ueberwachungsprogramme, die den Status quo auch der Hardware online ueberpruefen.

Am gehaeuften Auftreten der Pseudospezialisten und Bastler scheinen neben den erschwinglichen Heim-PCs auch die betrieblichen Schulungsmassnahmen nicht ganz unschuldig. Nach einem der ueblichen Zwei-Tages-Kurse kommt der Anwender an seinen Arbeitsplatz zurueck. In der alltaeglichen Routine faellt das Erlernte dem Vergessen schnell anheim - aber es bleibt die Eigeneinschaetzung, Software und Rechner gut zu kennen und zu beherrschen.

Psychologisches Geschick ist deshalb fuer den Supportmitarbeiter wichtig. Er muss sich auf sein Gegenueber einstellen - vom Seelsorger beim Erstanwender ueber eine gewisse Partnerschaft bei routinierteren Benutzern bis hin zum Besserwisser mit dem boesen Touch, der alle schoenen Dinge abblockt, reicht die Palette.

Technisches Wissen und psychologisches Geschick

Und ist der Telefonkontakt auch noch so praktisch - Kommunikation und Vorbeugen vor Ort heisst die Devise, vor allem auch bei Wiederholungstaetern. Je oefter der Benutzerdienst per Telefon Probleme loest, desto eher neigt der Anwender im naechsten Fall zur Eigenleistung.

Diese Dynamik kann man wirklich nur durch physische Praesenz aufhalten, meint Thomas G. So ist und bleibt der User-Support eine Gratwanderung zwischen Magie, Psychologie und echter technischer Hilfe.

Eine geschickte Fragetechnik ist unabdingbar fuer den Erfolg. So muss als erstes festgestellt werden, in welcher Umgebung der Anwender sitzt und mit welchem Programm er arbeitet. Word ist nicht gleich Word - und wenn, dann gibt es je nach Netz, Konfiguration und Historie noch verschiedene Versionen und eventuell sogar unterschiedliche Betriebssysteme.

Im zweiten Schritt versucht Thomas G. herauszufinden, ob der Anwender Probleme mit etwas Neuem hat oder ob eine Routinearbeit nicht mehr laeuft. Auch hier sind Geduld und kuehler Kopf gefragt. So hatte Thomas G. den Fall, dass eine Statistikberechnung unter Excel auf einmal zu falschen Ergebnissen kam. Des Raetsels Loesung: Bei einem Absturz war aus unerklaerlichen Gruenden eine Formel auf der Strecke geblieben.

Vieles kann der User-Support per Telefon erledigen. Schon aus Zeitmangel versuchen die Helfer, moeglichst viele Fragen mit dem Hoerer in der Hand zu klaeren - auch wenn nicht wenige die Erfindung der Handys inzwischen verfluchen. Denn dauernd erreichbar zu sein, ergo niemals ungestoert und konzentriert arbeiten zu koennen, ist den Nerven nicht gerade zutraeglich.

Doch dass sich viele DV-Probleme der Anwender ad hoc telefonisch loesen oder wenigstens eingrenzen lassen, schont keineswegs die Schuhsohlen. Praesenz vor Ort ist fuer den User-Support im Unternehmen wichtig. Nicht zuletzt weil den Endanwendern eine Faehigkeit allzu haeufig fehlt, wie zahlreiche Helfer beklagen: Sie sollten zuhoeren koennen.

*Horst-Joachim Hoffmann ist freier Fachjournalist in Muenchen.

**Der Name ist der Redaktion bekannt.