DV-Spezialisten ziehen sich wieder mehr auf technische Aufgabenstellungen zurück

Benutzerservice: Know-how kommt aus den Fachhereichen

02.09.1988

MÜNCHEN - Benutzerservice-Abteilungen sind in hiesigen Unternehmen keine Seltenheit mehr. Gewandelt aber hat sich im Laufe der Zeit ihre Mitarbeiterstruktur: Nicht mehr die DV-Spezialisten, die in der Anfangsphase oftmals den Benutzerservice übernahmen, betreuen die Endanwender. Mehr und mehr haben heute Mitarbeiter aus den Fachbereichen im Benutzerservice das Sagen.

Mit zusätzlichem DV-Wissen ausgestattet sind sie für Einarbeitung, Weiterbildung und Unterstützung der Kollegen in den Fachabteilungen zuständig. Zudem bilden sie die Schnittstelle zur zentralen DV-Abteilung. Konstatiert Org./DV-Chef Jörk Spranger von Fiat: "Früher haben wir den Anwendern gesagt, was möglich und erforderlich ist. Heute wandelt sich das Bild."

Bereits seit vier Jahren verfügt die Saarbergwerke AG in Saarbrücken über einen Benutzerservice. Die damalige Projektgruppe - bestehend aus drei DV-Spezialisten - sollte Aufgaben, Zuständigkeiten und Arbeitsanfall einer solchen Abteilung analysieren und ihre Struktur ausarbeiten. Peter Heß, Leiter der Fachabteilung dezentrale Datenverarbeitung bei den Saarbergwerken: "Von vornherein war geplant, nach Ablauf der Projektphase eine Benutzerservice-Gruppe im Unternehmen fest zu verankern und diese mit Mitarbeitern zu besetzen, die mehr Fachabteilungs-Wissen und weniger DV-Know-how mitbringen sollten."

Als der Benutzerservice ein Jahr später bei den Saarbergwerken offiziell installiert wurde, stockten die Verantwortlichen das Personal auf acht Mitarbeiter auf, die - wie geplant - überwiegend aus den Fachbereichen kamen. Allerdings hatten sie laut Heß zuvor bestimmte DV-Ausbildungsprogramme durchlaufen. Heute besteht der Kern des BS-Teams aus einem Informatiker, einem Ingenieur, einem Betriebswirt und zwei kaufmännischen Sachbearbeitern. Hinzugekommen sind aber zahlreiche "DV-Kontaktleute" in den einzelnen Unternehmensbereichen des Konzerns. Erklärt Heß: "Bei uns arbeiten mittlerweile rund 1000 Mitarbeiter mit Datenendgeräten - PC wie Bildschirm. Da unser Unternehmen noch dazu mit Zweigbetrieben im gesamten Saarland verstreut ist, ist die direkte Betreuung der Anwender durch den Benutzerservice nicht möglich. Deshalb haben wir auch Mitarbeiter vor Ort in den Fachabteilungen, die den verlängerten Arm des Benutzerservices darstellen."

Daß diese Fachbereichsleute zu DV-Kontaktleuten wurden, geschah laut Heß nahezu automatisch. Sie verfügten über mehr DV-Verständnis als ihre Kollegen und wurden deshalb von ihnen zu Hilfe geholt, wenn Probleme auftauchten. Betont Heß: "Aber diese Kontaktleute haben keinen offiziellen BS-Status. Sie arbeiten in ihrer Fachabteilung und betreuen nebenbei ihre Kollegen." Bislang hat sich diese Methode nach Auskunft des Saarbrückener DV-Spezialisten bewährt: "Die Anwender sind mündiger geworden. Dies haben wir entsprechend genutzt, indem wir ohne zusätzlichen personellen Aufwand unseren zentralen Benutzerservice mit einer dezentralen Komponente ausstatteten."

Machbar ist eine derartige Aufsplittung des Betreuungs-personals nach Ansicht von Rainer Sitzmann, Leiter Orga-nisation/Informationssysteme bei der SH-Schieder-Möbel Holding GmbH in Schieder bei Bielefeld, allerdings im wesentlichen nur in Großunternehmen. Bei mittelständischen Betrieben, zu denen er sein Unternehmen zähle, sei indes eine solche Dezentralisierung bis hin zu den einzelnen Abteilungen übertrieben. "Bei uns", betont Sitzmann, "muß die Betreuung universeller sein."

Die westfälische Möbel-Holding verfügt erst seit knapp einem Jahr über ein Benutzerservice-Zentrum. Sitzmann: "Wir stehen eigentlich noch am Anfang mit einem fest etablierten Betreuungsbereich für unsere User." Dafür aber spielte bei den Planungen der BS-Mitarbeiterstruktur von vornherein der Anwender die dominierende Rolle. "Die Problematik eines Arbeitsbereiches kann letztendlich nur der Benutzer selbst definieren. Also muß derjenige, der vor Ort dem User helfen soll, vorzugsweise aus Anwenderkreisen kommen", erklärt der Organisations-Chef das BS-Verständnis seines Unternehmens. Dabei sollte dieser Mitarbeiter die individuellen Bedürfnisse des Benutzers möglichst sogar aus eigener Erfahrung kennen und über ein begrenztes Informationsverarbeitungs-Wissen verfügen. "Auf keinen Fall aber wollen wir in der BS-Abteilung die DV-Koryphäe im Sinne des Softwerkers haben."

Realisiert wurden diese Vorstellungen bei Schieder Möbel mit zwei Mitarbeitern, die zum Bereich Organisation/ Informations- management gehören, aber ursprünglich in Fachabteilungen arbeiteten. "Es sind Mitarbeiter", so Sitzmann, "die sich von sich aus in Richtung Informationsverarbeitung entwickelt haben und demzufolge auch über ein gewisses organisatorisches Geschick verfügen. Das bedeutet: Sie können mit Hard- und Software-Werkzeugen umgehen und entwickeln unter anderem vorkonzeptionierte Anwendungen auf Benutzerebene. Aber sie müssen auch den Nutzungsumfang des Users definieren, ihm diesen beibringen und ihn bei seiner Anwendung unterstützen."

Der eine BS-Mitarbeiter leitete ursprünglich die Abteilung Kostenrechnung, wechselte dann in Sitzmanns Bereich über und ist nunmehr für die Betreuung der Anwender im Berichtswesen zuständig. Die zweite Mitarbeiterin, eine Wirtschaftsinformatikerin mit etwas Programmiererfahrung aber mehr Anwendungspraxis, arbeitet sozusagen an der PC-Basis. Ihr Aufgabengebiet reicht von der Arbeitsplatzanalyse über die Anschaffung und Installation des Rechners bis hin zur Einarbeitung des Mitarbeiters. "Die Gespräche mit dem Benutzer und die Analyse seines Arbeitsplatzes im Vorfeld einer Anschaffung", so Sitzmann, "sind dabei eigentlich die wichtigsten Aspekte. Nur so können die Vorstellungen des künftigen PC-Anwenders berücksichtigt und entsprechend dem Organisationsschema dieses Unternehmensbereiches realisiert werden."

Die BS-Mitarbeiterzahl bei Schieder-Möbel soll schon in naher Zukunft aufgestockt werden. So ist im nächsten Jahr ein Betreuer für CAD-Anwendungen vorgesehen, der verstärkt Konstruktionswissen mitbringt. "Bislang", so Sitzmann, "verfügt unser Benutzerservice über rund 80 Prozent Fachabteilungs-Know-how. Dieses Niveau wollen wir auch in Zukunft halten."

Daß Fachbereichs-Wissen und -Erfahrung bei der Eirichtung von Benutzerservice-Zentren immer wichtiger werden, ist auch bei Unternehmen festzustellen, denen die orgaisatorische Verankerung einer solchen Abteilung noch bevorsteht. Bei der Fiat Automobil AG in Heilbronn beispielsweise gibt es bisher noch keine feste Benutzerservice-Abteilung; an ihre Einrichtung ist allerdings bereits gedacht. Erklärt Jörk Spranger, Org./DV-Leiter der Automobilkonzern-Tochter: "Wir befinden uns derzeit in einer umfassenden Umstrukturierung. Unsere für den deutschen Markt konzipierten Programme werden durch Gesamtpakete ersetzt, die unsere Turiner Muttergesellschaft zentral für den gesamten europäischen Markt entwickelt hat."

Diese Umstellung ist schon längere Zeit im Gange, wodurch die Einrichtung einer Benutzerservice-Abteilung bisher verhindert wurde; auch sind die Anwender dadurch recht unmüdig geblieben.

"Unsere Bemühungen, die DV-Anwendungen zu modernisieren und den Benutzer im Rahmen dieser Neuerungen zu mehr Selbständigkeit zu erziehen, wurden aufgrund der zentralen Entwicklungen verzögert. Folge: Die DV-Lösungen, mit denen die User arbeiteten, wurden immer älter, immer umständlicher und noch schwieriger zu handhaben. So mußte die zentrale DV mit den Fachbereichen notgedrungen eng zusammenarbeiten."

Jetzt aber wird das Versäumte aufgeholt. "Unsere italienischen Kollegen", so Spranger, "geben genaue organisatorische Anweisungen, wie die Umstellung auf das neue DV-Gesamtpaket erfolgen soll." Vorgesehen ist eine klare Aufgabenteilung. Für die Systemseite einer jeden Teillösung ist die zentale Datenverarbeitung zuständig. Für die Anwenderseite werden bestimmte Mitarbeiter aus den Fachbereichen in Turin ausgebildet, um diese Programme aus ihrer Sicht kennen und anwenden zu lernen. Sie sollen dann andere Kollegen ausbilden und unterstützen, wenn Probleme auftreten.

Im Augenblick ist bei der Heilbronner Fiat-Tochter die Umstellung des gesamten Neuwagenpaketes (Auftrag bis Rechnung) an der Reihe. Vorab waren vier Mitarbeiter aus Vertrieb, Marketing und Administration in Turin und bei anderen Fiat-Töchtern zur Schulung.

Erklärt Spranger: "Diese Mitarbeiter sind bislang eigentlich unser Benutzerservice. Sie betreuen die Fachbereiche und haben gleichzeitig Koordinationsfunktion zur zentralen Datenverarbeitung, stehen also in direktem Kontakt zu uns."

Diesen Ansatz aus Turin, die DV auf den technischen Teil zurückzuziehen und die Benutzer für den Anwendungsteil in die Verantwortung zu nehmen, sieht Spranger als eizige Möglichkeit, die zunehmende Durchdringung der Datenverarbeitung in den Fachabteilungen koordinieren und dem Anwender eine allumfassende Betreuung garantieren zu können. Da die Mündigkeit der Benutzer ständig zunehme, müsse sie auch entsprechend kanalisiert werden. Resümiert der Heilbronner Org./DV-Chef: "Früher haben wir den Anwendern gesagt, was möglich und was erforderlich ist. Heute wandelt sich das Bild."