Beispiel: Mehr Buergernaehe in Cottbus Probater Ausweg aus der Krise so mancher deutscher Amtsstube

16.06.1995

Kommunale Verwaltungen leiden weltweit unter dem Amtsschimmel. Innovation und Beamtentum sind erst in neuerer Zeit in einem Atemzug zu nennen. Auf dem muehseligen Weg dorthin koennen Outsourcer wertvolle Hilfe leisten fuer den Dienst am Buerger, aber auch - last, but not least - fuer das Selbstverstaendnis einer modernen Beamtenschaft. Dies legt dieser Beitrag von Reinhard Walter* nahe.

Verkrustete Strukturen, leere Kassen, mangelnde Effizienz: Die angespannte Lage in deutschen Kommunen verlangt nach kreativen Loesungen. Der Wandel der Behoerden zu flexiblen Dienstleistungszentren ist vorprogrammiert. Mit verbesserten Prozessen und einem gezielten IT-Einsatz strebt beispielsweise die Stadtverwaltung Cottbus nach mehr Buergernaehe.

Die Abkehr von der schwerfaelligen Buerokratie in vielen deutschen Amtsstuben stellt alle Organisations- und Verwaltungsablaeufe auf den Pruefstand. Einem Manko der Vergangenheit gilt dabei besonderes Augenmerk: Statt sich mit der Beseitigung von Symptomen zu befassen, packen die Vorreiter des neuen Denkens das Uebel an der Wurzel und beginnen mit der Neugestaltung der Verwaltungsprozesse. Erst danach greifen die Vorteile der Informationstechnik: Als strategisches Instrument eingesetzt, spiegelt die Informationstechnologie die neuen Strukturen und Arbeitsablaeufe wider und verhilft ihnen damit zu mehr Effizienz und Flexibilitaet.

Um den Prozess der Neuordnung zu beschleunigen, waehlen Kommunen wie die Stadtverwaltung Cottbus einen innovativen Weg, naemlich Partnerschaften mit externen Dienstleistern als die verantwortlichen Instanzen fuer Informationstechnologie. Dabei bietet der IT-Dienstleister in der Regel mehr als das klassische Angebot: Das Spektrum reicht haeufig von der Beratung ueber die Systementwicklung und -integration bis hin zum Betrieb der IT im Auftrag der Kommune.

Dieser Service ist im internationalen Umfeld erprobt. So wurde zwischen der britischen Finanzbehoerde "Inland Revenue" und EDS ein Zehn-Jahres-Vertrag mit einem Volumen von 1,5 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Die Zusammenarbeit soll es ermoeglichen, neue Steuersysteme schneller umzusetzen und Kosteneinsparungen im Bereich der IT-Unterstuetzung zu erzielen. Der externe Partner uebernimmt das operative Geschaeft fuer drei Entwicklungs- und elf Rechenzentren.

Auch in Suedaustralien koennte Outsourcing die Grundlage fuer einen Aufstieg zum High-Tech-Zentrum schaffen. Auf Anordnung des dortigen Premiers Dean Brown werden demnaechst saemtliche Regierungsstellen des Landes ihre Datenverarbeitung und - kommunikation auslagern und dem Dienstleister EDS uebertragen. Das Unternehmen spielt in dem Konzept eine Pionierrolle und gilt als Vorreiter fuer weitere Investoren, die insbesondere die Metropole Adelaide zu einer Entwicklungszentrale fuer Datenverarbeitung im asiatisch-pazifischen Raum ausbauen sollen.

Die Partnerschaft stufenweise erweitert

Wichtige Umstrukturierungen als Folge der Wiedervereinigung fuehrten im Jahr 1990 bei der Cottbuser Stadtverwaltung zu dem Entschluss, einen Vertrag mit einem externen IT-Dienstleister abzuschliessen: Kommunale Verfahren sollten die bislang installierten PC-Inselloesungen abloesen. Ein wichtiges Ziel war die Umstellung der Lohn- und Gehaltsabrechnung auf bundesdeutsches Recht. Nach sorgfaeltiger Pruefung durch den externen Partner entschied sich die Stadtverwaltung fuer Softwareloesungen der Datenzentrale Baden-Wuerttemberg. Eingesetzt werden, im Rahmen eines Software-Ueberlassungsvertrags, die Module fuer

Finanz-, Einwohnermelde- und Auslaenderwesen sowie ein System fuer die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten. Mit der Einweihung des EDS-Rechenzentrums in Cottbus im November 1991 uebernahm der Dienstleister Betrieb und Support fuer die Kommunalsoftware auf dem Host.

Von August bis November 1993 entwickelte EDS ein Konzept zur Uebernahme, Erweiterung und zum Betrieb des lokalen Netzwerks der Stadtverwaltung. Damit wurden finanzielle Einsparungen angestrebt. Die Einfuehrung von Controlling-Instrumenten in der Verwaltung wiederum sollte fuer mehr Transparenz in der Kostenrechnung sorgen. Zudem diente dieses Konzept als Grundlage, um ein "technisches Rathaus" fuer den Kundenverkehr aufzubauen.

Die Umsetzung gelang insbesondere durch veraenderte politische Rahmenbedingungen nur mit Zeitverzug. Zunaechst verzoegerten die Kommunalwahlen im Dezember 1993 und die darauffolgenden Koalitionsverhandlungen eine Entscheidung. Auch neue Anforderungen des Innenministeriums des Landes Brandenburg sowie die Genehmigungsverfahren in verschiedenen Ausschuessen des Stadtparlaments trugen dazu bei, dass die letzte Huerde erst Ende September 1994 fiel. Damit war der Weg frei: Die Stadtverwaltung uebertrug EDS alle DV-Dienstleistungen, soweit im Rahmen der geltenden Gesetze moeglich. Mit ihrer Zustimmung zu einer Vertragserweiterung ermoeglichten die Abgeordneten der Stadtverwaltung Cottbus eine neue Partnerschaft zwischen Behoerden und Privatwirtschaft.

Nachdem der IT-Dienstleister bereits seit dem Fruehjahr 1991 im Rahmen eines Zehn-Jahres-Vertrags fuer die Personalabrechnungen der rund 6000 Mitarbeiter der Stadt zustaendig ist, uebernahm er im Herbst 1994 unter anderem auch Betrieb und Support der zentralen Rechnersysteme sowie die Anwenderbetreuung fuer PC-Arbeitsplaetze.

Rueckfuehrung aller Aufgaben gegen Know-how-Verlust

Die Stadtverwaltung Cottbus behaelt die Zustaendigkeit fuer das System-Management, das heisst fuer die Vergabe und Pflege von Zugriffsberechtigungen auf Datenbestaende im LAN sowie fuer die Pflege, Ueberwachung und Sicherung der Datenbestaende auf den lokalen Servern und PC-Arbeitsplaetzen.

Folgende Gruende gaben fuer eine Partnerschaft mit einem externen Dienstleister den Ausschlag:

Die Stadtverwaltung konzentriert sich auf das "Kerngeschaeft" einer kommunalen Verwaltung. Der Servicepartner bringt das Know-how in der Anwendung von Informationstechnologie ein. Fuer zeitlich begrenzte Aufgaben stehen jederzeit zusaetzliche Mitarbeiter des Dienstleisters bereit, dadurch muss der Kunde keine kostenintensiven Ressourcen vorhalten. Der IT-Partner gewaehrleistet die Anwendung moderner, auf die Applikation abgestimmter Technologie. Die Systeme sind jederzeit verfuegbar, die Systembetreuung ist stets sichergestellt.

Ein sehr wichtiger Vertragsbestandteil ist fuer die Stadt Cottbus die Zusicherung, dass EDS alle ihr uebertragenen Aufgaben nach dem Ende der Zusammenarbeit wieder zurueckfuehrt, womit Know-how- Verluste und Abhaengigkeiten des Kunden vermieden werden sollen. Waehrend der Vertragslaufzeit wiederum wahrt ein Beirat hoheitliche Aufgaben der Stadtverwaltung.

Kerngeschaeft des Dienstleisters wiederum ist es, mit Hilfe von Informationsverarbeitung und Branchenkenntnissen einen Mehrwert fuer den Kunden zu schaffen und ihn bei dessen ureigenster Zielvorgabe der kommunalen Dienstleistung zu unterstuetzen. Die Beratung bei IT-Planungen, Netzwerkgestaltung, Geraete- und Systemauswahl, bei der Auswahl kommunaler Verfahren, die Installation aller DV-Komponenten, RZ-Betrieb, Druckausgaben und Datentraegeraustausch mit anderen Behoerden oder Banken, Software- Entwicklung, Anwenderbetreuung und Helpdesk sowie Wartung und Schulung gehoeren zu den wesentlichen Elementen im Servicespektrum des Dienstleisters. Damit wird nicht nur die Komplexitaet der IT fuer den Kunden anwendungsorientiert aufgeloest, sondern auch mehr Effizienz und Transparenz in Ablaeufen und Kostenstrukturen erreicht. Nicht zuletzt entstehen wertvolle Freiraeume fuer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, um sich auf den buergernahen Service zu konzentrieren.

Das Fallbeispiel der Stadt Cottbus ist kein Einzelfall. Viele Kommunen stehen im Spannungsfeld zwischen knappen Budgets und staendig wachsenden Anforderungen. Dabei kann und darf nicht uebersehen werden, dass die bestehende informationstechnische Infrastruktur vielfach veraltet ist und den heutigen Aufgaben nicht mehr gerecht wird. Altsysteme sind pflege- und wartungsintensiv, belasten also auch dadurch die Budgets. Hinzu kommt, dass die Planung, Auswahl und Implementierung geeigneter neuer IT-Prozesse ohne externe Unterstuetzung kaum gelingen kann. Gerade angesichts dieses Szenarios sind strategische Partnerschaften im Rahmen von Outsourcing ein probater Ausweg aus der Krise deutscher Amtsstuben.

*Dr. Reinhard Walter ist Leiter der EDS-Geschaeftsstelle Berlin und Account Manager in Cottbus.