Die Suche nach dem einträglichen Open-Source-Geschäft

Beispiel Caldera: Geschenke oder Geschäfte?

19.10.2001
Können Linux-Companys von Services statt Lizenzen überleben? Eine Gratwanderung zwischen freiem Quellcode und Einnahmen unternimmt Caldera Systems Inc. Firmenchef Ransom Love erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie der Distributor Offenes und Eigenes zusammenzubringen versucht und wie sich das in neuen Lizenzformen und technischen Entwicklungen niederschlägt. Von CW-Redakteur Ludger Schmitz

Wenige Persönlichkeiten aus der Linux-Gemeinde sind derzeit so umstritten wie Caldera-Chef Ransom Love. Insbesondere das pragmatische Lager um die Free Software Foundation (FSF) hat ihm die Aussage verübelt, Microsoft treffe mit seinen Angriffen auf die General Public License (GPL) "die schwächste Stelle von Open Source". FSF-Chef Richard Stallman bezeichnete ihn daraufhin als "Parasit", der nichts mit der Open-Source-Bewegung gemein habe.

Frostig konterte Love, dann sei er halt ein "symbiotischer Parasit". Denn Caldera bediene sich nicht nur an Open-Source-Code, sondern habe seinerseits massenhaft Quellcode der Community zur Verfügung gestellt. "Wir haben die GPL nie verletzt, und wir werden es nicht tun", erklärt Love in einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. "Wir werden auch in Zukunft eine Menge Entwicklungen als Open Source unter der GPL herausbringen - aber nicht alles."

Linux braucht MarketingDer Grund sei ganz einfach, so Love: "Quelloffene Software braucht nicht nur Programmierer. Open Source braucht Marketing und Werbung, um bei professionellen Anwendern erfolgreich zu werden. Das kostet Geld. Ohne die Investitionen von uns und anderen Linux-Firmen bleibt Open-Source-Software nur eine technisch interessante Sache. Wir sind quasi die ungeliebte Marketing-Abteilung der Community. Jeder, der ein paar Zeilen Code beigetragen hat, hält sich für wichtiger als uns."

Dabei bestreitet Love keineswegs die Bedeutung der GPL. "Diese Lizenz wurde entwickelt, um den Zugriff der Entwickler auf ihre Produkte zu sichern; dafür hat sie sich bewährt. Aber das Ziel der GPL war nie ein Business-Modell. Ein auf der Basis der GPL zwangsläufig rein serviceorientiertes Geschäftsmodell hat sich bisher nirgendwo als erfolgreich erwiesen. Man braucht ein Konzept, das Einnahmen generiert, um Investionen in Produktentwicklung, Qualitätssicherung und Support sicherstellen zu können."

Die Konsequenz liegt für Love auf der Hand: "Wir müssen auch mit anderen Lizenzformen als der GPL experimentieren, möglicherweise auch ganz neue entwickeln." Im Zentrum steht insbesondere deine Abwandlung der BSD-Lizenz, welche die Verwendung von Open-Source-Software erlaubt, aber nicht die Veröffentlichung der damit erzielten Weiterentwicklungen erzwingt. Love: "Viele unserer Softwarepartner wollen Open Sources verwenden, aber sie wollen nicht gezwungen sein, deshalb alle ihre Entwicklungen verschenken zu müssen. Sie müssen nach ihren Ausgaben auch entsprechende Einnahmen machen können - oder schließen."

In der Tat steht Caldera in besonderer Weise unter dem Druck von Antagonismen. Einerseits ist das Unternehmen ein Linux-Distributor mit einer langen Open-Source-Geschichte. Andererseits hat Caldera mit dem Kauf von SCO das Erbe eines proprietären Unix-Derivats angetreten. Für diese Übernahme gab es zwei gute Gründe: Erstens war SCO ebenso wie Caldera auf Betriebssysteme für Intel-Prozessoren konzentriert. Zweitens erwarb Caldera SCOs stärkste Seite, ein Netz von weltweit über 12000 Vertriebs- und Softwarepartnern.

Dieses Netz soll die Basis für eine massive Verbreitung von Linux bei professionellen Anwendern sein. Die einstigen SCO-Partner sind seit jeher darauf spezialisiert, nicht einfach Systeme zu installieren, sondern sie zu integrieren und mit spezifischen Softwarelösungen auszustatten. Genau aus dieser Kompetenz möchte Caldera einen Geschäftserfolg mit Linux schaffen. Der Caldera-Firmenslogan heißt prompt "Unifying Unix with Linux for Business".

Love geht dabei davon aus, dass Linux eine starke Position bei Web-orientierten Anwendungen hat. "Außerdem dürfte es bei Embedded Devices stark expandieren und in der Folge über Geräte wie Thin Clients stärker in die Unternehmens-IT eindringen." Allerdings werde das die Marktmacht von Microsoft im Bereich der Fat-Client-PCs kaum beschneiden. "Also brauchen wir Mittel zur Integration der Microsoft-Applikationen." Linux weise bisher "Schwächen im Back-Office" auf, wo Unix hingegen seine Stärke habe.

Der Caldera-Chef ist überzeugt, "dass Linux in Kombination mit Unix im Back-Office eine stärkere Rolle einnehmen wird". Dazu müsse das Open-Source-Betriebssystem aber in diesem Highend-Bereich noch vorankommen. "Und das verlangt vor allem Applikationen sowie Infrastruktur- und Administrationssoftware." Hinsichtlich der Anwendungen ist es laut Love notwendig, dass die Softwarehäuser nicht nur eine oder zwei ihrer Applikationen, sondern möglichst alle auf Linux portieren. Das sei keineswegs illusorisch, denn "schon die Spezifikation 1.0 der Linux Standard Base reduziert den Portierungs- und Testaufwand bei einer Anwendung auf eine Grundlage statt auf vier oder fünf Derivate".

In Sachen Infrastruktur- und Administrationssoftware positioniert sich Caldera selbst. Im Fühjahr 2001 hat das Unternehmen "Volution" vorgestellt, eine plattformübergreifende System-Management-Lösung. Sie ist nicht als Konkurrenz zu den großen Lösungen von IBM/Tivoli, HP oder CA aufgestellt, sondern soll diese als Plug-in-Modul in die Lage versetzen, Linux-Systeme zu integrieren. Hier hat Linux also die Rolle eines Zusatzes.

Diese Konzeption, am oberen Ende der Leistungsskala Linux eher zur Erweiterung zu nutzen, lässt sich auch in der Entwicklung der proprietären Caldera-Betriebssysteme "Unixware" und dessen Nachfolger "Open Unix 8" erkennen. Open Unix 8 bringt eine "Linux Kernel Personality" (LKP) mit. Sie macht es möglich, eine große Anzahl von Linux-Anwendungen ohne Änderungen auf dem Unix-System zu starten. Damit können diese Programme Entwicklungen der SCO/Caldera-Unix-Systeme wie Journaling-File-System und höhere Skalierbarkeit bis auf 32 CPUs nutzen. Love: "Der Unix-Kernel ist dem von Linux um das Zwei- oder Dreifache überlegen."

Durch LKP zum Janus-KernelDie LKP stellt weder oberflächliche Anwendungskompatibilität über Emulatoren her, noch handelt es sich um eine virtuelle Maschine mit einem parallelen Linux-Kernel. Vielmehr bringt die LKP eine Erweiterung des Unix-Kernels, der direkt Linux-Systemaufrufe umsetzt. Linux- und Unix-Programme laufen parallel.

"Damit möchten wir nun nicht zum Ausdruck bringen, dass Linux gegenüber Unix die Rolle des Juniorpartners hat", erklärt Caldera-Chef Love. Am unteren Ende der Unix-Leistungsskala übernimmt Linux - verstärkt durch Features von Unix - die Dominanz. Love: "Das SCO-Erbe Open Server für kleinere und mittelgroße Umgebungen ist zwar eine stabile Quelle von Maintenance-Einkünften, aber wir betreiben keine Weiterentwicklung mehr."

Caldera möchte das Open-Server-Betriebssystem auf Linux bringen. Genau genommen geht es hier darum, die Distribution "Open Linux" um Unix-Technologie zu erweitern. Das Ganze soll nach Angaben von Love als Open Source veröffentlicht werden, "aber wahrscheinlich nicht unter der GPL". Eine Vorabversion dieser Technologie wurde im August auf dem Caldera-Forum unter dem Codenamen "Portable Open Server" vorgestellt.

Symbiotische ProdukteDie Verstärkung des Unix- wie des Linux-Flügels durch Integration von spezifischen Vorteilen der jeweils anderen Seite untermauert Love durch eine weitere Aussage: "Künftig wird es nicht mehr nur Unix und nicht mehr nur Linux geben." Das verschiebt en passant das Portfolio und die Marktorientierung von Caldera. Die Firma, die einst mit dem Vertrieb einer Linux-Distribution an Privatinteressenten begann, konzentriert sich eindeutig auf kommerzielle IT-Anwender.

In diesen Kundenkreisen steht - anders als bei Privatanwendern - die Frage der Lizenzform nicht an erster Stelle. Für Caldera heißt das: Generell Ja zu Open Source, insbesondere zum Linux-Kernel und ihm nahe stehenden Programmen. Aber Nein zur kostenlosen Freigabe der darüber liegenden Layer und Integrationslösungen. Love begründet das so: "Wir müssen bei unseren Kunden und bei unseren Partnern dafür geradestehen. In diesen Erweiterungen liegt für sie eine Versicherung für die Entwicklungen der nächsten Jahre, eine Roadmap. Das ist eine Perspektive, die man von der Open-Source-Community momentan nicht bekommen kann."

Die Hauptlinie von Caldera zeigt sich in der "Open-Access"-Lizenz von Unix Open 8. Diese Lizenzform hat auf den ersten Blick frappierende Ähnlichkeiten mit Microsofts "Shared-Source"-Modell. Anwender erhalten den Sourcecode, aber der Hersteller behält sich vor, die autorisierende Instanz für seine weitere Entwicklung zu sein. Anders als bei Microsoft dürfen Caldera-Kunden jedoch nicht nur Verbesserungsvorschläge machen, sondern den Sourcecode selbst verändern. Caldera verlangt allerdings eine Kopie dieser Änderungen, um sie gegebenenfalls zu übernehmen.

Aufschrei der OSS-BewegungAuffälligerweise führte Calderas neues Lizenzmodell nicht zu größeren Aufregungen. Die gab es aber, als Caldera für die Open-Linux-Version Workstation das "Certificate of License Authenticity" (Cola) einführte. Dessen Neuerung bestand vor allem darin, dass die Software - anders als sonstige Linux-Derivate - an ein System gebunden ist und nicht beliebig oft installiert oder kopiert werden darf. Aufgrund massiver Proteste musste Caldera nachgeben. Die Einschränkung gilt nicht mehr für Privatanwender, sondern nur für Unternehmensinstallationen.

Caldera ist also keine Firma, die sich durch die Übernahme von SCO von ihrer Vergangenheit freigekauft hat. Das Unternehmen ist weiter auf einer Gratwanderung. Auf der einen Seite hat es seine Geschichte und eine Verankerung in der Open-Source-Community, auf die es nicht verzichten kann, weil es Linux braucht. Auf der anderen Seite muss es nach Möglichkeiten suchen, Einnahmen zu generieren, die sich mit einer Serviceorientierung nach reinster Open-Source-Lehre offenbar nicht machen lassen. Und daher muss Caldera den goldenen Mittelweg schnell finden.