Auf dem Prüfstand: Softmatic AG

Beim Überflug der Branche jäh abgestürzt

16.02.2001
MÜNCHEN - Katastrophenmeldungen von Unternehmen am Neuen Markt sind an der Tagesordnung. Die Softmatic AG machte da keine Ausnahme. Jetzt arbeitet der ERP-Spezialist fieberhaft an einem Neuanfang. Von Beate Kneuse*

Noch bis Mitte Oktober vergangenen Jahres schien die Welt für die Softmatic AG, Norderstedt, in Ordnung zu sein. In rascher Folge waren seit Januar sieben Akquisitionen unter Dach und Fach gebracht worden, die die Geschäfte der Norderstedter auf eine breitere Basis stellen sollten und den Personalstamm auf über 580 Mitarbeiter aufstockten. Vorstandschef Olaf Malchow sah aufgrund der "nach wie vor planmäßig laufenden Geschäfte" keinen Grund, von seiner nach der ersten Jahreshälfte kräftig angehobenen Ergebnisprognose für das laufende Jahr abzuweichen: 120 Millionen Mark Umsatz und eine schwarze Null. Und im Jahr 2001 sollten die Gewinne sprudeln.

Nur vier Wochen später war alles Makulatur. Für die ersten neun Monate des Geschäftsjahres 2000 musste Softmatic mit 62,2 Millionen Mark einen deutlich unter Plan liegenden Umsatz bekannt geben, weitaus schlimmer aber war der auf 27,8 Millionen Mark gestiegene Verlust. Denn im vergleichbaren Zeitraum 1999 hatte das Minus bei 8,5 Millionen Mark gelegen, und auch noch im ersten Halbjahr 2000 waren die roten Zahlen wie vorgesehen von 5,5 auf 3,7 Millionen Mark verringert worden. Und die nunmehr revidierte Prognose für das Gesamtjahr war ebenfalls alles andere als rosig. Beim Umsatz nahm Softmatic-Lenker Malchow nun lediglich 90 Millionen Mark ins Visier, der Vorsteuerverlust werde sich auf 39 Millionen Mark belaufen, hieß es.

Einzelheiten zum Sanierungsplan folgten Mitte Dezember. Malchow verkündete die Aufgliederung der Aktivitäten in vier als Profit-Center zu führende Geschäftsbereiche: Software für die mittelständische Prozessindustrie, betriebswirtschaftliche Software für Industrie, Handel und Dienstleistungen, Standardsoftware für das Rechnungswesen und Integrationslösungen für das Dokumenten-Management. Vorteil laut Malchow: "Klare Organisationsmuster sorgen für weniger Overhead." Dadurch plane man, die Kosten um rund sechs Millionen zu senken. Insgesamt sollen im Jahr 2001 rund 20 Millionen Mark eingespart werden. Dazu tragen Personaleinsparungen rund 14 Millionen Mark bei.

Vorstandsmitglied Johannes Godehard, bis dato zuständig für die Prozessindustrie, nahm seinen Hut - Firmenangaben zufolge zog er damit die Konsequenz aus den Diskussionen um den Umstrukturierungsprozess und folgte damit Gerhard Brunnbauer. Der für Vertrieb und Marketing verantwortliche Vorstand hatte bereits im November nach Bekanntgabe des finanziellen Desasters das Weite gesucht.

Ganz offensichtlich haben sich die Softmatic-Lenker wie viele andere Newcomer an der Börse dazu hinreißen lassen, zu viele Akquisitionen in zu kurzer Zeit zu tätigen. Zwar erschien es für die Strategie der Norderstedter durchaus sinnvoll, zusätzlich zum angestammten ERP-Geschäft in der mittelständischen Prozessindustrie mit Zukäufen in weitere Branchen vorzudringen. Doch solche Übernahmen wollen verdaut sein. Malchow indes weist weit von sich, sich mit seiner Einkaufstour übernommen zu haben. "Die Ergebnisse aller zugekauften Unternehmen liegen im Rahmen unserer Erwartungen. Sie sind zu tragenden Säulen des Konzerns geworden."

Tatsächlich dürfte beispielsweise der Einstieg in den "Comet"-Markt - der betriebswirtschaftlichen Standardsoftware der einstigen Nixdorf Computer AG - mit der Übernahme des langjährigen Comet-Spezialisten Systec AG im Frühjahr 2000 ein zunächst sinnvoller Schritt gewesen sein. Trotzdem ist das Unterfangen gewagt. Bislang sind jedenfalls selbst die ERP-Größen SAP, J.D. Edwards und Baan mit ihren Produkten bei den rund 6000 Comet-Anwendern in Deutschland meist auf Ablehnung getroffen.

Unabhängig davon erklärte der ehemalige Softmatic-Vertriebsvorstand Brunnbauer noch im Frühjahr vergangenen Jahres selbstbewusst, man sei mit dem Kauf der Systec AG, die immerhin rund 150 Comet-Kunden betreue und "den Mittelstand verstehe", weit besser gerüstet als die Konkurrenz - seien es die besagten Größen der ERP-Szene oder Wettbewerber vergleichbarer Kategorie wie Navision. Dennoch nahmen Malchow & Co., die in ihrem Spezialmarkt aufgrund relativ hoher Eintrittsbarrieren nahezu konkurrenzlos agieren, den wesentlich härteren Wettbewerb um die Comet-Anwender möglicherweise zu leicht.

Ein weiterer nahe liegender Schluss wäre, dass die Norddeutschen im Gerangel um dieses vermeintlich attraktive Marktsegment ihr eigentliches Kerngeschäft vernachlässigten. Dies jedoch bestreitet Malchow: "Nach einem erfolgreichen ersten Halbjahr bekamen wir die für alle Anbieter unerwartete Schwäche des Marktes zu spüren." Mit anderen Worten: Die Einnahmen mit Standardsoftware für die Prozessindustrie lagen (doch) deutlich unter Plan. Es sei eine Art Ruhe nach dem Jahr-2000-Wechsel eingetreten, die Investitionen der Kunden seien eher in IT-fremde Projekte geflossen, strapaziert der Softmatic-Chef die allgemeine Lesart seiner Branche.

Der Versuch, im Comet-Markt Land zu gewinnen, war nicht der einzige Schachzug der Nordlichter mit Blick auf neue Kundenpotenziale. Obwohl man sich im Vorstand bereits darüber klar sein musste, dass das dritte Quartal ausgesprochen schlecht verlaufen war, kündigte Softmatic im Oktober vergangenen Jahres an, Teile der in Ottobrunn bei München ansässigen Ditec Informationssysteme GmbH zu übernehmen.

Ditec-Deal zu Makulatur erklärtDabei handelte es sich um den Bereich Document Solution Software, mit dem man den in der Tochtergesellschaft Softmatic Informations-Management GmbH angesiedelten Aktivitäten im Bereich Dokumenten-Management mehr Schlagkraft in einem ebenfalls wettbewerbsintensiven Markt verleihen wollte, zum anderen um die Finanz- und Lohnbuchhaltungs-Division Carat Software. Doch eine vergangene Woche veröffentlichte Ad-hoc-Mitteilung erklärte alles wieder zu Makulatur. Beide Übernahmen, die 2001 rund 16 Millionen Mark zum geplanten Umsatz beisteuern sollten, werden "im Zuge der Restrukturierung des Konzerns" nicht vollzogen, hieß es.

Die üppige Shopping-Tour im eigenen Land hielt die Softmatic-Verantwortlichen nicht davon ab, auch international weiter zu expandieren. Nachdem mit Hilfe der 1999 beim Börsengang aufgefüllten Kasse bereits Niederlassungen in Österreich, den Niederlanden, England, Spanien, Frankreich und der Schweiz aus der Taufe gehoben waren, schloss man Ende Juni 2000 einen Kooperationsvertrag mit dem ERP-Spezialisten Great Plains. Zwei Monate später eröffnete man in Atlanta eine eigene US-Niederlassung. Doch das Abenteuer USA war zu Ende, noch bevor es richtig begonnen hatte. Neben der bereits erwähnten Schließung der US-Niederlassung dürfte dabei vor allem die Tatsache, dass Kooperationspartner Great Plains Anfang Januar von Microsoft gekauft wurde, ein Schlag ins Kontor gewesen sein. Was aus dem Vertrag mit Softmatic wird, ist derzeit mehr als fraglich.

Summa summarum scheinen die Norderstedter tief in der Krise zu stecken, die mindestens zum Teil hausgemacht ist. Durch Beibehaltung des margenträchtigen Lizenzgeschäfts und gleichzeitige Verlagerung des sehr personalintensiven Projektgeschäfts auf qualifizierte Vertriebspartner verbessere sich die Ertragslage des Konzerns deutlich, heißt es in erwähnter Pflichtveröffentlichung zum Kappen des Ditec-Deals schwammig. Malchow übt sich zudem in Durchhalteparolen. Das Unternehmen sei auf dem besten Wege, sich wieder zu erholen: "Der Markt spricht dafür."

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.

Abb: Softmatic AG

"Der Markt spricht für uns", ist Softmatic-Chef Malchow optimistisch. Der Aktienkurs nicht. Das Papier dümpelt bei knapp drei Euro. Quelle: Softmatic AG