Schnelle nationale Normierung positiv für Endgeräteentwicklung:

Beim Thema ISDN haben die Deutschen die Nase vorn

29.03.1985

Nahezu zeitgleich mit dem Startschuß für die Digitalisierung des analogen Fernsprechnetzes durch die Bundespost kündigten in rascher Folge alle bundesdeutschen Hersteller digitaler Nebenstellenanlagen - mit Ausnahme der beiden Vorreiter DeTeWe und Nixdorf, die bereits mit ihren Geräten präsent sind - entsprechende Systeme an. Die meisten Announcements beschränkten sich jedoch nicht nur auf digitale Anlagen, sondern enthielten auch eine Option für die im Dienste-integrierenden Fernmeldenetze, besser bekannt unter der Abkürzung ISDN, möglichen neuen Leistungsmerkmale. Theodor Irmer, seit Anfang des Jahres Direktor der internationalen Fernmeldebehörde CCITT in Genf, skizziert die weitere Entwicklung der öffentlichen Netze und schlägt von daher eine Brücke zum Endgerätebereich.

Das Prinzip der Evolution, nach dem das ISDN sich aus dem digitalen Fernsprechnetz und dieses sich wiederum aus dem analogen Fernsprechnetz entwickelt, ist heute weltweit unbestritten. Hier soll versucht werden, die Zielsetzungen herzuleiten, wie sie sich bei der Einführung des ISDN und natürlich auch bei den Pilotprojekten als dessen erste Realisierungsstufe ergeben.

Grundlage bildet die Aussage, daß sich das ISDN aus dem digitalen Fernsprechnetz entwickelt. Diese Entwicklung wird durch gezielte Erweiterungen an bestimmten Stellen des Netzes und nur soweit bedingt vorgenommen. Das Motiv für dieses Vorgehen ist klar: Durch Minimisierung der Kosten für die Vorleistungen des ISDN soll dessen Wirtschaftlichkeit so attraktiv wie möglich gemacht werden. Es muß immer wieder hervorgehoben werden, daß der Erfolg oder Mißerfolg des ISDN fast ausschließlich von dessen wirtschaftlichen Eigenschaften abhängen wird -dies interessiert den Kunden. Für noch so interessante technische Lösungen wird er sich nur insoweit begeistern können, als ihm diese zu attraktiven Preisen angeboten werden.

Wirtschaftlichkeit wichtig

Die gezielten Erweiterungen liegen beim ISDN fast ausschließlich in der Teilnehmerebene, das heißt im Bereich zwischen ISDN-Endgerät und -Vermittlungsstelle. Dieser Bereich entscheidet über die Nutzung des ISDN, denn hier wird sich zeigen, mit welchen technischen Mitteln die potentiellen Möglichkeiten des ISDN in der Praxis umgesetzt und damit den Kunden angeboten werden können. Aus dieser Erkenntnis heraus hat man auch im CCITT die Standardisierung des ISDN zunächst in dieser Netzebene begonnen.

Beim Einsatz technischer Mittel in dieser Netzebene für die Einführung des ISDN wird man sich weitestgehend der vorhandenen Infrastruktur und hier besonders des Teilnehmer-Anschlußnetzes bedienen. Der Grund hierfür ist - ähnlich wie bei der gezielten Erweiterung - die Senkung der Kosten im Interesse der Wirtschaftlichkeit des ISDN. Gerade die Nutzung der vorhandenen Infrastruktur ist es, die das ISDN so attraktiv erscheinen läßt. Man muß bedenken, daß ein Großteil der Investitionen des Fernsprechnetzes gerade im Teilnehmer-Anschlußnetz liegen, und es ist daher außerordentlich günstig, die Ressourcen ohne Mehrkosten auch für das ISDN nutzen zu können.

ISDN wird erweitert zum Breitband-ISDN

Wenn auch das künftige ISDN viele Dienstleistungen anbieten wird, die in heutigen Netzen noch nicht darstellbar sind, so besteht doch kein Zweifel, daß das ISDN nach heutigen Vorstellungen sich zum "Breitband-ISDN" erweitern wird, das als wesentliches Merkmal die Übermittlung von Tonprogramm- und Bewegtbildsignalen zusätzlich zu den "Schmalband-ISDN-Diensten" bietet. In Erfüllung des Evolutionsprinzips wird man bei allen Maßnahmen, die für das künftige ISDN zu treffen sind, prüfen müssen, inwieweit die Erweiterung beziehungsweise die Kompatibilität mit dem künftigen ISDN sichergestellt ist. Kurzsichtigkeit bei heute festzulegenden Parametern des ISDN könnte sich schon in wenigen Jahren verhängnisvoll auswirken.

Umfangreiche nationale Standardisierung

Wie lassen sich nun diese Zielsetzungen für die Realisierung des ISDN am besten erfüllen, oder welche technischen Maßnahmen (Hard- und Software) im Teilnehmerbereich sind zu treffen? (Die hierfür in Frage kommenden Einrichtungen sollen hier zusammenfassend als "ISDN-Komponenten" bezeichnet werden.) Auf drei Punkte ist besonders hinzuweisen:

þFür die ISDN-Komponenten sind technische Lieferbedingungen beziehungsweise Richtlinien in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Firmen der Industrie erarbeitet worden. So ist eine umfangreiche nationale Standardisierung (rund 2000 Seiten) entstanden, die bisher in keinem anderen Land in ähnlicher Detaillierung existiert.

þDiese nationalen Standards stützen sich auf die ISDN-Empfehlungen des CCITT (I-Serie), wie sie von der achten Vollversammlung im Oktober 1984 angenommen wurden. Diese enge Verzahnung konnte nur durch erheblichen Arbeitsaufwand bei den parallel laufenden nationalen und internationalen Standardisierungsgesprächen erreicht werden.

Nach unserer Kenntnis ist die DBP bisher die einzige Fernmeldeverwaltung, deren ISDN-Standards bereits in vollem Umfang die neuen CCITT-Empfehlungen berücksichtigen.

Pilotprojekte sind keine Feldversuche

Die nach den nationalen ISDN-Standards zu entwickelnden Komponenten sind grundsätzlich für den Serieneinsatz geplant. Die Pilotprojekte dienen der Erprobung vor Beginn der Lieferungen für den Serieneinsatz. Sie stellen, somit keine Feldversuche oder Experimente dar; ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, daß vor Aufnahme der Serienlieferungen das einwandfreie Zusammenspiel aller Komponenten nachgeprüft und nachgewiesen werden kann.

Schwerpunkt ist die Geschäftskommunikation

Es ist geplant, im Rahmen des Pilotprojekts, ab 1986 in Stuttgart und Mannheim jeweils bis zu 400 ISDN-Endgeräte anzuschließen. Ausschlaggebend war hier die hohe Dichte an Geschäftsanschlüssen, die in beiden Städten vorhanden ist und eine Grundvoraussetzung für das Gelingen des Pilotprojekts darstellt, denn zumindest in der Anfangsphase wird das ISDN der geschäftlichen Kommunikation dienen.

Bei den ISDN-Anschlußkonfigurationen kommt dem Basisanschluß in seinen verschiedenen Realisationsformen besondere Bedeutung zu. Er wird auch im Pilotprojekt Schwerpunkt sein und entsprechend häufig in unterschiedlicher Konfiguration eingesetzt werden. Da bei den ISDN-Komponenten eine größere Anzahl von Herstellerfirmen zu erwarten ist, wird das Pilotprojekt gestaffelt in mehreren Phasen durchgeführt werden.

Allmähliches Zuschalten von ISDN-Komponenten

Trotz aller Sorgfalt kann keine Spezifikation so eindeutig und bis ins letzte definiert sein, daß Geräte unterschiedlicher Hersteller einfach "zusammengesteckt" werden und sofort reibungslos funktionieren. Dies wird man erst durch allmähliches Zuschalten von ISDN-Komponenten zu bereits geprüften und funktionierenden Einrichtungen. Schritt für Schritt ermöglichen können, und dies ist auch der Grund für die Staffelung des Pilotprojektes in aufeinanderfolgende Phasen. Durch eine sorgfältige und umfangreiche Projektbegleitung wird sichergestellt, daß alle in den verschiedenen Phasen gewonnenen Erkenntnisse sofort ausgewertet und gegebenenfalls in den nationalen ISDN-Standards berücksichtigt werden. Ziel der Bundespost ist und bleibt es, ab 1988 die ISDN-Serientechnik flächendeckend einzuführen.