Schlechte Systemantwortzeiten "verschwenden" enormes Produktivitätspotential:

Beim Response liegt der "Knackpunkt" unter einer Sekunde

08.08.1986

Langsame Systemantwortzeiten am Bildschirm können den Arbeitsrhythmus des Benutzers empfindlich stören. Das zieht wiederum den Verlust von Sekunden an Arbeitszeit nach sich. Bei rund 500 000 Terminals, die in den großen deutschen Unternehmen installiert sind, werden sich diese wenigen Sekunden im Jahre 1986 zu einem Gegenwert von zirka 10 000 Arbeitsplätzen aufsummieren.

Daß kurze Systemantwortzeiten wichtig für die Arbeitsproduktivität an einem Terminal sind, war Fachleuten schon seit vielen Jahren bekannt. Doch erst eine Studie von Arvid Thadhani im Jahre 1981 führte erstmals zu der auch durch Messungen belegten Erkenntnis, daß vor allem bei Systemantwortzeiten von weniger als einer Sekunde ein überproportional hoher Produktivitätsgewinn entsteht.

Erklärt wird dieses Phänomen mit der menschlichen Veranlagung zur "Denk-Kontinuität" .

In der Verkürzung der Systemantwortzeit auf Werte wesentlich unter einer Sekunde liegt ein bisher noch wenig realisiertes zusätzliches Produktivitäts-Potential. So verbessert sich beispielsweise in einer TSO-Arbeitsumgebung laut Thadhani, die Arbeitsproduktivität am aktiven Terminal bei Verbesserung der Systemantwortzeit von 2,5 Sekunden auf 0,2 Sekunden auf etwa das Doppelte (Abb. 1).

Diese Zusammenhänge machen auch vom Grundsatz her verständlich, daß die öfter gehörte Meinung "zu schnelle Systemantwortzeiten könnten bei Terminalbenutzern zu Streß-Situationen führen", durch die praktische Erfahrung nicht bestätigt wird. Die Erfahrung zeigt im Gegenteil, daß schlechte Systemantwortzeiten Streß und eine negative Einstellung zur Arbeit am Terminal zur Folge haben.

Verkürzte Systemantwortzeiten führen auf der einen Seite zu einer höheren Produktivität der Terminalbenutzer und dazu gehören auf der anderen Seite notwendigerweise höhere Transaktionsraten und damit eine höhere Systemlast. Zu berücksichtigen sind somit zwei Kostenfaktoren:

- Steigende Produktivität verringert die Personalkosten pro Ergebniseinheit.

- Die dabei entstehende höhere Systemlast erhöht allerdings auch den Systemaufwand. "Optimierte Systemantwortzeiten" sind folglich diejenigen Systemantwortzeiten, bei denen der "Gesamtaufwand" bestehend aus Personal- und System-Kosten ein Minimum wird (Abb. 2). Das ist 1986 normalerweise bei Systemantwortzeiten von weniger als einer Sekunde der Fall.

Die bisher durchgeführten Untersuchungen über die Bedeutung von kurzen Systemantwortzeiten erfolgten vor allem in TSO-Umgebung. TSO-Arbeitslast repräsentiert gegenwärtig zirka 30 bis 40 Prozent der gesamten Online-Arbeitslast auf großen zentralen Systemen. Der andere Teil entfällt hauptsächlich auf datenbankspezifische Anwendungen, die zum Beispiel CICS oder IMS/DC als Trägersystem verwenden. Damit lautet eine weitere zentrale Frage: Inwieweit sind kurze Systemantwortzeiten auch für datenbankspezifische oder operationale Anwendungen von Bedeutung?

Nach gegenwärtigen Erkenntnissen läßt sich diese Frage auf die generelle Fragestellung zurückführen, wie viele der verwendeten Transaktionen "Denk-Kontinuität" beinhalten. Nach bisherigen Erfahrungen liegt dieser Anteil normalerweise bei über 60 Prozent, das heißt, die bei TSO gefundene Verbesserung der Benutzerproduktivität bei kürzer werdenden Systemantwortzeiten stellt sich auch bei datenbankspezifischen Anwendungen ein, allerdings in von Fall zu Fall unterschiedlicher, schwächer ausgeprägter Form.

Etwa 65 Prozent aller bei deutschen Großunternehmen installierten Terminals sind TP-Terminals, und eine weit verbreitete Meinung lautet, daß kurze Systemantwortzeiten von etwa einer Sekunde in TP-Netzen entweder "technisch nicht realisierbar" oder aber die "Realisierung unwirtschaftlich teuer" sei.

Wir haben diese Aufgabenstellung einer investierten Überprüfung unterzogen und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß beide Meinungen inzwischen veraltet sind:

In einem nach Performance-Gesichtspunkten ausgelegten, nicht überlasteten TP-Netz bestehend aus schnellen Leitungen von mindestens 48 KBit/s sind Systemantwortzeiten

von weniger als einer Sekunde technisch möglich und bei Ablösung ab zum Beispiel zwei bis drei Leitungen der Geschwindigkeit 9,6 KBit/s auch insgesamt wirtschaftlicher als die bisherige Lösung.

Bei entsprechender TP-Netz-Auslegung läßt sich somit ein großer Teil der TP-Terminals mit kurzen Systemantwortzeiten und zudem auch wirtschaftlicher als bisher betreiben.

Die Methodik zur Bestimmung optimierter Systemantwortzeiten ist relativ einfach und damit auch unschwer durch Messungen nachvollziehbar.

Zu messen sind dabei die "Benutzerproduktivität" und die "Systemunterstützung" in Abhängigkeit der verwendeten Systemantwortzeit. Der Mindestaufwand für eine Überprüfung entsteht, wenn nur zwei Meßpunkte verwendet werden. Für eine Optimierung der Systemantwortzeit mit Trendbestimmung sollten aber drei besser vier Messungen durchgeführt werden. Der Auswertungsaufwand pro Meßpunkt liegt bei etwa einer Woche.

Damit sind Nutzenpotential und Systemaufwand kurzer Systemantwortzeiten für einzelne Online-Anwendungssegmente individuell darstellbar.

Optimierte kurze Systemantwortzeiten repräsentieren ein wesentliches, erst vereinzelt realisierbares Produktivitätspotential und bedeuten gleichzeitig bessere Arbeitsbedingungen am Terminal.

Die Erschließung dieses Produktivitätspotentials ist verbunden mit einem sehr hohen Nutzenpotential mit einem in der Regel "ROI = (2 - 4):1" und einem "Break-Even = 0" .

Die Schlußfolgerung aus diesen Erkenntnissen kann somit nur heißen: Dieses Nutzenpotential sollte mit hoher Priorität realisiert werden!

*Rudolf Seidel ist Leiter Projekte zentrale Systeme bei der IBM-Deutschland GmbH, Stuttgart.

Der Beitrag ist die gestraffte Fassung des Vortrags "Was sind optimierte Systemantwortzeiten im Jahr 1986", den der Autor auf der "Institut '86" in München gehalten hat.