America Online schluckt Time Warner

Beim neuen Mediengiganten bestimmt AOL die Richtung

14.01.2000
MÜNCHEN (fn) - Als Merger unter gleichberechtigten Partnern verkauften AOL und Time Warner ihre Fusion in der Öffentlichkeit. Dabei ist offenkundig: Mit dem Medienkonzern hat sich AOL dringend benötigte Inhalte für sein Online-Business gekauft.

Die Nummer eins unter den Internet-Service-Providern, America Online Inc., und der Medienkonzern Time Warner wollen sich zu dem neuen Unternehmen AOL Time Warner zusammenschließen - so lautet die offizielle Lesart. Zusammenschluss ist allerdings nicht das richtige Wort, denn der 1985 gegründete Online-Dienst hat den amerikanischen Medienriesen, dessen Wurzeln sich bis auf das Jahr 1922 zurückdatieren lassen, einfach geschluckt. Vor der Bekanntgabe des Deals betrug der Börsenwert von AOL 164 Milliarden Dollar, die Marktkapitalisierung von Time Warner lag bei 83 Milliarden Dollar.

Der Deal hat nicht nur wegen des Kaufpreises von zirka 184 Milliarden Dollar historische Bedeutung. Übernahmen bisher alteingesessene Traditionsunternehmen junge Internet-Companies, dreht der Online-Gigant AOL nun den Spieß um. Durch den Kauf könnte AOL-Boss Steve Case zum Bill Gates der Medienbranche werden.

Die Aufgaben sind klar verteilt: während Case die strategische Entwicklung des Unternehmens übernimmt, wird sich Time-Warner-Boss Gerald Levin um das Tagesgeschäft kümmern. Für Time Warner kommt die Übernahme zum richtigen Zeitpunkt. In puncto Online-Vermarktung der eigenen Inhalte stellte der Anbieter kaum Nennenswertes auf die Beine.

Konkurrenz gerät unter Zugzwang

So schloss das Unternehmen die Pforten seines Zeitschriften-Portals Pathfinder wieder. Zudem ließ die vergleichsweise niedrige Börsenbewertung des Unternehmens keine eigenen Übernahmen oder größere Beteilungen an Internet-Firmen zu, ein Schuldenberg von 17,8 Milliarden Dollar verschlimmerte die Lage zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund ist eine enge Kooperation mit AOL attraktiv. Der Online-Dienst ist mit über 20 Millionen Mitgliedern und einer Reihe von stark frequentierten Websites führend unter den Internet-Diensteanbietern. Mit Time Warner erhält AOL im Gegenzug Zugang zu einem großen Fundus an Spielfilmen und Nachrichten. Ebenso wichtig wie die Inhalte ist für die Internet-Company der Zugriff auf das TV-Kabelnetz des Medienkonzerns - das zweitgrößte in den USA. Außerdem bringt Time Warner Anteile an Roadrunner, einem der größten amerikanischen Internet-Provider mit Kabelmodem-Zugängen, mit in die Ehe.

Was die Konsumenten freut, dürfte bei konkurrierenden Medienfirmen Unbehagen auslösen. Sie stehen nun unter Zugzwang, ihre Internet-Sparten auszubauen. Besonders betroffen ist der Bertelsmann-Konzern, der mit AOL in Europa und Australien Joint Ventures betreibt und nun enventuell eine Kurskorrektur vornehmen muß. Offiziell will man davon in Gütersloh noch nichts wissen. Im Gegenteil: Die Fusion von AOL und Time Warner bestätige den deutschen Konzern und seine Strategie, "das Internet in allen Mediengattungen zu integrieren".

Fakt ist jedoch, dass sich die Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit mit AOL verändert haben. Über die Zukunft der deutschamerikanischen Kooperation hat sich AOL noch nicht geäußert. Doch dazu bleibt Steve Case noch genügend Zeit: Die Übernahme von Time Warner wird vermutlich nicht vor Ende des Jahres vollzogen sein.