Qualitätsförderung im Büro braucht eigenständigen Ansatz:

Bei unstrukturierter Arbeit Zielkonflikte

31.03.1989

Die heute gebräuchlichen Definitionen von Qualität und die Konzepte zur Qualitätsförderung sind vorwiegend auf den Fertigungsbereich zugeschnitten. Eine Übertragung in den Bürobereich ist nicht ohne weiteres möglich, denn Büroarbeit unterscheidet sich in vieler Hinsicht von der Arbeit in der Produktion. Im Büro benötigt Qualitätsförderung einen eigenständigen Ansatz.

In nahezu allen Qualitätsansätzen wird Qualität bestimmt als die Übereinstimmung mit definierten Anforderungen, als das Einhalten vorgegebener Normen. Qualität ist - so definiert es die DIN-Norm - "die Beschaffenheit einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vor ausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen" (vgl. DIN 55 350, Mai 1987, Teil 11 ). In den "Erläuterungen" wird dazu ausgeführt: "Qualität ist die an der geforderten Beschaffenheit gemessene realisierte Beschaffenheit. Dies gilt für jede beliebige Einheit, die einer gedanklichen oder praktischen Qualitätsbetrachtung unterworfen wird . . ."

Auch der "leading evangelist of quality in the U. S." (TIME), Philip B. Crosby, geht von einer solchen Qualitätsdefinition aus. Er stellt in einem seiner vier Grundsätze lapidar fest: "The definition of quality is conformance to requirements."

Mit den "requirements" wird der Qualitätsstandard festgelegt, an ihnen lassen sich Abweichungen (Defizite) bestimmen; die Kosten, die im Nachbesserungsfall aufzuwenden sind, um den Anforderungen zu genügen, sind die Quantifizierung von Qualitätsdefiziten.

Dieser Ansatz ist sinnvoll überall da, wo sich die Anforderungen so genau und eindeutig bestimmen lassen wie im Fertigungsbereich,

- wo der Verwendungszweck des produzierten Werkstückes beziehungsweise des einzelnen Arbeitsgangs im Regelfall eindeutig festgelegt ist (etwa Ausführung von Montagetätigkeiten am Band);

- wo sich aus diesem Verwendungszweck im Regelfall klare Vorgaben an die Qualität der Ausführung des einzelnen Arbeitsgangs ableiten lassen (zum Beispiel Toleranzvorgaben bei Werkstükken; ordnungsgemäße Ausführung bei Montagearbeiten);

- wo damit die Einhaltung dieser Vorgaben eindeutig überprüfbar ist (zum Beispiel Einhaltung der Toleranzwerte; Funktionsfähigkeit von montierten Aggegraten);

- wo somit Qualität meßbar und statistisch darstellbar ist (zum Beispiel Ausschußquote);

- wo sich Qualitätssicherung zwar als schwieriges und komplexes, aber relativ klar strukturierbares Problem darstellt: Ein Werkstück hat definierten Mindestansprüchen zu genügen; eine niedrige Ausschußquote bedeutet hohe Qualität.

Es gilt, Fehler festzustellen, zu korrigieren und ihre Ursachen auszuschalten. Qualitätskriterien lassen sich aus dem markt- und kundenbezogenen Verwendungszweck eines Produktes relativ klar ableiten und sind, einmal definiert, meist nur innerhalb relativ enger Grenzen Interpretationssache. Häufig werden von Kunden selbst eindeutige und objektivierte Mindestanforderungen an die Qualität der Produkte vorgegeben und festgelegt, wie diese zu erreichen und sicherzustellen sind.

Bei der Büroarbeit ist die Bestimmung solcher Anforderungen in sehr unterschiedlichem Maße möglich. Im zweiten Artikel dieser Serie haben wir unterschieden zwischen "stark regulierten" und "schwach regulierten" Büroarbeiten. Der Grad an Reguliertheit bestimmt das Ausmaß, in dem Anforderungen eindeutig und einheitlich bestimmt werden können.

Daß ein Brief etwa fehlerfrei geschrieben wird, steht als Anforderung an eine Sekretärin ohne weitere Erläuterungen implizit fest und kann an den Regeln der Orthographie gemessen werden. Diese Anforderung ist dem Auftraggeber wie der Ausführenden klar. Selbst die Kosten von Qualitätsdefiziten lassen sich relativ gut quantifizieren; man kann berechnen, wieviel es kostet, Briefe zur Beseitigung von Fehlern noch einmal zu schreiben. Schwieriger sind Anforderungen zu bestimmen, wenn es zum Beispiel um den Ton geht, in dem ein Brief gehalten werden soll. Die Anweisung, einen Brief "freundlich" oder "formell" zu halten, läßt sich nicht völlig eindeutig festlegen, erschließt sich erst durch die Kooperationserfahrung.

Verwendungszweck schwer festlegbar

Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen Büro und Fertigung, wenn man sich klar macht, daß die Bestimmung von Anforderungen selbst unter Umständen Aufgabe von Büroarbeit ist: Die Definition von Zielen und Strategien, die Analyse von Märkten und unternehmensinternen Auswertungen, die Steuerung und Kontrolle betrieblicher Prozesse etc. Die Anforderungen, die an die "Qualität" solcher Büroarbeiten gestellt werden, sind kaum in objektivierten Kriterien zu operationalisieren, die quantitativ ausgewertet werden können. Der Verwendungszweck von Informationen ist häufig nur schwer eindeutig festlegbar.

Der Marktbezug, aus dem sich Qualitätsanforderungen ableiten ließen, ist bei vielen Arbeiten nur sehr indirekt oder überhaupt nicht herstellbar. Dieser trägt dazu bei, daß "Qualität" für den im Büro Beschäftigten sehr viel abstrakter, schwerer faßbar erscheint als in der Produktion, und gerade dort, wo an sich Qualitätsbewußtsein am wichtigsten wäre.

Die innerbetriebliche Verwertung spielt neben der markt- und kundenbezogenen Verwertung eine große Rolle, der Zusammenhang zwischen beiden ist vielfach gebrochen.

Bei der Beantwortung einer Kundenanfrage, einer Schadensmeldung in einer Versicherung etc. kann die Klienten- beziehungsweise Kundenbezogenheit noch relativ unmittelbar hergestellt werden. Bei der Erarbeitung einer Personalanforderung aus diesen Abteilungen ist diese zwar noch prinzipiell vorhanden, aber schon schwerer nachvollziehbar. Bei Personalanforderungen in einer Planungs- und Entwicklungsabteilung ist sie wesentlich indirekter, bei einem Gutachten über die Berechtigung dieser Personalanforderung noch schwieriger herstellbar.

Innerbetriebliche Informationsverarbeitungsprozesse haben die Tendenz, sich zu verselbständigen, dafür sorgen in Großverwaltungen schon das Eigenleben der Teilbereiche wie auch die zahlreichen Macht- und Legitimationsprozesse. Für viele Stellen ist der Kunde oder der Markt relativ weit weg, ist das innerbetriebliche Geschehen sehr viel mehr präsent und für die persönlichen Karrieren wichtiger. Der Zusammenhang der eigenen Tätigkeit mit dem Markt oder dem Kunden ist nur noch schwer nachvollziehbar. Das gilt nicht zuletzt auch für die Arbeit betrieblicher Rationalisierungsstellen

- Organisation, Datenverarbeitung, Controlling.

Solche Verselbständigung von Teilarbeiten und -abläufen steht in engem Zusammenhang mit dem Thema Qualität. Da gilt die "schöne" Folie dann eben als qualitativ hochwertig, ohne daß Kosten und Aufwand berücksichtigt werden, die zu ihrer Produktion erforderlich sind. Da wird zum Qualitätsproblem, wenn ein Schreibfehler bei einer internen Mitteilung mit dem Kugelschreiber ausgebessert wird. Da füttern Sachbearbeiter ihr Bürosystem mit vielen wichtigen Informationen für ihre Kollegen und erfahren niemals, ob diese mit jenen Informationen arbeiten. Da können Entwicklungsingenieure mit Stolz auf ein sauber konstruiertes Produkt verweisen, vergessen aber, ihren Vertrieb mit den relevanten Informationen und Unterlagen zu versorgen. Da gibt sich jemand viel Mühe mit einer Vorlage oder einem Bericht, kümmert sich jedoch nicht darum, ob daraus überhaupt etwas folgt, weil dies nicht in seine Zuständigkeit fällt.

Ein Teil der Büroarbeit ist grundsätzlich unbegrenzt, das heißt, es gibt kein "natürliches" Ende für bestimmte Arbeiten. Man kann sich beliebig lange informieren, man kann beliebig lange an Vorlagen, Schreiben, Folien oder Ablagen "feilen" auch für eine Kundenberatung oder die Informierung eines Kollegen gibt es oft nur das selbstgesetzte Ende.

Angesichts dieser Unbegrenztheit unstrukturierter Büroarbeit sind Zielkonflikte unvermeidlich: Es sind - im Rahmen der gegebenen Ressourcen - Prioritäten zu setzen; jede einzelne Arbeit hat ihre Opportunity-Costs in vielen anderen Arbeiten, die nicht getan werden können.

Qualitätsdefizite ergeben sich dann, wenn die Prioritäten in der eigenen Arbeit so gesetzt werden, daß sie die gesetzten Ziele gefährden. In diesem Sinne mag die in tagelanger Arbeit perfektionierte, wunderschöne, auf dem PC erstellte Folie qualitativ weniger Wert haben als die schnelle Handzeichnung.

Auf einer sehr allgemeinen Ebene läßt sich feststellen: Qualitätsprobleme treten besonders dann auf, wenn keine Form gefunden wird, mit der Unbegrenztheit, Unbestimmtheit und Komplexität unregulierter Büroarbeit angemessen, das heißt zielbezogen, umzugehen.

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man zwar seine Arbeit ordnungsgemäß erledigt, doch

- andere über für sie relevante Inhalte nicht informiert,

- sich nicht um Rückmeldung darüber bemüht, ob die eigene Arbeit für Kooperationspartner oder Klienten nützlich war oder nicht,

- die eigene Arbeit und den für bestimmte "Produkte" erforderlichen Aufwand nicht in Beziehung setzt zu den Unternehmenszielen.

Die Qualitätsproblematik im Büro ist also deutlich anders gelagert als im Fertigungsbereich. Die vorliegenden Qualitätsansätze werden den Besonderheiten von Büroarbeit kaum gerecht, sie sind entwickelt für die klar regulierten Prozesse in der Fertigung und für diese angemessen und fruchtbar. Werden sie jedoch in den Bürobereich übertragen ohne die besonderen Charakteristika von Büroarbeit zu berücksichtigen, so besteht die Gefahr, daß sie hier ins Leere laufen, schlimmstenfalls sogar negative Effekte zeitigen.

Qualitätsansätzen, die auf klar definierte "Anforderungen" ausgerichtet sind, fehlt der entscheidende Hebel, an dem sie ansetzen können. Ein Qualitätskonzept, das den besonderen Eigenheiten gering regulierter Büroarbeit gerecht werden soll, muß dies berücksichtigen.

(wird fortgesetzt) Literaturhinweis

Masing, Walter (Hrsg.): Handwörterbuch der Qualitätssicherung, München, Wien, 1980

gfmt (Hrsg.): Tagungsberichte zum jährlichen Qualitätsleiterforum, München, 1983 ff.

Biethahn, Jörg Staudt, Erich (Hrsg.):

Der Betrieb im Qualitätswettbewerb - Von der Qualitätssicherung zur offensiven Qualitätspolitik. Berlin, 1982.

Förderung der Qualität von Büroarbeit - - Stand der Entwicklung

"Gibt es in Ihrem Unternehmen lnitiativen zur Förderung der Qualität im allgemeinen beziehungsweise der Qualität von Büroarbeit?"

So befragten wir im November 1988 21 Großunternehmen/Konzerne (Industrie und Dienstleistung) in der Bundesrepublik. Die Ergebnisse:

1. Alle der befragten Industrieunternehmen haben qualitätssihernde beziehungsweise -fördernde Maßnahmen in der Produktion eingeleitet, diese sind zum Teil eingebettet in unternehmensweite Qualitätsförderungsprogramme.

2. In keinem der befragten Dienstleistunqsunternehmen werden Maßnahmen durchgeführt, die ausdrücklich der Förderung der Qualität der Arbeit dienen sollen.

3. Alle der befragten Industrieunternehmen arbeiten mit Qualitätszirkeln, wenn auch mit verschiedenen Konzepten und unterschiedlichen Verfahren. In zwölf der fünfzehn befragten Industrieunternehmen hat man Qualitätszirkel im Büro eingeführt.

4. Nur in einem der befragten Dienstleistungsunternehmen wird mit Qualitätszirkeln gearbeitet.

(Alle arbeiten natürlich mit Projektgruppen, Arbeitskreisen etc., nicht aber mit Gremien, die sich "Qualität der Arbeit" ausdrücklich auf die Fahne geschrieben haben.)

5. Erfahrungen zu einem gesamthaften Ansatz zur Förderung der Qualität im Büro liegen nur bei wenigen der befragten Industrieunternehmen vor.

6. Viele der befragten Industrieunternehmen geben an, daß der Förderung der Qualität der Büroarbeit im nächsten Jahr/in den nächsten Jahren größere Bedeutung zukommen wird: Es liegen Konzepte vor beziehungsweise es wird an solchen gearbeitet, die die Büroarbeit als einen wesentlichen Faktor zum Betriebsergebnis bewerten und dementsprechend die Qualität dieser Arbeit gezielt fördern wollen. Die Umsetzung dieser Konzepte soll in nächster Zeit erfolgen.

7. In den Dienstleistungsunternehmen sind - bei einer Ausnahme - keine ausformulierten Vorhaben zur Förderung der Qualität von Büroarbeit geplant. Qualitätsförderung verspricht man sich in einigen Unternehmen allerdings durch Organisationstätigkeit, Organisations-und/oder Personalentwicklung.

Rahmen und Ansätze

In dieser Serie werden sowohl ein konzeptioneller Rahmen wie auch Gestaltungsansätze für eine gezielte Förderung der Qualität von Büroarbeit vorgestellt. Das Material zu dieser Abhandlung stammt aus Untersuchungen, die

unter anderem vom Bundesministerium für Forschung und Technologie und der Siemens AG gefördert wurden, sowie aus Beratungsvorhaben, die von der Forschungsgruppe in den letzten Jahren im Bürobereich durchgeführt wurden. Es handelt sich um Auszüge aus einer Buchveröffentlichung, die im Frühjahr 1989 im Campus Verlag unter dem Titel "Qualitätsförderung im Büro" erscheinen wird.