Bei speziellen Anspruechen reicht die 08/15-Loesung nicht aus Henkel entscheidet sich fuer Aussenseiter-Software

17.03.1995

HANNOVER (qua) - Keine Standardsoftware deckt saemtliche Beduerfnisse der Kunden ab. So sahen sich die 17 Duesseldorfer Chemiebetriebe der Henkel KGaA ausserstande, ihre Rahmenbedingungen dem SAP-Standard anzupassen. Auch im Hinblick auf die leichtere Veraenderbarkeit entschieden sich die Prozessfertiger fuer das objektbasierte PPS-System "Protean" der Marcam Corp., Newton, Massachusetts.

Wie in den meisten deutschen Unternehmen ist die SAP-Software auch im Hause Henkel Unternehmensstandard. Doch haben sich die Einzelunternehmen das Recht zusichern lassen, in begruendeten Faellen von dieser Norm abzuweichen. Die in Duesseldorf ansaessigen Chemiebetriebe des "Persil"-Herstellers machten davon Gebrauch, nachdem sie beim groessten deutschen Software-Anbieter nicht die Funktionalitaet finden konnten, die sie fuer ihre besonderen Unternehmensbedingungen benoetigen.

Nach Ansicht von Wulf Wenke, Direktor fuer Materialwirtschaft und oberster Informationsverarbeiter der Henkel-Chemie, eignet sich die SAP-Software - wie die meisten Konkurrenzprodukte - zwar recht gut, um die Fertigung eines Maschinenbau-Unternehmens abzubilden. Fuer die Prozessfertigung tauge sie jedoch weniger.

Wie Wenke ausfuehrt, ist das Softwaresystem des Marktfuehrers beispielsweise nicht in der Lage, die in der Prozessfertigung haeufige "Kuppelproduktion" zu unterstuetzen: Die Kombination zweier unterschiedlicher Stoffe ergibt hier nicht eine einzige Substanz, sondern faellt in zwei oder mehr gleichberechtigte Produkte auseinander.

Aufgrund ihres immanenten Datenmodells setze die SAP-Software jedoch voraus, dass aus der Synthese immer ein Hauptstoff und allenfalls eine Reihe von Neben- beziehungsweise Abfallprodukten hervorgingen - mit der Folge, dass ein Grossteil der Substanzen einfach nicht weiterverfolgt werden koenne. "Das fuehrt zu echten Fehlern in der Kostenrechnung", konstatiert Wenke.

Aehnliche Schwierigkeiten tauchen, so der Henkel-Direktor, bei der Kampagnenfertigung (Stoffproduktion mit vorher definiertem Zeitrahmen) auf. Aus produktionsoekonomischen Gruenden sollte eigentlich jeder Betrieb selbst definieren koennen, wann eine bestimmte Menge der produzierten Substanz fuer die Weiterverarbeitung abgezweigt wird. Herkoemmliche PPS-Systeme - darunter auch R/3 von SAP - gehen laut Wenke aber davon aus, dass ein Produkt erst dann entnommen werden kann, wenn die fuer die Kampagne veranschlagte Zeit abgelaufen ist.

Unter der Bezeichnung "Prism" bietet Marcam bereits seit Jahren ein integriertes Softwarepaket an, dessen Datenmodell die Besonderheiten der Prozessfertigung beruecksichtigt. Seit Januar liegt die zweite - objektorientierte - Generation dieses Produkts vor. Protean umfasst die Module Produktion, Distribution, Finanzen und Instandhaltung. Das PPS-System arbeitet derzeit nur mit der Oracle-Datenbank, soll aber spaeter auch an andere relationale Systeme angepasst werden. Lauffaehig ist es fuers erste auf den Unix- Maschinen von Hewlett-Packard und IBM.

Nach Angaben der Marcam GmbH, Duesseldorf, kommt die objektorientierte Struktur des Softwareprodukts besonders zum Tragen, wenn es darum geht, Produktvarianten abzubilden. Mit Hilfe von Klassenbildung und Vererbung lasse sich beispielsweise die Anzahl der Produktionsnummern deutlich reduzieren.

Fuer Wenke steht hingegen ein anderer Aspekt im Vordergrund: Dadurch, dass die einzelnen Objekte des Softwaresystems sauber voneinander getrennt sind, laesst sich die vom Hersteller ausgelieferte Loesung mit eigenen Entwicklungen ergaenzen, ohne dadurch "den Standard zu sprengen". Darueber hinaus sei es in einem objektorientierten System - anders als beispielsweise bei SAP - nicht notwendig, die gesamte Applikation zu kennen, um die Datenbank zu entwickeln. Unter dem Strich bedeutet das sicher ein Plus an Flexibilitaet und damit Wettbewerbsfaehigkeit.

Gleichzeitig mit der Einfuehrung der neuen Produktionssoftware werden die Henkel-Chemiker auch ihre Hardware- und Systemsoftwarebasis wechseln - weg von der AS/400, hin zu HP- Maschinen mit Unix und Oracle. Das Einfuehrungsprojekt startet im kommenden Monat und wird sich voraussichtlich ueber zwei Jahre hinziehen.

Marcam liefert nicht nur die Anwendungssoftware, sondern zeichnet auch fuer die Infrastruktur und Systemintegration verantwortlich. Auf der CeBIT unterzeichneten Wenke und der deutsche Marcam- Geschaeftsfuehrer Marc Vorderman einen Vertrag, dessen Wert rund neun Millionen Mark betraegt.

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Das Unternehmen

Die Henkel KGaA, Duesseldorf, wurde 1876 gegruendet. Im vergangenen Jahr erzielten die weltweit 50 000 Mitarbeiter mit 10 000 unterschiedlichen Produkten einen Umsatz von rund 14 Milliarden Mark, von denen rund 30 Prozent aus der Chemieproduktion stammen.