Anwender fühlen sich im Stich gelassen

Bei SAP kranken die Kliniklösungen

14.02.2003
MÜNCHEN (ba) - In vielen Kliniken leidet die IT-Abteilung. Neben den komplexen Arbeitsabläufen, die von Krankenhaus zu Krankenhaus verschieden sind und sich nur schwer in der IT-Infrastruktur abbilden lassen, bemängeln die Administratoren die meist mangelhafte Unterstützung der Softwareanbieter. Dabei steht immer wieder SAP im Mittelpunkt der Kritik.

Im jüngsten Bericht des Bayerischen Rechnungshofes kommen die Universitätskliniken in München, Regensburg, Erlangen und Würzburg nicht gut weg, was ihre IT-Strategie betrifft. So sei es nicht gelungen, Entwicklungen und Ressourcen effizient zu bündeln. Applikationen für die gleichen Aufgaben seien mehrfach parallel entwickelt worden. Außerdem hätten es die Verantwortlichen nicht geschafft, SAP-Anwendungen einheitlich an die klinikspezifischen Belange anzupassen.

Probleme habe es den Rechnungsprüfern zufolge vor allem mit dem SAP-Produkt IS-H (Industry Solution for Hospitals) gegeben, mit dessen Hilfe Patienten ursprünglich einheitlich verwaltet und abgerechnet werden sollten. Trotz dieser Pläne würden bei verschiedenen klinischen Einrichtungen nach wie vor Subsysteme für diese Aufgaben eingesetzt. Dabei gebe es Probleme beim Datenaustausch mit dem SAP-System. Die Folge sei, dass Daten zum Teil mehrfach erfasst würden oder ganz verloren gingen. Außerdem lehnten es viele Ärzte wegen der umständlichen Handhabung weitgehend ab, ihre Diagnosen und Leistungen mit IS-H zu erfassen.

Ein weiteres Manko der SAP-Lösung sei laut dem Rechnungshofbericht die fehlende Abrechnungsmöglichkeit ambulanter Kassenpatienten mit den kassenärztlichen Vereinigungen. Da diese Abrechnungen aufgrund der fehlenden Zertifizierung mit IS-H nicht akzeptierten, hätten für weit mehr als 100 000 Euro ergänzende Individuallösungen angeschafft werden müssen. Zusätzlich würden jährlich Zuschläge in Höhe von 1,5 Millionen Euro an die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) fällig, da die Abrechnungsdaten manuell eingereicht würden. Insgesamt hätten die Unikliniken rund acht Millionen Euro in die Patientenverwaltung und -abrechnung investiert. Davon hätte ein Großteil durch eine bessere Abstimmung der verschiedenen Einrichtungen eingespart werden können, lautet das Fazit des Rechnungshofes.

Neben IS-H kritisieren die Prüfer auch den Einsatz des Personal-Management-Systems HR (Human Resources) von SAP. So seien trotz jahrelanger Entwicklung von Seiten SAPs die Module für Dienstplanung und Überstundenabrechnung nicht einsatzreif. Diese müssten trotz der Investitionen in Höhe von 870000 Euro nach wie vor manuell abgewickelt werden.

Kliniken wollen Eigenständigkeit wahren

Das für die Unikliniken zuständige Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst weist die Vorwürfe zurück. Die verantwortlichen Gremien hätten sich stets um eine möglichst weitgehende Einheitlichkeit bemüht. Von Mehrfachentwicklungen für gleiche Aufgaben wisse man nichts. Letztendlich seien die Universitätskliniken eigenständige Staatsbetriebe, deren Vorstände die volle Verantwortung für die Informationstechnik übernehmen müssten. Das Staatsministerium setze jedoch auf "deren aus innerer Überzeugung getragene Zusammenarbeit", heißt es in der Antwort auf den Bericht.

Damit ist es jedoch nicht weit her. Birgit Tege, die die IS-H-Systeme an der Uniklinik in Regensburg betreut, weiß nichts von einem Austausch zwischen den einzelnen Einrichtungen. Es wäre aus ihrer Sicht durchaus sinnvoll, sich in Sachen Standardfunktionen zusammenzutun. Dies scheitere jedoch meist an den individuellen Vorstellungen der Verantwortlichen, was letztlich wieder auf Einzelentwicklungen hinauslaufe.

Spiele um Macht und Kompetenzen

Auch Wolfgang Steinbeis, Abteilungsleiter für Finanz- und Patientenangelegenheiten der Uniklinken in München, verweist in diesem Zusammenhang auf Machtspiele hinter den Kulissen und die weit verbreitete Angst vor Kompetenzverlusten. Es sei nicht zwangläufig notwendig, dass jede Klinik für sich alleine arbeite, aber "das wird halt so gemacht". Von den im Prüfungsbericht aufgeführten Problemen der Uniklinken in München will Steinbeis nichts wissen: "Davon höre ich zum ersten Mal." Erst auf weitere Nachfragen räumt er punktuelle Schwachstellen der SAP-Lösungen ein. So könnten beispielsweise ambulante Dienste nicht mit IS-H abgewickelt werden. Auch die Probleme mit den Überstundenlisten und Dienstplänen im HR-System beständen weiter. Dies resultiere jedoch daraus, dass HR nur als Datenlieferant für die Bezirksfinanzdirektion verwendet werde und nicht für die Abrechnung selbst, erläutert Steinbeis. Ansonsten gebe es seit Einführung der SAP-Module keine Schwierigkeiten. Alles habe im Zeitplan gelegen.

1996 sah Steinbeis das allerdings noch anders. In einem von ihm mit verfassten Bericht heißt es, nach Einführung von IS-H im ersten Quartal 1996 sei eine "intensive längerfristige Anwenderbetreuung und Nachschulung notwendig" gewesen. Außerdem stellte der Bericht das Server-Konzept der Unikliniken in Frage. Eventuelle Änderungen des Konzepts wollte die IT-Abteilung der Uniklinik nicht bestätigen.

Ein Problem sei, dass SAP keine volle Lösung für den Klinikbereich biete, berichtet Franz Jobst, Arbeitskreissprecher für das Segment Kliniklösungen bei der Deutschen SAP Anwender Gruppe (DSAG). So trennten die Walldorfer zwischen dem abrechnungsrelevanten Bereich (IS-H) und dem behandlungsrelevanten Teil der Lösung (IS-H*med), der von Partnerfirmen wie der GSD in Berlin und T-Systems in Wien erledigt wird. Diese Trennung ist von den Anwendern jedoch kaum wahrzunehmen, so dass unklar bleibt, wo der SAP-Bereich aufhört und Angebote von Drittanbietern ansetzen.

Auch die Zusammenarbeit der DSAG mit der SAP funktioniere nicht reibungslos, kritisiert Jobst. Bei Anträgen und Einwänden verwiesen die SAP-Verantwortlichen gerne auf Drittanbieter und Dienstleister. SAP fürchte wohl um die Rentabilität des Geschäfts und dass sie daraus resultierende Anforderungen nicht in den Griff bekomme. Man müsse immer darauf gefasst sein, dass SAP sage: "Das ist nicht unser Teil." Dadurch entstehe oft der Eindruck, SAP schiebe Kundenbedürfnisse beiseite. So sei beispielsweise der Antrag der DSAG, die Kliniklösung bei den kassenärztlichen Vereinigungen für die Abrechnung von Ambulanzen zu zertifizieren, von SAP abgelehnt worden. Das gehöre nicht zum Portfolio, verlautete aus der Walldorfer Firmenzentrale.

Diese Kritik will Harald Pitz, Produkt-Manager für das Segment Mysap Healthcare, nicht gelten lassen. Das Lösungsangebot beruhe darauf, den Kunden durchgängige Prozesse anzubieten. Dies erfordere jedoch auch eine gewisse Flexibilität. So gebe es Prozesse wie die Abrechnung, die stark standardisiert seien. Andere Bereiche erforderten dagegen individuelle Lösungen, die zusammen mit Partnern und Dienstleistern implementiert werden könnten. So biete SAP beispielsweise im Rahmen der ambulanten Abrechnung die Möglichkeit, Systeme von Partnerunternehmen anzubinden. Die entsprechenden Schnittstellen seien zertifiziert.

Auch die Kritik des Rechnungshofberichts prallt an der SAP ab. Die Ausführungen zeigten lediglich, dass der Prozessablauf in den Klinikeinrichtungen stark durch Gesetze und die Gesundheitsreform geprägt sei. Deshalb gingen die einzelnen Häuser unterschiedliche Wege, berichtet Pitz. Manche würden von Anfang an tiefer in die SAP-Lösung einsteigen, andere setzten noch andere Komponenten ein. An der Grundaussage, dass mit dem Einsatz der kompletten SAP-Kliniklösung Geld gespart würde, könnten auch die Rechnungsprüfer nicht rütteln.

Das sehen Insider jedoch anders. Man müsste einmal eine Liste mit den Schäden aufstellen, die aufgrund von gescheiterten Einführungen und Release-Wechseln entstanden seien, fordert ein betroffener Anwender. Gerade die Stabilität und Fehlerfreiheit von neuen Releases sei in der letzten Zeit nicht vorhanden gewesen. Die Qualität der IS-H-Lösungen habe hier deutlich zu wünschen übrig gelassen. Darunter habe der Ruf der SAP im Gesundheitsbereich gelitten.