Jetzt ist es auch "amtlich":

Bei Programmerstellung wird die Dokumentation geschuldet

15.06.1990

Es wird oft ungern und schlecht dokumentiert, auch bei Verträgen über die Erstellung von Programmen. Manche Auftragnehmer wollen sie nur liefern, wenn das im Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Sie wird aber automatisch geschuldet, und das auch noch in ordentlichem Umfang.

Das Landgericht München I hatte in seinem Urteil vom 18. November 1988 (21 O 11130/88) den Fall zu entscheiden, in dem ein Softwarehaus für einen EDV-Laien die Erstellung eines Programmes zu zirka 20 000 Mark übernommen hatte. Das Softwarehaus (Klägerin) klagte auf einen Teil der Vergütung nach Ablieferung des Programms. Die Beklagte verlangte widerklagend die Lieferung des Quellcodes samt systemtechnischer Dokumentation. Das Landgericht entschied, daß das Softwarehaus die Zahlung nur gegen Lieferung von Quellcode samt Dokumentation verlangen könne.

Das Landgericht begründete dieses Urteil damit, daß der Anwender die Möglichkeit haben müsse, auf neu auftretende Bedürfnisse oder auf Fehler durch Änderung des Programms zu reagieren. Gerade wenn das Auftreten von Fehlern unvermeidbar ist, muß der Anwender die Möglichkeit haben, nach Ablauf der Gewährleistungsfrist oder aus anderen Gründen auch Dritte zur Fehlerbeseitigung heranzuziehen (im konkreten Fall war der Anwender DV-Laie). Da Fehlerbeseitigung und Weiterentwicklung aber nur unter Beiziehung des Quellprogramms und der Herstellerdokumentation möglich ist, schuldet der Auftragnehmer diese für den Fall, daß die Fehlerbeseitigung durch Dritte erforderlich wird.

"Etwas anderes könnte gelten, wenn die Parteien einen langfristigen Wartungssvertrag geschlossen hätten, aus dem nur der Programmersteller zur Fehlerbeseitigung berechtigt und verpflichtet wäre." Dann müßte der Auftraggeber "befürchten, daß der Software-Anwender unkontrollierte Änderungen an den Programmen vornehmen könnte, wodurch ihm die Erfüllung der Wartungspflicht erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht würde". Dann bräuchte er den Quellcode samt Dokumentation nicht auszuliefern.

Wie umfangreich muß die Dokumentation sein

Kaum hatte das LG München I im November 1988 das erste Urteil gefällt, das die Lieferungsverpflichtung nicht nur des Quellcodes, sondern auch der systemtechnischen Dokumentation bestätigte, entschied das OLG Hamm im Urteil vom 8. März 1989 (31 U 12/88), wie umfangreich die Dokumentation sein muß, wenn ihre Erstellung im Vertrag angesprochen, aber nicht näher geregelt wird. Das Gericht ging mit dem Sachverständigen davon aus, daß dann "keine besonders umfangreiche Dokumentation geschuldet" wird. Kommentare im Quellcode reichen aber nicht aus! Das Gericht folgte dem Sachverständigen, der folgende Mängel festgestellt hatte:

"a) Die den Programmen zugrunde liegenden Aufgabenstellungen sind bei einigen Programmen in sehr knapper und dadurch häufig nicht in der zum Verständnis notwendigen Form beschrieben und fehlen bei den meisten Programmen ganz.

b) Die Aufgabenlösungen sind im Hinblick auf Vereinbarungen, Algorithmen und Fehlerbehandlung für die überwiegende Mehrzahl der Programme nicht dargestellt.

c) Die Beschreibung der Daten ist unzureichend. Die unter Programmbeschreibung aufgeführten Eingaben und Ausgaben sind lediglich Listen von Datennamen ohne jede Angabe zur Art, Organisation, Zugriff und Speicherbedarf. Die mit Dateibeschreibung gekennzeichnete Dokumentation kann nur mit Cobol-Programmierkenntnissen als Dateninformation identifiziert werden. Die Inline-Kommentare benennen zwar die Variablen, geben aber in der Regel keinen Hinweis zur Verwendung.

d) Die Grenzen der Anwendung, zum Beispiel hinsichtlich der maximal zu verarbeitenden Datenmengen und zulässiger Wertebereiche, sind nicht angegeben.

e) Erforderliche Handhabungshinweise und Anwendungsbeispiele fehlen bei der Mehrzahl der Programme.

f) Notwendige Maßnahmen zur Datensicherung und Dateipflege werden gar nicht gegeben."

Das Gutachten läßt erkennen, daß sich der Gutachter eng an DIN 66 230 angelehnt hat. Die Dokumentation muß also nicht "besonders umfangreich" sein, aber doch wohl ziemlich umfangreich.

Empfindliche Vertragsstrafe berechtigt

In der Berufungsinstanz kann sich der Vertreiber nur noch auf Sittenwidrigkeit berufen. Die Aussichten dürften allerdings nicht allzu gut nach dem Urteil des OLG Saarbrücken vom 25. Januar 1989 (1 U 92/87) aussehen. Auch hier sollte der Vertreiber jeweils Kopien beziehen. Er sollte jeweils 500 Mark an den Programminhaber zahlen. Die Konventionalstrafe betrug 87 000 Mark, also das 174fache des Kaufpreises. Der Programminhaber begründete diesen Betrag damit, daß das die Herstellungskosten gewesen seien .

Der Programminhaber klagte auf Zahlung von Vertragsstrafe, weil der Vertreiber zumindest einmal ein Programm kopiert hatte. Die 87 000 Mark waren ihm anscheinand aber peinlich. Er klagte auf 30 000 Mark, also immerhin auf das 60fache des Kaufpreises. Das OLG gab der Klage statt:

"Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Herabsetzung der ausbedungenen Vertragsstrafe von 87 000 Mark in Anwendung des Paragraph 343 BGB grundsätzlich möglich wäre, wogegen sich im Hinblick darauf Bedenken ergeben, daß der Beklagte Vollkaufmann ...

gewesen sein dürfte und Paragraph 343 BGB keine Anwendung auf eine Vertragsstrafe

findet, die ein Kaufmann im Betrieb seines Handelsgewerbes verspricht (Paragraph 348 HGB).

Entscheidend ist vielmehr bereits, daß die nunmehr noch verlangte Vertragsstrafe nicht als unverhältnismäßig hoch im Sinne des Paragraph 343 BGB angesehen werden kann.

Der Klägerin ist einzuräumen, daß nur eine empfindliche Vertragsstrafe genügend ab- schreckend wirken und verhindern kann, daß die wirtschaftliche Verwertung eines unter erheblichem Kostenaufwand entwickelten Programms durch die Fertigung von "Raubkopien" und der Absatz unmöglich gemacht wird. Das gilt um so mehr, als "Raubkopien" mit äußerst geringem Aufwand innerhalb kürzester Zeit gefertigt und zu konkurrenzlos niedrigen Preisen verbreitet werden können, weshalb ein hoher Handlungsanreiz zur Herstellung und zum Vertrieb derartiger Kopien besteht. "

Im konkreten Fall kam nach Auffassung des OLG Saarbrücken noch hinzu, daß der Vertreiber "schon deshalb nicht überzeugend geltend machen kann, die geforderte Vertragsstrafe sei zu hoch bemessen, weil er selbst in den Verträgen mit seinen Abnehmern entsprechende Unterlassungspflichten mit einer Vertragsstrafe 30 000 Mark zu bewehren pflegt. "

Meines Erachtens hat das OLG Saarbrücken weit vorbeigegriffen. Das Argument, daß die Vertragsstrafe die Herstellungskosten abdecken müsse, ist zwar auf Lieferantenseite beliebt, aber sachlich unberechtigt. Solche Programme, hier ein Branchenpaket für Friseure, verkaufen sich nicht von alleine.

Raubkopien werden - anders als bei den Programmen für den persönlichen oder den innerbetrieblichen Bedarf - relativ leicht entdeckt. Meines Erachtens ist auch eine Vertragsstrafe in Höhe des 60fachen Verkaufspreises sittenwidrig. Die Grenze zur Sittenwidrigkeit dürfte in der Gegend sein, in der das OLG München den ersten Fall zu entscheiden haben wird, nämlich um das Zehnfache herum.