Bei Neuorientierung hielt bestehende Banken-SW Prüfung nicht stand:Commerzbank räumte mit DV-Heterogenität auf

30.05.1986

MÜHLHEIM/MAIN - Auf einen gemeinsamen Nenner hat die Commerzbank im letzten Jahr die Datenverarbeitung in ihren auf elf Länder verteilten Filialen gebracht. Die für die Vereinheitlichung notwendige Software stammt aus dem Systemhaus Sesa; hardwareseitig und auf der Netzebene kam DEC zum Zuge. Die neu installierten VAX-Rechner sind online mit der Frankfurter Zentrale des Geldinstituts verbunden.

Bedingt durch das Anwachsen des Geschäftsvolumens in den einzelnen Niederlassungen während der letzten Jahre war es für die Commerzbank an der Zeit, ihre bisherige DV-Philosophie zu revidieren. Früher wurden alle Bestände der Filialen zentral in Frankfurt geführt, wobei die Übertragung der Daten zum IBM-Hostrechner im Remote-Batch-Betrieb erfolgte. Da auch die Software-Entwicklung in den Händen der Zentrale lag, blieben lokale Gegebenheiten wie zum Beispiel das unterschiedliche Meldewesen oft unberücksichtigt. Außerdem war die Geräteausstattung im Hinblick auf Druckstationen, Datenerfassungsterminals und Remote-Rechner sehr unterschiedlich.

Software-Schichtenmodell für Realtime Betrieb

Den Wunsch nach Vereinheitlichung und Modernisierung der Datenverarbeitung äußerten die Filialen selbst. Sie forderten den weitgehenden Abbau manueller Routinearbeiten bei gleichzeitiger Verbesserung der Information und in diesem

Zusammenhang vor allem die Einführung einer DV-gestützten lokalen Buchhaltung. Aus dem Beschluß zur Realisierung einer einheitlichen, dezentralen DV-Lösung, die Mitte 1983 getroffen wurde, geht hervor, daß alle Landesniederlassungen eigene Computer zur Verarbeitung der lokalen Aufgaben erhalten. Überregionale Aufgaben - vor allem die Führung von Informationsbeständen für zentrale Auswertungen - werden weiterhin in Frankfurt bearbeitet. Über ein weltweites Online-Kommunikationsnetz (DECNet) sind alle Niederlassungen an den zentralen Hostrechner angeschlossen. Gleichzeitig werden in Frankfurt die Softwareentwicklung und Fernwartung aller angeschlossenen Computer durchgeführt.

Die Hardware im neuen Kommunikationsnetz muß hohen Ansprüchen an Leistungsfähigkeit und flexible Ausbaumöglichkeiten, die Software neuesten Erkenntnissen in bezug auf Einheitlichkeit und Kosteneffizienz auf der einen sowie Flexibilität und Modularität auf der anderen Seite genügen. Diese Zielsetzungen werden vom Hauptauftragnehmer, dem Systemhaus Sesa, auf der VAX-Computerfamilie von Digital Equipment durch ein neuartiges Software-Schichtenmodell realisiert.

Dieses Modell umfaßt einen für alle Filialen gemeinsamen "Kern" und eine jeweils landesspezifische "Schale". Durch strikte Trennung der installationsabhängigen Softwarekomponenten und der allgemeinen Bankanwendungen mit Hilfe einer Parametrisierung wurde ein Höchstmaß an Flexibilität erreicht. Die Kompatibilität mit den bisherigen DV-Anwendungen in der Zentrale wurde beibehalten. Das neue Realtime-Programm ist so konzipiert, daß es bei anderen Banken mit vergleichbaren Zielsetzungen eingesetzt werden könnte.

Um den Kosten- und Zeitrahmen des umfangreichen Projekts nicht zu überschreiten, wurde konsequent auf die Verwendung standardisierter Komponenten Wert gelegt. Das betrifft die Entwicklungs-Werkzeuge und -Verfahren genauso wie die Netzwerkkomponenten, die Hardware-, Software- und Benutzer-Schnittstellen (Bildschirm-Formatierung, Menüs und Systemmeldungen, Listen- und Berichtslayouts).

Netzwerk-Architektur mit SNA-Gateway

Die allgemeinen Zielsetzungen sowie im Detail die System-Werkzeuge

und die bankspezifischen Werkzeuge in Form von Subroutinen und "Gerüsten" und schließlich die einzelnen Anwendungen wurden bei Projektbeginn Anfang 1984 in einem Pflichtenheft fixiert. Nach diesen für den Projekterfolg notwendigen Vorarbeiten begannen die Beteiligten Anfang 1985 mit der eigentlichen Realisierung, das heißt der Installation der

Hardware und der Implementierung erster Softwaremodule in einzelnen Auslandsstellen. Bis Ende 1985 waren außer dem Cluster Frankfurt - bestehend aus VAX 11/785 als Entwicklungs-/Testrechner und VAX 11/750 als Netzwerk-Kontrollrechner - die Bankplätze London, Amsterdam, Brüssel, New York, Hongkong, Tokio und Singapur angeschlossen. Demnächst folgen Madrid und Paris sowie weitere Stützpunkte in USA.

Die Hardware-Konfigurationen sind je nach Filialgröße unterschiedlich. Sie reichen von der VAX 11/ 750 bis zur VAX 8650 und umfassen jeweil 8 bis 24 MB Hauptspeicher, durchschnittlich ein bis zwei GB Plattenkapazität, 20 bis 160 Terminals, Drucker und Magnetbänder.

Die lokale Rechner-Terminal-Verbindung ist teilweise über Ethernet realisiert. Die internationalen Plätze sowie der Cluster in Frankfurt sind via DECNet in ein weltweites Kommunikationsnetz eingebunden. Am Platz Frankfurt ist über eine redundante SNA-Gateway-Verbindung die Kopplung der "DEC-Welt" mit der zentralen "IBM-Welt" realisiert. Jedes Terminal im Netz kann als Multifunktionsstation betrieben werden: Neben dem Zugriff zu den lokalen Anwendungen kann über die Emulation von SNA-Dialog- und RJE-Protokollen die Verbindung zur Zentrale jederzeit hergestellt werden.

"lndividualisierbare" Banken-Software

Bevor sich die Commerzbank für eine Neuentwicklung entschied, wurden die wenigen auf dem Markt vorhandenen Banken-Softwarepakete untersucht. Dabei stellte das Projektteam fest, daß die Anwendungspakete nicht den neuesten Technologien entsprachen. Sie boten zuwenig Flexibilität oder waren zu landesspezifisch orientiert. Eine Anpassung der Software hätte weder der eigenen Philosophie entsprochen, noch wäre der Aufwand gegenüber einem Neukonzept geringer gewesen.

In den Anwendungen ist der technische Teil wie Operating, Datenschutz, Datenverwaltungs- und Zugriffsverfahren, Tabellenerstellung und -verwaltung von den bankspezifischen Anwendungen abgekoppelt. Speziell durch Parametrisierung wurde das Programmpaket modular: Landesspezifisch und filialabhängige Daten sind in Form von Parametern berücksichtigt, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. Die Benutzeroberfläche ist bei allen Anwendungen einheitlich gestaltet und den Vorstellungen der Mitarbeiter bestmöglich angepaßt. Auf Hilfestellung am Terminal (selbstklärendes System, Help-Funktionen) wurde besonderer Wert gelegt - nicht zuletzt, um die Betreuung "aus der Ferne" effektiv zu gestalten.

Durch die Software-Architektur mit Rahmenprogrammen für die Dialog- und Batch-Verarbeitung, durch strenge Programmierrichtlinien und durch die Standardisierung bis hinein in die Endanwendungen ergeben sich große Vorteile, die sich in Zukunft auch in den Betriebskosten niederschlagen werden: keine Programmier-Redundanz, vereinfachte Wartung, leichte Erweiterungsmöglichkeiten.

Neue Programmiersprachen sind integrierbar

Nach einiger Zeit der praktischen Arbeit mit den neuen Systemen ergaben sich bereits erste Akzeptanzpunkte, neben den herkömmlichen Bankanwendungen auch die neuen Techniken der Büroautomation und -kommunikation zu nutzen. Das beginnt bei der Textverarbeitung über das vorhandene System und hört bei Ad-hoc-Auswertungen von Informationsbeständen einschließlich ihrer grafischen Darstellung noch lange nicht auf.

Noch wesentlich darüber hinaus gehen die Gedanken des Systemhauses Sesa. Zwar wurde aus realistischen Erwägungen heraus das Softwarepaket in konventionellem Cobol realisiert, ist aber dennoch von der Struktur her so offen, daß neue Sprachen wie ADA entsprechend künftiger Bedeutung ohne weiteres in das vorhandene System implementiert werden können. Ähnliches betrifft Schnittstellen zu künftigen Einsatzbereichen künstlicher Intelligenz - Expertensysteme zur Sachbearbeiter-Unterstützung in einer Bank sind nicht nur sinnvoll denkbar, sondern auch von ihrer Realisierung nicht so weit entfernt.

*Angelika G. Loewenheim ist freie Fachjournalistin für EDV und Bürotechnik in Mühlheim/

Main .