Bis hin zum eigenen Anlagenbau

Bei Miele steht vor der Produktion die Simulation

18.08.2000
MÜNCHEN (uo) - Miele & Cie., Bielefeld, hat die kommende Geschirrspüler-Generation bereits in der Pipeline. Für die Fertigung müssen ein Erweiterungsbau sowie neue Produktionsanlagen her. Die Entwürfe aus dem Computer Aided Design (CAD) dienen den Planern dabei als Grundlage für eine Simulation der kompletten Fertigung.

"Wie kann die Fertigungslinie aussehen, bei der vorne Material reingeht und hinten ein vormontierter Geschirrspüler rauskommt?" ist die derzeitige Leitfrage von Kurt Rühe, Leiter Prozessplanung bei Miele, und seinem Mitarbeiter Rainer Adrian. Die beiden reden von einer Fertigungslinie anstelle einer -straße wie ihre Kollegen aus der Automobilbranche, wenn sie das Produktionskonstrukt aus Roboterzellen, Schweiß-, Hydroforming- und Montageapparaten meinen.

Solche Konstruktionen finden sich bei Miele hauptsächlich in der Vormontage, in der die Geschirrspülbottiche entstehen, während in der Montage noch viel Handarbeit anfällt. Im Vorfertigungsbereich entstehen 60 Varianten, aus denen in der Montage rund 500 Typen werden. Alle Modelle basieren auf fünf Bottichen, die sich nach Breite - 45, 55 oder 60 Zentimeter - und in der Höhe - Küchenunterbau, ja oder nein - unterscheiden. Bis ein Bottich vormontiert ist, durchläuft er zehn Schweiß- und ein paar Biegeoperationen und bekommt zwecks Geräuschdämmung eine Bitumfolie auf den Nirosta-Mantel aufgeschmolzen.

In der Hauptmontage werden die Geschirrspüler zunächst so weit zusammengestellt, dass eine Funktionsprüfung stattfinden kann. Dabei durchlaufen alle Geräte einen kompletten Spülzyklus, der über eine optische Schnittstelle gesteuert und auf 15 Minuten pro Durchgang beschleunigt wird. Die Prüfdaten werden dokumentiert und ausgewertet. Da jeder Geschirrspüler über einen Barcode identifizierbar ist, können defekte Geräte aus der Produktion ausgeschleust und zur Reparatur gegeben werden. Erst nach der Funktionskontrolle bekommen die Geräte eine weitere Schalldämmung, ihre Außenbleche und Besteckkörbe, die Kabel für den Betrieb von 220 und 110 Volt sowie Schalterblenden in unterschiedlichen Sprachen.

Derzeit fertigt Miele in zwei Schichten pro Tag 2850 Geschirrspüler. Dafür stehen vier Montagelinien und zwei Vorfertigungshallen zur Verfügung. In der mit 2200 Quadratmetern vergleichsweise kleinen Halle 37 werden alle fünf Bottichtypen produziert, in einer Taktrate von 45 Sekunden beziehungsweise 400 Bottichen pro Schicht. Diese im Fachjargon "chaotisch" genannte Fertigung hat unterschiedliche Losgrößen zur Folge. Ein großes Los sind etwa 100 bis 150 Stück eines Typs, ein kleines kann nur aus drei bis fünf Geschirrspülbottichen bestehen. Dagegen entsteht in der Halle 57 nur ein Typ des Geschirrspülinnenraums, so dass hier die Taktrate nur 25 Sekunden beträgt und 800 bis 900 Geräte pro Schicht gefertigt werden.

Die Ausstattung der Halle 37 war das erste Projekt, bei dem das Simulations-Tool "Robcad" der Tecnomatix GmbH, Neu-Isenburg, verwendet wurde. Mittlerweile hat der Hersteller das Produkt umbenannt; es gehört heute zur "EM-Power"-Produktfamilie. Der Ersteinsatz des Werkzeugs bei Miele war 1992/93, doch noch heute zeigen Rühe und Adrian Stolz, wenn sie das Ergebnis ihrer Arbeit vorführen. Immerhin waren die Vorgaben wie die kleine Halle und die chaotische Fertigung sehr anspruchsvoll.

Bis Miele zur Simulation am Bildschirm wechselte, mussten aufgrund der Vorgaben aus dem CAD-System Holzmodelle von Robotern und Roboterteilen gebaut werden. Nur so ließen sich Bewegungsabläufe und Distanzen überprüfen. "So etwas ist nicht mal eben gemacht", sagt Rühe. "Da musste erst ein Greifer konstruiert und dann auch gebaut werden", beschreibt er den Aufwand. "Allein bis die Musterteile für eine Roboterzelle mit Greifer, Schweißstation und ein bisschen Peripherie vorlagen, hat es drei bis vier Wochen gedauert", ergänzt Adrian. "Mit dem Simulations-Tool lässt sich dasselbe in drei, vier Tagen untersuchen."

Dieser Planungsschritt verkürzt sich unter anderem dadurch, dass das Softwarewerkzeug über eine Bibliothek mit gängigen Robotern und Roboterteilen, zum Beispiel von Kuka, Kawasaki Robotics, Fanuc, ABB oder Stäubli und Adept, verfügt. Die Grobplanung für die Fertigungslinie erfolgt weiterhin mit Hilfe der CAD-Software "Catia". Über eine zwischen dem CAD-Werkzeug und dem Simulations-Tool installierte Schnittstelle lassen sich die Daten in die Simulationsumgebung übernehmen. In eine geplante Zellenumgebung können dann die 3D-Roboter-Modelle als Komponente geladen, eingepasst und als Kinematik aktiviert werden. "Das, was wir virtuell geplant hatten, konnte eins zu eins gebaut werden", schwärmt Adrian noch heute. Nach knapp einem Jahr der Planung konnten Ende 1993 die ersten Roboter aufgestellt werden. Im Rhythmus von drei Wochen kam dann jeweils ein neuer Roboter hinzu. Damit hatte sich bereits in diesem ersten Projekt die Anschaffung eines Simulationswerkzeugs amortisiert.

Doch nun steht eine neue Geschirrspüler-Generation an und damit neue Fertigungslinien. Ein neues Simulations-Tool soll es aber nicht sein. Trotzdem machen sich Rühe und Adrian Gedanken über eine Alternative. Während es ihren Angaben zufolge bei der Planung von Halle 37 kein vergleichbares einsatzfähiges Produkt gegeben hat, liebäugeln sie heute mit den Simulationswerkzeugen von Adept Technology Inc., aus dem kalifornischen San Jose.

Miele setzt vornehmlich die Scara-Roboter von Adept ein beziehungsweise die Horizontal-Schwenkarm-Roboter der Schweizer Firma Stäubli, die ihre Industrieroboter seit 1993 aber auch mit der Adept-Steuerung ausstattet. Der wesentliche Vorteil der Adept-Simulation liegt darin, dass die Planung und die Steuerung der Roboter auf ein und derselben Softwareumgebung basieren.

Wie die Prozessplaner erläutern, verfügt Adept über eine "mächtige Programmierumgebung", die Miele-Entwickler für die Programmierung der CNC-Maschinen nutzen. Die auf C und C++ basierende Simulationsplattform von Tecnomatix trennt die Fertigungsplanung von der Roboterprogrammierung. Kämen beide Umgebungen von Adept, ließe sich ohne Probleme zwischen Simulation und Programmierung wechseln und die Simulation zumindest partiell in eine Maschinensteuerung umwandeln. Der Aufwand für die jetzt notwendige Codierung der Robotersteuerung würde zu einem Großteil entfallen.

Gegen den Wechsel zum Adept-Tool spricht jedoch der hohe Produktivitätsgrad des angewendeten Werkzeugs, den sich Adrian und Rühe erarbeitet haben. Die Prozessplaner haben Bibliotheken zu Magazinen, Robotersockeln, Greifern und Übergänge zu Transportbändern angelegt, wie sie bei Miele im Einsatz sind. Die dadurch für das Unternehmen quasi standardisierten Produktionsmittel passen zueinander, lassen sich kombinieren und ermöglichen gegebenenfalls eine schnelle Anpassung an neue Produktionsbedingungen. "So ohne weiteres sind die Komponenten nicht in die Adept-Umgebung übertragbar", argwöhnt Rühe. Darüber hinaus sei die Adept-Plattform noch limitiert, was die Anzahl der Fertigungszellen angeht. Mit EM-Power lassen sich mehr Produktionseinheiten gleichzeitig darstellen. Somit bleibt es auch im Zuge der Planung für die neue Halle bei einem Update der bisher eingesetzten Simulationssoftware.

Miele in BielefeldHeute produziert das Miele-Werk in Bielefeld auf 97000 Quadratmetern neben Staubsaugern auch Labor- und Geschirrspüler. Den Grundstein für das Unternehmen Miele & Cie. legten Carl Miele und Reinhard Zinkmann im Jahr 1899 - jedoch in Herzebrock. Damals entstand ein Manufakturbetrieb, in dem Milchzentrifugen, Buttermaschinen und Holzbottich-Waschmaschinen gefertigt wurden. Als der Standort zu klein wurde, siedelte der Betrieb 1907 nach Gütersloh um. 1916 entstand die Produktionsstätte in Bielefeld. Den ersten automatischen Geschirrspüler mit zwei rotierenden Spülarmen brachte Miele 1960 auf den Markt, 18 Jahre später das erste Mikrocomputer-gesteuerte Modell.