Bei MCW lohnt sich ein zweiter Blick Entwicklungsumgebungen fuer native Power-Mac-Anwendungen

15.04.1994

Der Power-Mac entfaltet erst mit Software in der angestammten Sprache seine wahren Faehigkeiten. Damit diese Software entstehen kann, ist eine vernuenftige Entwicklungsumgebung notwendig

Obwohl Apple und Symantec bereits vor gut einem Jahr lautstark fuer ihr Bedrock-Projekt warben, hat es sich bis dato nicht naeher konkretisiert. Die beiden Firmen scheinen eher wieder auseinanderzudriften. Von dieser Situation profitiert ein neues Produkt, das auf den martialischen Namen Metrowerks Code Warrior (MCW) hoert und dabei ist, neue Standards in puncto Entwicklungsumgebung zu setzen. Apple bundelt es nun sogar mit dem hauseigenen SDK on RISC. Die Kanadier fanden mit ihren Modula- Produkten in der Vergangenheit zwar eine kleine Schar getreuer Anhaenger, aber, stets im Schatten von MPW oder Think, blieb ihnen der grosse Durchbruch verwehrt.

Mit den drei Produkten der Code-Warrior-Serie (Bronze, Silber, Gold), die als Vorabversionen mit Upgrade-Pfad seit Januar verfuegbar sind, hat sich das geaendert. Metrowerks betritt erstmals das angestammte C/C++/Pascal-Terrain der Konkurrenz. C und C++ orientieren sich am ANSI-Standard, bei Pascal, dessen Power-Mac- Version fuers zweite Quartal projektiert ist, wird auf MPW Pascal 3.3. ohne Objekterweiterung gesetzt. Assembler-Freaks koennen uebrigens die Mnemonics direkt in den C-Code einbauen.

Die Varianten Bronze, Silber und Gold unterscheiden sich nur durch die erforderlichen Plattformen; die mitgelieferten Entwicklungs- Tools sind nahezu identisch. Bronze bietet eine Entwicklungsumgebung fuer 68K-Macs, Silber richtet sich an Power- Macs, und die Gold-Version deckt beide Plattformen ab, wobei sogar auf 68K-Rechnern fuer den Power-Mac entwickelt werden kann. Auch der Preis der Entwicklungsumgebungen ist aggressiv: 399 Dollar (weniger attraktiv der deutsche Preis von 1010 Mark) fuer das High- end-Produkt, 199 Dollar fuer Bronze (504 Mark) und 299 Dollar fuer Silber.

Im Gegensatz zur bisherigen Gepflogenheit der Compiler-Bauer gibt es auch eine lokalisierte Fassung in deutscher Sprache. Wir erhielten uebrigens die Gold-Version, Developer Release No. 1, von der wir schlichtweg begeistert sind. Alle Produkte werden auf CD und grundsaetzlich ohne Dokumentation in Papierform ausgeliefert. Wer dennoch auf Hardcopies Wert legt, kann sich via Apples Doc Viewer, in dessen Format alle technischen Referenzen vorliegen, die wichtigsten Passagen ausdrucken. Im Handumdrehen hatten wir drei Programme an Metrowerks Besonderheiten angepasst und auf die Power-Mac-Plattform portiert. Obwohl es nur ein Prerelease ist, macht das Produkt schon einen sehr stabilen und soliden Eindruck. Bug-Reports und Entwickler-Feedbacks beantwortet Metrowerks beinahe im Handumdrehen, in den einschlaegigen Online-Boards gibt es Patches und Tips. Nach den eher zoegerlichen Reaktionen von Symantec auf die vielen Ungereimtheiten in Version 6 von Think C erscheint die prompte Unterstuetzung seitens Metrowerks wie eine Wohltat. Bleibt zu hoffen, dass dieser Support auch kuenftig so beibehalten wird.

Die Codequalitaet von MCW besitzt bereits jetzt MPW-Niveau. Was Geschwindigkeitsoptimierung und Codegroesse betrifft, hat allerdings Symantecs Think C noch etwas die Nase vorn, wie ein grober Vergleich von drei unterschiedlichen Kompilaten (Dhrystone-Suite, Macwelt-Quickdraw-Benchmarks, Macwelt-Snake) ergab. Die noch vorhandenen Bugs - wenn etwa der Power-Code mit "Instruction Scheduling" optimiert werden soll - sind im jetzigen Stadium zu tolerieren.

MCW vereinigt nach unserer Ansicht die groessten Vorteile von Think C und MPW. Der grundsaetzliche Aufbau entspricht dem bewaehrten Think-Konzept. Die bekannten Projektdateien werden bei MCW lediglich mit dem Suffix + statt wie bei Think mit p versehen. Ansonsten sind selbst die Menues nahezu identisch. Wen wundert's, heisst es doch in der Geruechtekueche, viele ehemalige Think- Entwickler haetten bei Metrowerks angeheuert. Begeistert waren wir vor allem vom neuen Editor, der alle Schwachstellen der Symantec- Variante ausmerzt. Endlich werden sich die Fensterpositionen gemerkt, endlich entfaellt beim Suchen nach einem selektierten Begriff der CMD-E-Umweg. Die Funktionalitaet entspricht dem MPW- Editor oder dem legendaeren BBEdit von Rich Siegel. Colorierte Kommentare und Schluesselworte, eine Touch-Option fuer Dateien, durchdachte Multifile-Suchoptionen und Popup-Menues fuer Funktionsdefinitionen und includierte Header-Dateien haben den MCW-Editor sofort zum favorisierten Schreib-Tool werden lassen.

Bei der Handhabung des Projekts und des Object-Codes folgt MCW dem Think-Konzept, wobei Object-Code nicht separat verwaltet wird. Im Gegensatz zum Trendsetter kann 68K-Code jedoch auch auf Funktionsebene segmentiert werden.

Symbolinformationen fuer den Debugger werden separat verwaltet, so dass Sie keine gigantischen Projektdateien befuerchten muessen. Der Source-Level-Debugger aehnelt uebrigens eher dem von MPW bekannten Source-Bug und laesst sich separat starten.

Leider reichte die Zeit nicht fuer einen ausfuehrlicheren Blick auf Metrowerks eigene Klassenbibliothek Power Plant. Konzeptionell aehnelt sie der Think Class Library und erdrueckt nicht mit der Mac- App-Masse. Ein Tool zur Unterstuetzung der View-Hierarchien ist derzeit lediglich in rudimentaerer Fassung vorhanden; auch ein Class-Browser fehlt noch. Was dieses neue Framework auszeichnet, ist vor allem die eingebaute Unterstuetzung des Apple Event Object Models. Entwickler duerften damit ihre zukuenftigen Applikationen einfacher scriptfaehig machen, was letztendlich dem Anwender zugute kommt, der schon seit laengerem mit Applescript in den Startloechern steht. MCW ist im jetzigen Stadium schon eine gute Alternative zu den etablierten Entwicklungs-Tools, zumal alle bekannten Werkzeuge wie Res-Edit, Tool-Server oder Source-Bug mit auf den CDs zu finden sind. Angeblich soll das Build fuer eine vollwertige Power- Mac-Applikation nur 15 Minuten gedauert haben, waehrend Apples SDK on RISC fuer das gleiche Vorhaben mehrere Stunden benoetigt hat.

Unser Fazit: Fuer die Native-Power-Mac-Entwicklung scheint Metrowerks Code Warrior am besten gewappnet zu sein, wenn man von speziellen Cross-Entwicklungsumgebungen seitens Motorola oder IBM einmal absieht. Die Unterstuetzung des Pointer-basierten Mac App (ab Version 3.1) wird eingefleischte Mac-App-Entwickler dazu motivieren, einen zweiten Blick auf MCW zu werfen, zumal sich SDK on RISC ja derzeit nicht gerade durch besondere Schnelligkeit hervortut. (MPWs Traegheit wurde offenbar hoechst erfolgreich in die Power-Welt portiert). Wenn die optimierten Vollversionen nicht zu lange auf sich warten lassen und die marginalen Schwaechen ausgebuegelt werden, dann ist MCW die erste Adresse in Sachen Mac- Entwicklungsumgebung.