Round Table KI

Bei KI-Projekten gilt: Klein starten!

25.07.2018
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Künstliche Intelligenz ist eine Aufgabe, die IT- und Fachbereiche gleichermaßen beschäftigt. Es geht auch darum, Dinge auszuprobieren und mit Use Cases zu spielen. Fünf Branchenkenner raten Entscheidern, sich zu Beginn nicht zu viel vorzunehmen.

Zwei Buchstaben: KI. Dahinter verbirgt sich nicht nur Künstliche Intelligenz sondern auch Spielarten wie Machine Learning, Deep Learning oder neuronale Netze. Sicher ist, die KI-Lawine ist losgetreten, die Entscheider in den Unternehmen müssen aktiv werden. Aber wie gehen sie vor? Wer sind die Treiber und welche Hindernisse sind zu beseitigen? Darüber tauschen sich auf Einladung der Computerwoche fünf Experten aus. Tom Becker (Alteryx), Stefan Gössel (Reply), Harald Gröger (IBM) sowie Tom Ruban (Juniper Networks) und Thomas Uhlemann (Eset). Sie starteten mit der Frage: Wie kommt KI ins Unternehmen? Die Ergebnisse im Einzelnen:

1. Ohne die Initiative der Fachbereiche werden KI-Projekte scheitern. "Oft geht es damit los, dass Entscheider auf einer Konferenz eine interessante Anwendung sehen und sich überlegen, wie das zu ihrem Unternehmen passen könnte", beobachtet Ruban. Die Frage nach den Tools stelle sich erst später.

So sollte es auch sein, kommentiert Becker: "Die alte Denke der IT, wonach anhand eines Katalogs ein Tool ausgewählt wird und der Fachbereich dann 'mal machen soll', funktioniert nicht mehr." Schon ist die Diskussion beim oft schwierigen Verhältnis von Fachabteilung und IT angekommen - seit Jahren ein Dauerbrenner. Die Initiative für KI-Projekte ergebe sich oft aus "einem Wunsch oder einem Schmerz" eines Fachbereichs, beobachtet Gössel. "Trotzdem sehen wir auch Initiativen aus der IT, weil die sich als Enabler positionieren will. Aber das scheitert, wenn der Fachbereich nicht eingebunden ist", sagt Gössel.

Denn in den Fachabteilungen stecken die Use Cases. Eben deswegen zählt Gössel auch viele Mittelständler zu seinen Kunden. Die richten sich an ihren Kunden aus und nicht an dem, was irgendwelche Investoren wollen. Stichwort Use Cases: Ein geeigneter Anwendungsfall ist die Voraussetzung dafür, dass ein KI-Projekt gelingt. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt: Jeder in der Runde kennt mindestens einen großen Konzern, der mehrere hundert Data Scientists eingestellt hat - die nicht wissen, was sie tun sollen. Die Daten sind im Data Lake zusammengeführt worden, die Spezialisten sind an Bord, doch was fehlt, sind der Business Cases und die nötigen Trainingsdaten. Eine Situation, die sich vermutlich kein Mittelständler leisten würde. Unabhängig von der Firmengröße empfiehlt Becker: "Die Fachabteilungen müssen mit Use Cases spielen können!" Teams brauchen einen hohen Grad an Experimentierfreiheit, wenn es um Innovationen geht. "Zum Glück gibt es dafür Labs", sagt Becker.

2. Die Datenqualität rückt in den Fokus: Wer die nicht hochhält, produziert trotz der besten Datenmanagement-Tools "garbage in, garbage out", wie Uhlemann sagt. Vor diesem Hintergrund sei die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die Unternehmen spätestens seit dem 25. Mai zu einer Auseinandersetzung mit Datenqualität zwingt, zu begrüßen.

3. Künstliche Intelligenz ist nicht zuletzt eine Frage der Ethik: "Wenn die ethischen Fragen nicht geklärt sind, nimmt der Markt KI nicht an." Diese These illustriert IBM-Mann Gröger mit dem Bild vom selbstfahrenden Auto, das im Falle eines Unfalls entscheiden muss: Wird das Leben des Fahrers gerettet oder das des Kindes, das die Straße überquert. Wie wichtig die Rolle der Ethik ist, zeigt sich am prominenten Beispiel Google: Der Internet-Riese musste kürzlich seine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Militär aufkündigen, weile tausende Mitarbeiter Bedenken hatten und mit Kündigung drohten. Sie lehnen die Kooperation aus moralischen Gründen ab.

Doch es geht auch eine Nummer kleiner. Gröger kennt eine Bank, die ganz bewusst nicht mit neuronalen Netzen arbeitet. Kein Kunde soll seine Rechnungen nicht mehr mit der Kreditkarte bezahlen können, ohne von einem Bankberater mit der nötigen Empathie erklärt zu bekommen, warum.

4. Nie war es nach Meinung der Diskutanten so einfach, Mitarbeiter zu qualifizieren, wie heute. Leider wüssten das aber die meisten Personalabteilungen nicht. Auch deshalb sei der Fachkräftemangel ein großes Thema, und auf die KI wirke er sich besonders aus. Web-Tutorials, Online-Akademien - jeder könne sich zeit- und ortsabhängig für kleines Budget weiterqualifizieren. Warum Unternehmen das nicht für ihre Belegschaft nutzen? "Personalabteilungen, die Trainingspläne ausgeben, wissen von diesen Möglichkeiten gar nichts", beobachtet Gössel.

Auch die Universitäten sind nach Meinung der Diskutanten nicht immer auf der Höhe der Zeit. Uhlemann vermisst den Link zur unternehmerischen Praxis. "IT-ausbildende Universitäten streiten heute immer noch dafür, Cobol zu erhalten", seufzt er. Gössel kommentiert: "Moment, die Banken brauchen das!" - und löst damit allgemeines Gelächter aus.

5. Diskutiert wurde auch die Frage nach der Datenhoheit: CIO, Chief Data Officer, Chief Digital Officer, Fachabteilung - wer hat hier den Hut auf? Braucht es konzernweit eine zentrale Funktion, die für Daten verantwortlich ist? Bevor ein Unternehmen diese Fragen klären könne, müsse es erst einmal wissen, welche Aufgaben dieser Daten-Chef erfüllen soll, meint Gössel.

Aus ihrer Erfahrung heraus plädieren einige Diskussionsteilnehmer dafür, ein Team aus verschiedenen Fachleuten zu bilden. IBM-Mann Gröger indes will das Datenthema nicht zentral aufgehängt sehen. "Jede Fachabteilung muss fähig sein, die eigenen Daten auszuwerten", fordert er. Werde ein Chief Data Officer installiert, müsse er vor allem Sinn für das Geschäft mitbringen. Deutsche Automobilhersteller beispielsweise wüssten genau, in welchem Zustand die Straßen im Lande seien. Dennoch schicke das Verkehrsministerium orangefarbene Fahrzeuge herum, die Schlaglöcher aufspüren sollen. Autobauer könnten diese Informationen ebenso gut an die Behörde verkaufen. Dazu müsse ein Chief Data Officer keine neuen Daten generieren, sondern einen Business Case auf Basis der bereits vorhandenen Daten schaffen.

6. Ausblick: In der Frage des optimalen KI-Einstiegs waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig: Unternehmen sollten klein starten und das Risiko einkalkulieren, dass mit einem Projekt auch mal "auf die Schnauze zu fallen". Es gelte, aus Fehlern zu lernen und vor allem, die Systeme lernen zu lassen - mit sauberen, reichlich vorhandenen Trainingsdaten. Prototypen zu bauen und dann in der Fläche auszurollen, ist etwas, das viele Unternehmen mit ihren agilen Entwicklerteams und in ihren Digital Labs ohnehin längst tun. Wichtig sei es, dort zu lernen, wo es nicht weh tut - und nicht im Kerngeschäftsbereich anzufangen.

Diesen Tipps mag die Eitelkeit manchen Business-Managers im Wege stehen, der gerne vor großem Publikum von unternehmensweiten KI-Strategien spricht. "Manager denken in Regeln, ohne heuristisches Verständnis", sagt Gössel, "ganz nach dem Motto: Jetzt definieren wir die Regeln, und dann haben wir KI-Lösungen. Aber das funktioniert nicht!"