E-Commerce/Middleware für die Denkweise des Anwenders

Bei der Suche im Web bleiben viele Kundenwünsche noch außen vor

15.10.1999
Die Suche nach Produkten im Web gestaltet sich häufig sehr zeitaufwendig. Oft entspricht das Ergebnis nicht den Erwartungen, werden Kundenwünsche nicht erfüllt. Die Ursache dafür liegt in Suchroutinen, die ausschließlich nach harten Kriterien auswählen. Flexiblere und intelligentere Möglichkeiten biete die präferenzengesteuerte Suche, erläutert Werner Kießling*.

Nach Produkten und Informationen im Web zu suchen ist bekanntlich recht aufwendig. Unzählige Klicks sind erforderlich, bis das Gewünschte auch nur annähernd gefunden ist. Viele Benutzer geben schon nach wenigen Fehlschlägen auf. Selbst Suchmaschinen wie Yahoo oder Altavista helfen hier nur wenig. Sie fördern entweder keine oder aber eine Vielzahl von Ergebnissen zutage, wovon die meisten unbrauchbar sind. Der Interessent hat also wieder das Problem, die richtigen Angebote herausfiltern zu müssen. Fehlende oder unverständliche Suchfunktionen erschweren dies. Folglich laviert er sich mehr oder weniger durch das Web und erhält als potentieller Kunde bei seiner Suche keine elektronische Unterstützung.

Das hat sich auch bei E-Commerce und Online-Shopping bisher nicht geändert. Hier liegen die Informationen zwar in den Datenbanken der Anbieter, doch werden die Kunden nicht befriedigend bedient. Es fehlt eine intelligente Suchmaschine, um die strukturierten Datensätze nach Kundenwünschen zu durchforsten. Frustration und höhere Kosten durch längere Online-Zeiten sind die Folge. Entsprechend unglücklich sind Benutzer, was diverse Marktuntersuchungen belegen. 38 Prozent einer im Rahmen einer First-Surf-Shopping-Studie Befragten gaben an, daß es schwierig sei, bestimmte Produkte im Web ausfindig zu machen. Die US-Analysten Zona Research fanden heraus, daß 62 Prozent von 239 befragten erfahrenen Web-Shoppern ihre Suche nach einem Produkt, das sie online erwerben wollten, aufgegeben hatten. Die nicht adäquate Behandlung der Kunden könnte sich für den E-Commerce als Bremsfaktor erweisen.

So hat auch der Marktforscher Forrester Research das Verhalten der Online-Käufer unter die Lupe genommen und festgestellt, daß Unternehmen ungefähr 50 Prozent ihres potentiellen Online-Umsatzes verlieren, weil die Benutzer das Produkt einfach nicht finden.

Es ist also in heutigen elektronischen Läden an der Tagesordnung, daß ein Kunde mit Kaufabsicht einen Laden betritt und bereits ziemlich genau weiß, was er will. Doch bekommt er keine oder eine schlechte Beratung, findet demzufolge nicht das Passende und geht wieder, ohne etwas gekauft zu haben. Bei genauer Analyse stellt man fest, daß die Wurzel des Problems in den Suchmechanismen liegt, die nicht der menschlichen Denkweise und Erfahrungswelt beim realen Einkauf entsprechen. Im zusehends härteren Wettbewerb zwischen virtuellen Einkaufsangeboten gewinnt die bisher vernachlässigte oder unzureichend gelöste Produktsuche aber sehr an Bedeutung.

Welche Arten von Suchroutinen findet ein E-Shopper in heutigen Online-Shops vor? Im besten Fall handelt es sich um eine parametrische Suche in SQL-Datenbanken. Die Attribute und Auswahlkriterien werden nach und nach abgearbeitet. Beispiel: Jemand möchte im Web einen Skiurlaub buchen. Wunschort ist Sankt Anton, der Preis sollte für eine Woche maximal 500 Mark pro Person betragen, als Abreisetag ist der 3. März festgelegt. Trifft nur eines dieser Attribute nicht zu, erhält der Kunde die Antwort "keine Ergebnisse". Die Alternativen, gleicher Ort, gleiche Zeit, aber etwas höherer Preis oder in der Nähe gelegener Ort, aber gleiche Zeit und gleicher Preis, werden ihm nicht automatisch angeboten. Er muß seine Suchkriterien ändern und mühsam neue, passende Angebote herausfinden. Dies bedeutet jedesmal einen eigenständigen Suchvorgang mit mehrmaligem Neuaufbau der Seite. Beispiele zeigen, daß eine Buchung oder ein Kauf aus über 20 Teilanfragen besteht. Die Konsequenzen: Der Kunde ist verärgert, und das System wird unnötig stark belastet.

Als Alternative werden Volltext-Suchmaschinen eingesetzt, wie sie auch Internet-Suchdienste wie Yahoo verwenden. Volltext-Suchmaschinen können vieles, was bei strukturierten Daten überflüssig ist. Leider sind sie - bis auf triviale Fälle - nicht komfortabel zu bedienen. Die Suchvorgänge sind für Nicht-Spezialisten nicht ganz einfach, da sie auf prädikatenlogischen Formeln (and, or, not) basieren. Andererseits können die Benutzer nicht direkt auf relationale Datenbanken zugreifen, sondern es bedarf einer Datenreplikation, was den Speicher- und Verwaltungsaufwand beträchtlich erhöht.

Unverständlich bleibt den meisten Benutzern auch die Bewertung der Ergebnisse, die auf (oft sogar geheimen) Gewichtungsfunktionen der Volltext-Suchmaschinen beruht. Der naheliegende Ansatz, alle Kriterien anhand einer gewichteten Summe zu einem Sortierkriterium zusammenzufassen, hat zudem einen entscheidenden Nachteil: Größere Gruppen ähnlicher Produkte, die in einem Kriterium leicht variieren, versperren den Blick auf Alternativen, die sich von diesen grundsätzlich unterscheiden. Es fehlt ein schneller Überblick, welche qualitativ unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt. Diesen Gewichtungsansatz findet man nicht nur in manchen Eigenentwicklungen, sondern auch bei Lösungen, die auf fallbasiertem Schließen beruhen.

Eine umfassende Lösung bietet die Suche mit sogenannten Präferenzen. Dieses Thema beschäftigt Datenbankforscher schon seit einigen Jahren (Stichwort "kooperative Datenbanksysteme"). Es geht darum, die harten Auswahlkriterien von SQL durch Priorisierung, Gewichtung, "Kann"- und "Muß"-Attribute etc. aufzuweichen, um befriedigendere Ergebnisse zu erzielen.

Eine Erweiterung der DB-Abfragesprache SQL

Ein Spin-off der Universität Augsburg (Database Preference), hat kürzlich eine solche Innovation für die intelligente Datenbankabfrage entwickelt. Verstanden wird darunter, daß der Kunde seine Wünsche (= Präferenzen) genau angeben kann und sofort passende Angebote bekommt. Treffen die Suchkriterien nicht genau zu, erhält er die seinen Wünschen am nächsten liegenden Offerten. Der andere Skiort oder der höhere Preis würde damit schon bei der ersten Suche angezeigt. Der Kunde fühlt sich nach bereits der ersten Suche gut bedient.

Das Prinzip der Präferenzen ermöglicht, daß die elektronischen Systeme ebenso auf Kundenwünsche eingehen können wie gute Verkäufer im "richtigen Leben". Ist die gewünschte Ware nicht 100prozentig verfügbar, bieten sie Alternativen an. Diese Möglichkeit gibt es im World Wide Web bisher nicht. Das ist sicher auch nicht für alle Bereiche interessant, doch wenn es um Flüge, Immobilien, Hotels, Computer, Musik-CDs, Jobs, Geschenke, Gebrauchtwagen etc. geht, sind die Kunden in der Regel auch bereit, ein für sie ebenfalls passendes Ersatzangebot zu wählen.

Technisch realisieren läßt sich das Berücksichtigen von Benutzerwünschen durch eine Erweiterung der Standard-Datenbanksprache SQL. Deren Problematik liegt in der präzisen Logik, die keine direkte Unterstützung weicher Kriterien erlaubt, sondern ausschließlich im K.-o.-Verfahren arbeitet: trifft zu, trifft nicht zu. Vom Online-Shopper kann aber nicht erwartet werden, daß er wie eine SQL-Datenbank denkt. Deshalb muß eine Softwareschicht, der sogenannte Präferenzenoptimierer, zwischen SQL-Datenbank und Web-Oberfläche gelegt werden. Diese Middleware setzt die Denkweise und Formulierung der Anwender automatisch in für die Datenbank verständliche Anweisungen um.

Aus wissenschaftlicher wie praktischer Sicht ist die präferenzengesteuerte Suche über eine Erweiterung von Standard-SQL überlegen. So lassen sich automatisch Abfragen generieren, die quasi einen Filter zur Abfrage weicher Kriterien auf die Datenbank legen und die dem Benutzerwunsch am nächsten liegenden Ergebnisse präsentieren. Standards werden dabei eingehalten, so bleibt die Flexibilität und Offenheit bestehen. Dies betrifft nicht nur SQL selbst. Kommen zur Integration in die Anwendung JDBC oder ODBC zum Einsatz, ist keine zusätzliche Schnittstellen-Programmierung nötig. Die Anwendung adressiert nur den ODBC-Treiber des Präferenzen-Optimierers anstelle des entsprechenden Datenbanktreibers. Diese datenbankzentrierte Vorgehensweise ermöglicht zudem eine gute Performanz und Skalierbarkeit auch für sehr komplexe Kundenwünsche und sehr große Produktdatenbanken mit Millionen von Einträgen.

Diese Erweiterungen von SQL bieten jedoch nicht nur im Online-Shopping Vorteile. Auch intelligente Produktkataloge lassen sich so erstellen. Genauso können Selbstinformationssysteme zur Vermittlung von Jobs, Arbeitskräften oder Geschäfts- beziehungsweise Freizeitpartnern vom intelligenten "Matchmaking" durch präferenzengesteuerte Suche profitieren.

Angeklickt

Das Web verspricht bequeme Shopping-Möglichkeiten. Doch wer wirklich etwas Bestimmtes sucht, wird oft enttäuscht. Das Problem hat technische Ursachen: Den Datenbanksystemen - meist SQL-basiert - fehlt die Möglichkeit der präferenzgesteuerten Suche. Auch Volltextrecherche bietet keine zufriedenstellende Lösung. Ein Ansatz ist dagegegen die Erweiterung von SQL um eine Präferenzensteuerung.

*Professor Dr. Werner Kießling ost Ordinarius für Datenbanken und Informationssysteme an der Universität Augsburg.