Satellitenkommunikation/Kommunikationsverbindungen auf dem Umweg durch das All schuetzen

Bei Ausfall der Leitungen am Boden auf Satelliten schalten

05.01.1996

Jedes Rechenzentrum ist mehrfach gesichert: durch die besondere Lage innerhalb eines Firmengebaeudes oder auf dem Werksgelaende, eventuell gar verbunkert, oder durch eine ausgekluegelte Zugangskontrolle, durch eine aufwendige Feuerschutzanlage, durch Tresore fuer die Datentraeger, durch die Redundanz der Systeme oder gar durch das eigene oder ausgelagerte Zweitrechenzentrum. Die Binnensicherung ist in nicht wenigen Faellen mehrere Millionen Mark wert.

Doch jedes Unternehmen korrespondiert mit seiner Aussenwelt, und oft genug sind diese Kommunikationsverbindungen die Lebensadern des Betriebs. Da werden ganze Chemieanlagen remote gefahren, der Autohersteller ist von der Just-in-time-Lieferung des Auspuffproduzenten ebenso abhaengig wie Apotheken von der puenktlichen Belieferung durch den Pharmagrosshaendler.

Selbstverstaendlich werden auch fuer diese Kommunikationswege Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Haeufig besteht ein ISDN- Anschluss als Backup fuer die primaere Datendirektverbindung (DDV).

Doch genau diese preiswerten Backup-Loesungen bei der Datenfernuebertragung bergen Risiken, die den Verantwortlichen oft genug nicht bewusst sind. Die Gefahr lauert im lokalen Bereich: Primaer- und Backup-Datenleitungen liegen wie die Telefonkabel in einem Kabelschacht und sind damit aeusserst anfaellig fuer den oftzitierten und tatsaechlich immer wieder treffsicheren Bagger.

Einen zweiten, unabhaengigen Hausanschluss, der einen moeglichen Kommunikations-K.-o. auf Verbindungen mit ihren Zweigniederlassungen reduziert, leisten sich aber nur wenige Konzernzentralen. Stoerungen zum Beispiel durch Taktprobleme auf den Leitungen und Synchronisationsschwierigkeiten auf Primaermultiplex-Strecken lassen es regelmaessig in den Netzzentralen und den Ohren der Verantwortlichen klingeln.

Bisher haben nur wenige Anwender dieses Ungleichgewicht von guter RZ-Sicherung einerseits und unterentwickeltem Kommunikations- Backup andererseits erkannt. Noch weniger von ihnen haben es preiswert und effektiv behoben, naemlich mittels Satellitenkommunikation. Nur ueber dieses leitungsunabhaengige Medium ist jedoch eine Sicherung gegen Kommunikationsausfall moeglich.

So bietet beispielsweise die Teleport Europe GmbH Standby-Loesungen fuer Datengeschwindigkeiten von 32 bis 2048 Kbit/s an, wobei auch jede dazwischenliegende Datenrate moeglich ist. Im Bedarfsfall liessen sich auch die vielfaeltigen Kommunikationsanwendungen eines gesamten Corporate Network auf orbitale Strecken umschalten. Meist ist es aber nicht erforderlich, fuer den Notfall die ganze Uebertragungskapazitaet doppelt vorzuhalten.

Zum einen ist es ein hoher technischer und kostenintensiver Aufwand, eine Backup-Moeglichkeit fuer das komplette Telefonsystem zu realisieren, zum anderen steht heute jedem Entscheidungstraeger eines Grossbetriebes ein Mobiltelefon zur Verfuegung. Und die primaeren Datenleitungen sind in der Regel grosszuegig (ueber)dimensioniert. Folglich gelten - ohne Einbeziehung des Telefonverkehrs - fuer eine temporaere Ersatzschaltung ueber Satellit die Haelfte bis ein Achtel der Primaerkapazitaet als ausreichend.

Das Pharmagrosshandelsunternehmen Anzag braucht allerdings, wie DV- Chef Rolf Magold erklaert, eine Eins-zu-eins-Absicherung seiner 64- Kbit/s-Verbindungen, und die fast regelmaessig: In den Gewerbegebieten der neuen Bundeslaender, in denen momentan noch viel gebaut wird, war das Unternehmen schon mehrfach terrestrisch offline. Mittels Satellit liess sich das Tagesgeschaeft trotzdem wie gewohnt abwickeln.

Der Kunde kann verlangen, dass der Backup-Anbieter innerhalb 15 Minuten nach Eingang der Bedarfsmeldung in seinem rund um die Uhr besetzten Netzkontrollzentrum die Aktivierung einer Punkt-zu- Punkt-Verbindung garantiert. Die Bodenstationen sollten sich auf Kundenwunsch ausser fuer den interaktiven Datenaustausch auch fuer Sprach- beziehungsweise Faxkommunikation, fuer Videokonferenzen oder fuer die flaechendeckende Verteilung von Musik- und Werbespots in Supermaerkten nutzen lassen.

Auch Netzwerk-Manager Peter Zenti in der Koelner Zentrale der Kaufhof AG hat die Notwendigkeit einer Backup-Moeglichkeit erkannt, da das hochsensible Logistiksystem keine einzige Stunde unterbrochen sein darf. Schrittweise ruestet der Konzern derzeit Laeger mit einem satellitengestuetzten Backup-System aus, das im Ernstfall die Kommunikation mit der DV-Zentrale gestattet.

Die Signalverzoegerungkann Probleme bereiten

Hat ein Anwender ausreichend Kommunikationsknoten mit Satellitenantennen-Anlagen ausgeruestet, rechnet sich auch die Bereitstellung einer kundenexklusiven Funkfrequenz innerhalb seines Netzes. Beispielsweise, so erlaeutert der Netzkoordinator bei BASF, Juergen Kammann, verwendet sein Unternehmen einen solchen Traeger im Normalfall fuer die Telefon- und Faxverbindung zwischen den Standorten in Ludwigshafen und Moskau. Gelegentlich "kappe" man diese Strecke und nehme eine Zeitlang die Unwaegbarkeiten des terrestrischen Telefonnetzes in Kauf, um per Satellit eine dringend benoetigte Datenverbindung etwa zwischen Antwerpen und Barcelona aufzubauen.

Eine weitere Variante besteht darin, dass die Kunden selbst den Verbindungsaufbau zwischen zwei beliebigen Antennenstandorten seines Netzes initiieren. Bei diesem Modell hat der Anwender den zusaetzlichen Nutzen, die Satellitenverbindung nicht nur im Backup- Fall, sondern auch fuer Kommunikations-Peaks (zum Beispiel Batch- Laeufe) einsetzen zu koennen.

Weltweit steht eine Vielzahl von Kommunikationssatelliten fuer die Nachrichtenuebertragung zur Verfuegung, beispielsweise Intelsat, Eutelsat, DFS Kopernikus etc. Von den Erdfunkstellen zum geostationaeren Satelliten legt ein Signal einen Weg von ueber 36000 Kilometer zurueck, was physikalisch zirka 280 Millisekunden dauert.

Auf die meisten Anwendungen hat diese Verzoegerung keinen Einfluss, wie die Erfahrung mit den verschiedensten Datenendgeraeten, auch Routern und Bridges, und Kommunikationsprotokollen gezeigt hat. Doch es gibt auch Dinge, die auf diesen Delay empfindlich reagieren. So warten die Echoplex-Protokolle von DEC-Systemen bei jedem gesendeten Zeichen auf eine Quittierung. Folglich muss dieser Aspekt immer Bestandteil einer technischen Vorpruefung sein.

Die Antennenschuesseln haben je nach Auslegung fuer die maximale Uebertragungsgeschwindigkeit und abhaengig vom Standort innerhalb der Ausleuchtungskontur des verwendeten Satelliten einen Durchmesser zwischen 0,9 und 3,7 Meter. Den Verbindungsaufbau realisieren die Satellitendienstleister in der Regel mit Hilfe eines Waehlmodems, ueber das die relevanten Parameter wie Funkfrequenz und Uebertragungsgeschwindigkeit der Satellitenmodems an den betreffenden Standorten konfiguriert werden.

Da im Extremfall aber auch die Telefonverbindung nicht zur Verfuegung steht, bietet sich eine weitere Loesung an: Ueber einen eigenen Satellitenservicekanal und ein Satellitensteuermodem hat der Carrier einen leitungsunabhaengigen Remote-Zugriff auf die Funkanlagen. Damit laesst sich die Verfuegbarkeit des Systems regelmaessig feststellen und bei Bedarf die Verbindung einschalten.

Die Kosten fuer diese Anlagen und deren Betrieb halten sich in Grenzen: Eine komplette Antenneneinrichtung kostet je nach Konfiguration einschliesslich Service zwischen 1400 und 2000 Mark Monatsmiete. Fuer die Bereitstellung zum Beispiel einer 64-Kbit/s- Frequenz je nach verwendetem Satellit fallen zirka 500 Mark an. Und fuer die Verbindung selbst kommen etwa 90 Mark pro Stunde auf die Rechnung. Wenn dieselben Anlagen dann fuer Bandwidth on demand genutzt werden - der Unterschied zum Backup ist die Vorbestellung der Verbindung -, ist dafuer nur ein Stundensatz faellig. *Juergen Schreiber ist Prokurist und Vertiebsleiter der Teleport Europe GmbH in Hannover.

Kurz und buendig

Waehrend in den Rechenzentren alles fuer die Sicherheit getan wird, sind die Verbindungen zur Aussenwelt haeufig erstaunlich ungeschuetzt. Der schlimmste Saboteur ist der Bagger, der mit erstaunlicher Treffsicherheit immer wieder die empfindlichsten Punkte findet. Einem kostspieligen langfristigen Ausfall der Leitungen laesst sich nur durch ein satellitengestuetztes Backup der Kommunikationsverbindungen vorbeugen. Wie breit, reaktionsfaehig und schnell muss diese Sicherungsvariante ausgelegt sein? Was kostet sie?