Content-Management/Baustellen und Spielwiesen

Bedarfsanalyse und Ist-Zustand: CM-Systeme sind nicht immer am Platze

09.02.2001
Aus dem vorhandenen Content eine Goldgrube machen - das ist das Ziel vieler Verlagshäuser. Doch auch in der öffentlichen Verwaltung oder in der Forschung ist der Bedarf an Content-Management unbestritten. Noch hilft man sich vielerorts auch ohne klassische Content-Management-Software erfolgreich über die Runden. Etliche Beispiele dafür spürte Johannes Kelch* auf.

Sogar große Hightech-Unternehmen kommen gut ohne Content-Management-System aus. Das belegt das Beispiel Sun Microsystems. Wie Pressereferent Carsten Müller versichert, nutzt der Server-Spezialist hierzulande selbst entwickelte Java-basierende Tools, um die News des Unternehmens für Printmedien, die Website sowie das WAP-Portal aufzubereiten. Ein automatisiertes Erzeugen verschiedener Darstellungen aus dem gleichen Inhalt mittels CMS wird abgelehnt. Müller hält nichts davon, quasi automatisch die ersten drei Sätze einer umfangreicheren Presseverlautbarung als WAP-Meldung zu verschicken. Er setzt auf individuelle Qualität: Hauseigene Redakteure bringen den Pressetext fürs WAP-Portal noch einmal zielgruppengenau auf den Punkt. Für seine Zwecke lohne sich daher ein Content-Management-System nicht. Nur zehn bis 15 Personen seien bei Sun mit der Aktualisierung der Website und des WAP-Portals beschäftigt. Ein CMS biete nur dann Vorzüge, "wenn sehr viele Leute Input von unterschiedlichen Standorten aus eingeben".

Zwar hat Sun bereits den VIP Content Manager von Gauss Interprise für Erstellung und Pflege der Reseller-Seiten im Extranet erworben, doch befindet sich das System nicht im produktiven Einsatz. "Die Notwendigkeit besteht so noch nicht", fasst Müller zusammen.

Ganz anders die Situation bei Microsoft Deutschland. Hier ist schon seit drei Jahren das speziell für den Branchenriesen entwickelte "Olymp" als System für die Verwaltung und Pflege der Web-Contents im Einsatz. Firmensprecher Thomas Baumgärtner skizziert, wozu die Microsoft-Leute den "Götterthron" brauchen. Die Inhalte der umfangreichen Website microsoft.de stammen zum Teil von Zulieferern, wie Presse- und Marketing-Agenturen, und zum Teil von Microsoft selbst. Olymp ist mandantenfähig, und so können alle Beteiligten komfortabel ihren Part zum Internet-Auftritt beitragen. Laut Baumgärtner bewährt sich das System vor allem wegen seiner zentral vorgehaltenen Layouts; die für die Inhalte verantwortlichen Personen müssen sich nur noch um den Text kümmern.

Mittelständische Unternehmen, für die sich die Anschaffung eines kostenintensiven Online-Redaktionssystems häufig nicht lohnt, brauchen dennoch nicht auf den Komfort einer leicht zu pflegenden Website verzichten. So hat die internationale Transtechnik GmbH - ein Anbieter von moderner Leistungselektronik und Lichttechnik - statische HTML-Seiten und dynamische Texte mit pfiffiger Technik kombiniert. Großteile des Web-Auftritts sind statisch in HTML programmiert, doch an bestimmten Stellen hat Gerhard Wich vom Digital Publishing Pool in München über Server-Scripts Textdateien eingebaut. Mitarbeiter der Transtechnik GmbH am Standort Holzkirchen können diese Texte in einem beliebigen Texteditor pflegen. Wird eine bestimmte Information aufgerufen, so setzt der Server aus statischen Teilen, dem Layout sowie den jeweils aktuellen Textdateien die vollständige Seite zusammen.

Noch ausgefuchster ist das Intranet der Transtechnik GmbH angelegt. Hier greifen Scripts auf eine SQL-Datenbank zu, die interne Informationen, so etwa ein Mitarbeiterverzeichnis, enthält. Die Datenbank lässt sich an den Standorten in den USA, in Schweden und in der Bundesrepublik von mehreren inhaltlich für Spezialaufgaben zuständigen Personen am Webbrowser pflegen. Wenige Sekunden nach erfolgter Eingabe sind die gerade aktualisierten Daten im Intranet verfügbar.

Geteiltes Echo kommt aus der Verlagslandschaft beim Stichwort Content-Management. Die Reaktionen reichen von enthusiastisch bis distanziert.

Positive Resonanz löst das Stichwort bei der Verlagsgruppe Ganske aus, der die Verlage Hoffmann & Campe, Jahreszeiten-Verlag sowie Gräfe+Unzer angehören. Die Gruppe fasst seit 1996 die Inhalte der Frauen- und Feinschmecker- sowie der Reise- und Ratgebertitel in der "Merian-Contentbase" zusammen. Ursprünglich sollte diese Datenbank vor allem den Redakteuren bei der Recherche behilflich sein, doch hat sich inzwischen der Wissensschatz zur Basis für ein ganz neues Geschäft der Verlagsgruppe gemausert. Sinn und Zweck der im Sommer 2000 gegründeten Tochtergesellschaft I-Publish ist es, aus der Contentbase eine Goldgrube zu machen.

Erste Ansätze für den breiten Verkauf der aufwändig recherchierten Inhalte sind bereits erkennbar. So speisen die Inhalte der Frauentitel - zusammengefasst in "Family-online" - bereits Zebralino.de, das Kundenmagazin von Kaufhof Galeria. Andere Teile von Content wiederum wandern aus der Stadtillustrierten Prinz und aus Merian-Heften in das Mobilportal eines Anbieters namens "jamba!" sowie in SMS-Dienste, die auf Nachfrage aktuelle Parties und Kinoprogramme preisgeben. Mit einem WAP-Handy kann man sich bei T-Mobil über die von "Feinschmecker" und "Merian" empfohlenen Gourmettempel kundig machen. Und für Auto-Navigationsgeräte liefert die Merian-Contentbase Informationen über "points of interest". Schließlich ist auch die digitale Kartenbasis von Merian für die Sekundärverwertung zu haben.

Stefanie Rother von I-Publish unterstreicht, mit der Merian-Contentbase werde nicht nur vorhandener Inhalt noch einmal verkauft. Man produziere auch einiges an Inhalt extra für die neue Kundschaft. Nicht alle begehrten Informationen seien automatisch aus der Datenbank zu generieren. So müssten Redakteure die Kurzinformationen speziell für SMS-Dienste mühsam auf 160 Zeichen zurechtstutzen.

Bis heute basiert die Merian-Contentbase auf einer relationalen Datenbank (Oracle). Die Contents sind plattformunabhängig abgelegt. Um jedoch die Informationen in dem vom Kunden gewünschten Format zu exportieren, muss die IT-Abteilung immer wieder die Daten bearbeiten. Das soll sich jetzt ändern. Geplant ist ein System, das den Export über Schnittstellen zur leichtesten Sache der Welt macht. Auch solles in Zukunft für die Online-Redaktionen kinderleicht sein, Web-Seiten herzustellen.

Aus all diesen Gründen ist die Verlagsgruppe Ganske offensichtlich dabei, groß ins Content-Management einzusteigen. Indes steht die Entscheidung für ein bestimmtes Softwareprodukt noch aus. Doch sammelt eine Arbeitsgruppe Kriterien für das künftige CMS. Niels Kölper, der für die Auswahl Zuständige, legt Wert auf einen "objektorientierten Ansatz". Ein zentrales Kriterium ist für ihn die "Medienneutralität" der Inhalte, um Exporte zu erleichtern. Es müsse möglich sein, die Daten "beliebig" zu verändern und weiterzureichen. Als zusätzliche Anforderung nennt Külper die Möglichkeit, Workflows zu organisieren. So soll es möglich werden, dass die Texte vom Journalisten, der sie schreibt, durchgereicht werden zu einer Person, welche die Inhalte überprüft, und zuletzt zu einem Verantwortlichen, der die Manuskripte freigibt. Darüber hinaus muss das gesuchte Produkt die Versions- und Benutzerverwaltung beherrschen und automatisch mit den Content-Käufern abrechnen können, was den heutigen Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren würde.

Sehr aufgeschlossen reagiert die Sprecherin des Schulbuch-Verlags Cornelsen Irina Pächnatz auf das Stichwort Content-Management: "Es ist ein unternehmerischer Grundsatz bei Cornelsen, alles, was wir machen, medienübergreifend anzulegen." Ziel des Verlags sei es, ein "Gesamtbildungsangebot" zusammenzustellen, bei dem sich Buch, Software auf CD und Online-Angebote nahtlos ergänzten.

Um dieses breite Angebot auf den Markt zu bringen, setzt Cornelsen in den Redaktionen je nach Bedarf verschiedene Tools ein. Lediglich zur Verwaltung der Inhalte, die auf elektronischem Wege verbreitet werden sollen, ist der Einsatz eines Content-Management-Systems geplant. Cornelsen bietet in seinem "Teachweb" Unterrichtsmaterialien für Lehrer und unter www.learnetix.de Online-Nachhilfe sowie Lern- und Wissensspiele für junge Leute.

Zur Verwaltung dieser Inhalte erprobt Cornelsen in einer Testphase den VIP Content Manager von Gauss Interprise, so Martina Sander, Gruppenleiterin Content-Management. Über die Art und Weise, wie das System gewinnbringend eingesetzt werden könnte, wird noch in Meetings debattiert. Nur eines ist sicher: Das neue Werkzeug ist nicht das Allheilmittel zur Harmonisierung der Inhalte beim Cross Media Publishing.

Offenbar noch ein Fremdwort ist Content-Management im Wissenschaftsverlag K.G. Saur, der sich mit Lexika und Fachbüchern international einen Namen gemacht hat. Die für CD-Produktion zuständige Mitarbeiterin Irmgard Schäfer glaubt nicht an die Vorteile derartiger Systeme bei der Herstellung digitaler Medien. Wenn sie aus einer vorhandenen Datenbank eine CD erstelle, dann müsse sie Suchbegriffe in einer gedanklichen Leistung exakt definieren. Irmgard Schäfer verweist auf das Künstlerlexikon von K.G. Saur: "Für diese Arbeit braucht man sehr klares, logisches Denken, aber auch ein Gespür dafür, wo etwas nicht stimmen kann." Eine automatische Erzeugung von CD-Daten mit einem CMS geht nach ihrem Dafürhalten am Bedarf des Hauses K.G. Saur vorbei.

Mit dieser Einschätzung steht Irmgard Schäfer nicht alleine in der Wissenschaftslandschaft. Auch andere Organisationen, die gewaltige Datenbanken pflegen, kommen offenbar gut ohne Content-Management-System aus.

Das Informationszentrum Raum und Bau IRB der Fraunhofer-Gesellschaft in Stuttgart pflegt seit Jahren Literatur- und Volltext-Datenbanken, um Architekten und Bauingenieure mit fachlichen Informationen auf dem Laufenden zu halten. Die Daten sind seit Anfang 2001 via Internet - gegen Bezahlung - recherchierbar. Doch um dies möglich zu machen, setzt das IRB noch lange kein Content-Management-System ein. Robert Mantiuk, der für die Darstellung der Datenbankinhalte im Internet zuständige wissenschaftliche Mitarbeiter, ist der Meinung, dass das IRB "im Prinzip" schon jetzt Content-Management betreibt. Mit kleinen, selbst geschriebenen Konvertierungsprogrammen erzeugt das Informationszentrum aus den Datenbankinhalten HTML-Seiten, die übers Web zugänglich sind.

DB-Umstellung auf den Standard XML"In Zukunft vorstellbar" ist jedoch für Robert Mantiuk durchaus die Umstellung der Datenbanken auf den Standard XML. Allerdings könne das IRB die individuellen Datenbanklösungen, die über Jahre entstanden sind, nicht von einem Tag auf den anderen neu programmieren. Der Aufwand, die Datenbanksysteme auf einer neuen technischen Basis zum Laufen zu bringen, sei zu hoch.

Ähnlich der Tenor im Fachinformationszentrum FIZ Chemie in Berlin. Hier pflegen rund 100 Mitarbeiter seit Jahren Bibliografien und chemische Daten mit dem Datenbanksystem Adabas der Software AG. Auch das FIZ generiert aus ein und derselben Datenbasis gedruckte Werke, CD-ROM-Produkte sowie diverse Datenbanken, die zum Teil über das Internet recherchierbar sind. Bislang war dafür kein Content-Management-System erforderlich, auch XML als Standard war nicht zwingende Voraussetzung, um das Cross Media Publishing vom Buch bis zum Internet hinzubekommen.

Nur langsam fährt der Zug in Richtung XML ab. Doch baut Axel Parlow, FIZ-Abteilungsleiter für Produktion und Technik, seit immerhin 1998 in Zusammenarbeit mit der Software AG ein Content-Management-System auf der Basis von XML auf. Allerdings sei es trotz monatelanger Anstrengungen immer noch eine "Spielwiese". Noch immer werde probiert. Das Projekt zieht sich. Dennoch spricht Parlow von durchaus "guten Chancen", den technologischen Umschwung zu meistern.

Überraschend aufgeschlossen verhält sich die öffentliche Hand gegenüber dem Content-Management. Das starke Interesse ist bei näherer Betrachtung der Anwendungen im Amtsbereich allzu verständlich. Die Portale von Bundes- und Landesregierungen, aber auch die Websites von Kommunen müssen von zahlreichen öffentlichen Institutionen auf verschiedenen Ebenen der politischen Organisation gepflegt werden. Meist verfügen die inhaltlich verantwortlichen Personen noch nicht über die Fähigkeit, HTML-Seiten zu basteln. Darüber hinaus arbeiten sie an verschiedenen Orten. Unter diesen Voraussetzungen erleichtert ein Online-Redaktionssystem die Pflege der oft komplexen inhaltlichen Beiträge und der Formulare wie zum Beispiel der Anmeldung eines Kraftfahrzeugs oder Anträgen auf Gas-, Strom- und/oder Wasseranschluss. So registrierte Peter te Reh vom Deutschen Städtetag auf der Fachveranstaltung "Kommon" im November 2000 ein besonders reges Interesse am Thema Content-Management. Beispielsweise machte die Kommunale Datenverarbeitungszentrale KDVZ Hellweg-Sauerland in Iserlohn bereits gute Erfahrungen mit dem Produkt Citysite des Anbieters Sitepark. Sie verwaltet mit dieser Software die komplexen Websites einiger Kommunen aus dem Sauerland.

*Johannes Kelch ist freier Fachjournalist in München.

Abb: Die Mehrfachnutzung von Content ist Standard in der Verlagsgruppe Ganske. Quelle: Merian-Contentbase