Management-Buy-Out angestrebt

Bearingpoint Europa will die Trennung vom Mutterhaus

23.11.2007
Europäische Bearingpoint-Manager wollen dem Negativsog aus schwachen Gesellschaftsergebnissen und Kursverfall entkommen. Sie stehen bereit, die hiesige Dependance zu übernehmen.

Seit Anfang des Jahres schwelt das Thema Teilverkauf im Beratungshaus Bearingpoint. Damals hatte CEO Harry You auf einer Analysten-Konferenz erstmals Pläne vorgestellt, den Geschäftsbereich Emea (Europa, Naher Osten, Afrika) im Rahmen eines Management-Buyouts an das europäische Management zu verkaufen. Mit diesem Schritt hofft das an der US-Börse geführte Unternehmen die Bilanz zu stärken und Finanzanalysten glücklich zu machen, weil ein Verkauf zunächst einmal Geld in die Kassen spülen würde. Zudem hätten die Kunden mehr Vertrauen zu einem Beratungshaus, das mehrheitlich im Besitz seiner Mitarbeiter sei, hieß es damals.

Peter Mockler, Europa- und Deutschland-Chef von Bearingpoint: "Eine Notierung an der Börse macht es für eine Consulting-Firma nicht unbedingt einfach."
Peter Mockler, Europa- und Deutschland-Chef von Bearingpoint: "Eine Notierung an der Börse macht es für eine Consulting-Firma nicht unbedingt einfach."
Foto: Bearingpoint

Die Pläne und die Argumente fallen im europäischen Management auf fruchtbaren Boden. "Eine Notierung an der Börse macht es für eine Consulting-Firma nicht unbedingt einfach", sagte Peter Mockler, Europa- und Deutschland-Chef von Bearingpoint, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. "Eine Kombination aus klassischer Partnerschaft und Konzernstrukturen, die man ab einer bestimmten Größe benötigt, ist aus meiner Sicht für die Branche deutlich besser geeignet." Die Entscheidung obliegt letztendlich dem Aufsichtsrat. "Das Konzept hat sehr viel Charme", warb Mockler für den Schritt. Den österreichischen und Schweizer Landesverband weiß Mockler hinter sich, denn auch deren oberster Lenker spricht sich für die Verselbständigung der europäischen Unit aus. "Das wäre eine sehr gute Option und ich wünsche mir, dass das Management-Buyout gelingt", betonte Marcel Nickler, Vice President und Leiter von Bearingpoint in Österreich und der Schweiz, der zudem das europaweite Geschäft mit Finanzdienstleistern verantwortet.

Marcel Nickler, Vice President und Leiter von Bearingpoint in Österreich und in der Schweiz: "Wir haben in den vergangenen 18 Monaten mehr Consultants eingestellt, als wir an den Markt verloren haben"
Marcel Nickler, Vice President und Leiter von Bearingpoint in Österreich und in der Schweiz: "Wir haben in den vergangenen 18 Monaten mehr Consultants eingestellt, als wir an den Markt verloren haben"
Foto: Bearingpoint

Den Druck der Börse spürt Bearingpoint nicht nur durch Aktionäre. Insbesondere der administrative Overhead durch die Börsennotierung ist ihnen – wie auch dem US-amerikanischen Management – ein Dorn im Auge. Mit den Börsenregeln nach US-Gaap kommt das Unternehmen auch nach sechs Jahren an der Nyse (New York Stock Exchange) noch nicht zurecht. Regelmäßig verfehlt es die Fristen zur Veröffentlichung der Quartals- und Jahresbilanzen. Derzeit ist Bearingpoint mit den Zahlen für das dritte Quartal 2007 in Verzug. "Unter US-Gaap das Consulting-Geschäft abzubilden, ist wahnsinnig komplex", beschreibt Nickler die Herausforderungen. "Wir beherrschen das mittlerweile zwar, einen Mehrwert für den Kunden bringt das jedoch nicht."

Mit einer Loslösung von der börsennotierten Muttergesellschaft könnte sich der europäische Teil des aufwändigen Reportings für die Börse entledigen. Voraussetzung wäre, dass sich die US-Gesellschaft nur im geringen Maße (bis zu zehn Prozent) an Bearingpoint Europa beteiligen würde. "Am gemeinsamen Markennamen sowie an der weltweiten Kundenbetreuung und globalen Kooperation würde sich nichts ändern", skizziert Mockler das Szenario.

Finanziell fühlt sich das hiesige Management gewappnet. Im europäischen Bearingpoint-Verbund ist die Region Deutschland, Österreich und Schweiz die größte Einnahmequelle. Hier fuhren rund 1300 Bearingpoint-Mitarbeiter im vergangenen Jahr etwa 240 Millionen Euro Umsatz ein. In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres konnte das Unternehmen den Auftragseingang hier um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum verbessern, und auch der Profit stieg an. "Der europäische Geschäftsbereich weist Gewinn aus und ist zusammen mit der US-amerikanischen Business-Unit Public Services die weltweit profitabelste Einheit", berichtet Mockler. Im Gegensatz dazu gibt es im weltweiten Geschäft Probleme: Das erste Vierteljahr 2007 schloss das Beratungshaus mit einem Fehlbetrag von 61,7 Millionen Dollar ab, im zweiten Quartal sich der Nettoverlust auf 64 Millionen Dollar. Die US-amerikanische Presse hielt sich angesichts der anhaltenden Probleme und des fallenden Aktienkurses mit Häme kaum zurück. "Die Bären watschen Bearingpoint ab", kommentierte beispielsweise die BusinessWeek.

Nach wie vor bleibt die hohe Fluktuation ein Kernproblem. Der Abwanderungswelle unter Beratern, die Bearingpoint weltweit beutelt, konnte sich auch die hiesige Dependance nicht entziehen. Sie ist jedoch weniger stark betroffen. Während der Konzern die weltweite Quote auf über 21 Prozent beziffert, liegt sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen 18 und 19 Prozent, so der Europa-Chef. "Ich erachte die Fluktuation nicht als Bearingpoint-spezifisches Problem. Der Branchendurchschnitt beläuft sich auf 17 Prozent", schildert Mockler. "Wir haben in den vergangenen 18 Monaten mehr Consultants eingestellt, als wir an den Markt verloren haben", pflichtet ihm Nickler bei.

Dennoch bedeutet eine Abspaltung für das europäische Management eine enorme Herausforderung. So ist das Beratungshauses beispielsweise in einigen wichtigen Ländern schwach vertreten. In Italien verfügt das Unternehmen nur über eine kleine Niederlassung, in Russland gibt es lediglich ein Büro in Moskau. Schwerer dürfte jedoch wiegen, dass Bearingpoint keine bedeutende und gewachsene Ländervertretung in Großbritannien und damit am wichtigen Finanzplatz London hat. Dort schnappte sich Atos Origin die ehemalige KPMG-Consulting-Einheit, so dass Bearingpoint eine neue Depandance aufbauen musste . Das ist ein erhebliches Manko für ein Beratungshaus, das Banken zu seinen wichtigsten Kunden zählt. Auch die Offshore- und Nearshore-Fortschritte sind dürftig. Zwar unterhält das Beratungshaus Delivery-Center in Indien, China und Rumänien, doch Wettbewerber wie Accenture, IBM und Capgemini sind in Sachen Offshoring weit enteilt. "Wir streben keine Beratungs- und Systemintegrationsprojekte an, in denen ein Großteil der Arbeiten Off- oder Nearshore betrieben werden", klärt Mockler auf. "In Implementierungs-Vorhaben können wir dagegen bei Bedarf auf unsere Global Delivery Center zugreifen."

Auch für das Mutterhaus hätte die Abspaltung weit reichende Folgen. Zwar würde das Management-Buy-out zunächst einmal Geld in die Kassen spülen, doch langfristig wäre die Aushöhlung des Unternehmens wohl kaum aufzuhalten. Vor allem dann, wenn die europäische Dependance erfolgreich arbeitete und es gelänge, die Integration der weltweiten Betreuungs- und Vertriebsstrukturen wie bislang fortzuführen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen. Weitere der bislang noch sechs Geschäftsbereiche könnten sich ebenfalls abspalten, um den Ballast der Börsenauflagen abzulegen. Letzen Endes käme es wohl zum Delisting des Beratungshauses – und das ist nach all den schlechten Erfahrungen möglicherweise aus Bearingpoint-Sicht durchaus erstrebenswert. (jha)

Bearingpoint in Kürze

Bearingpoint ist aus dem IT-Beratungsgeschäft der weltweiten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hervorgegangen. Keimzelle des Unternehmens ist die US-amerikanische Consulting-Einheit, die 2001 an die Börse ging und sich danach intensiv darum bemühte, die KPMG-Landesgesellschaften zu übernehmen. KPMG Consulting war ursprünglich als Partnerorganisation aufgestellt und die Ländervertretungen daher unabhängige Gesellschaften. In Europa gelang es Bearingpoint, die KPMG-Beratungshäuser in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Finnland zu übernehmen. Zudem verleibte sich das Unternehmen die Andersen-Consulting-Niederlassungen in Skandinavien, Spanien, Frankreich und der Schweiz ein. Weiße Flecken auf der Europa-Landkarte gibt es unter anderem in Großbritannien - dort schlüpfte KPMG Consulting bei Atos Origin unter - sowie in Russland und Italien.

Die weltweite Organisation umfasst heute insgesamt sechs Business Units. Dies sind die geografischen Einheiten in Europa, Südamerika und Asien sowie die vertikalen, nur auf den US-amerikanischen Markt ausgerichteten Business-Units Public, Finance sowie Commercial. Das Geschäft mit den US-Behörden ist der größte Umsatzträger, unter anderem getragen durch Aufträge im Zusammenhang mit dem militärischen Feldzug im Irak. Im vergangenen Jahr nahm Bearingpoint weltweit mit etwa 17.000 Mitarbeitern rund 3,4 Milliarden Dollar ein.

Mehr zum Thema: