Gastkommentar

Bayern saeubert die Netze und legt eine juristische Mine

02.02.1996

Dr. Manuel Kiper, Mitglied des Bundestags fuer Buendnis 90/Die Gruenen

Nach der hitzigen Diskussion um 200 unter dem Vorwurf der Kinderpornografie gesperrte Internet-News-Gruppen bei Compuserve gilt es jetzt, die Lehren daraus zu ziehen:

1. Das Internet braucht keine Sonderregelungen: Gesetze haben wir genug. Der Fall Compuserve zeigt, dass weder ein Computer Decency Act wie in den USA noch andere Spezialnormen noetig sind. Erst wenn sich vor Gericht Rechtsluecken herausstellen sollten, kann man ueber neue Rechtsnormen beraten. Das heisst umgekehrt auch, dass bestehende Gesetze anwendbar sind. Daran muessen sich auch die Internet-Surfer gewoehnen. Ihnen ist offensichtlich nicht klar, dass das Internet ein juristisches Minenfeld ist, in dem selbst fuer E- Mails die unterschiedlichsten Gesetze gelten. So fallen in der Bundesrepublik auch elektronisch uebermittelte Nachrichten unter das Fernmeldegeheimnis. In Ohio, wo Compuserve alle Mails betreut, gilt dieses Gesetz hingegen nicht.

Voellig unterschiedlich ist in den einzelnen Staaten auch der Umgang mit behoerdlichen Informationen geregelt. Waehrend diese in Schweden frei zugaenglich sind, ist ihre Veroeffentlichung in England streng verboten.

Bisher war das Internet zu unwichtig, um groessere Rechtshaendel auszuloesen. Das wird sich bald aendern.

2. Die Polizei verfuegt nur ueber geringe Kenntnisse, wie die von ihr vorgelegte Liste der mit zu beanstandenden Inhalten verknuepften News-Gruppen gezeigt hat: Zwar demonstrierte die gegen Compuserve vorgehende bayerische Sonderkommission mehr Know-how als manche Kollegen in anderen Bundeslaendern, sie hat aber mit der Auswahl der 200 Newsgroups die Verhaeltnismaessigkeit der Mittel krass ueberschritten und ausserdem teilweise danebengezielt. Strafbare Pornografie findet in vielen nicht aufgefuehrten Foren statt, nicht aber in allen von der Polizei indizierten. In den meisten Gruppen wird lediglich ueber diese oder verwandte Themen diskutiert - auch ueber sexistische Witze, gegen die bislang kein Gesetz existiert.

In ihrer Initiative fuer saubere Netze hat die bayerische Polizei den Gesetzesbezug verloren. Dasselbe gilt fuer den Adressaten der Polizeiaktion: Sie trifft mit Compuserve den Falschen. Das Unternehmen ermoeglicht wie die Telekom AG nur den Zugang zu News- Gruppen, ist aber nicht fuer deren Inhalte verantwortlich.

Die Vorwuerfe gegen Compuserve sind so absurd, wie es die Anschuldigung waere, die Post AG vertreibe Kinderpornografie, weil sie Postsendungen transportiert, die entsprechendes Material enthalten. Um diese Absurditaet zu demonstrieren, hat die nordrhein-westfaelische AG Medien der Buendnisgruenen als Reaktion auf die bayerische Polizeiaktion Strafanzeige gegen die Post AG erstattet. Statt News-Gruppen zu schliessen, waere es die Aufgabe der Polizei, die Urheber von Kinderpornos zu ermitteln. Falls die bayerische Polizei ausschliesslich Compuserve als Boten der Nachricht, nicht aber deren Urheber verfolgt, betreibt sie Strafvereitelung im Amt.

3. Compuserve war technisch und juristisch ueberfordert: Saemtliche Kunden von den 200 Gruppen abzuklemmen, war ein Zeichen fuer technische Schwachstellen und juristische Unkenntnis bei dem Unternehmen. Es waere besser gewesen, vor dem Abschalten der Newsgruppen gesetzeskundigen Rat einzuholen. Die Provider von Internet-Diensten sollten sich in Zukunft rechtlich besser absichern und ihre Kunden schuetzen. Techniker sind damit ueberfordert.

4. Die wichtige Frage ist nun: Wieviel ist Compuserve die Meinungsfreiheit wert? Das Verfahren um die Internet-News-Gruppen ist nicht allein Privatsache zwischen der Staatsanwaltschaft Muenchen und Compuserve. Es hat Praezedenzcharakter fuer das Internet in der Bundesrepublik, aber auch weltweit. Die Auseinandersetzung ist ein Fall fuer das Bundesverfassungsgericht, wenn Compuserve nicht vorher aufgibt. Zu hoffen bleibt, dass Compuserve die verfuegbaren juristischen Mittel auch ausschoepfen wird.

Der Fall markiert den Anfang einer langen Folge von juristischen Auseinandersetzungen. An deren Ende werden die Regierungen vielleicht begriffen haben, was sie mit ihrer globalen elektronischen Vernetzung von Gesellschaften eingelaeutet haben. Nun raecht sich, dass die G7-Laender in ihren Kommuniques nicht fuer Meinungsfreiheit und Demokratie in der Informationsgesellschaft eingetreten sind. Die rechtlichen Standards fuer Aeusserungen im Internet duerfen nicht auf das Niveau der Volksrepublik China nivelliert werden. Auch die Bundesregierung schlaeft noch tief und fest, nachdem sie ein Gutachten zu "Rechtlichen Aspekten des Information Superhighway" in der Schublade hat verschwinden lassen.

Demokratie und Recht auf Meinungsfreiheit gilt es ebenso wie andere Rechte auch in elektronischer Form zu wahren. Da hilft nur aufwachen!