Mit William Ferry aus der Verlustzone?

Banyan: Hoffnungsschimmer durch neuen CEO

21.02.1997

In den USA gilt Ferry als Turnaround-Talent. Als Vice-President bei der Digital Equipment Corp. bereitete er dem Unternehmen den Einstieg in das Systemintegrationsgeschäft. Später brachte er die Dienstleistungstochter von Wang auf Vordermann. Er baute die vorhandenen Absatzmöglichkeiten aus und integrierte hinzugekaufte Akquisitionen in die Service-Division.

Bei Banyan könnte Ferry sein Meisterstück abliefern. Verglichen mit seiner Wang-Zeit stehen ihm bei den Netzwerkern weniger Mittel zur Verfügung. Wang konnte anders als Banyan, auf Gesundschrumpfung setzen. Die Hardware-Abteilung wurde abgestoßen, um sich auf Imaging-Software zu konzentrieren. Außerdem hatte Wang mehr Kredit an der Wall Street als die derzeit krisengeschüttelte Banyan Systems Inc.

Unter der Führung des im November abgetretenen Gründers und CEO David Mahoney sackte der mit dem Netz-Betriebssystem "Banyan Vines" und dem Verzeichnisdienst "Streettalk" großgewordene Spezialist für sehr große Netzwerkinstallationen in die Verlustzone. Ob der neue CEO den Turnaround mit der derzeitigen Strategie schaffen will, ist noch unklar. Banyan hatte in der letzten Zeit einerseits kräftig in die Internet-Tastatur gehauen und andererseits auf dem Streettalk-Klavier gespielt. Die traditionellen Vines-Anwender wurden dadurch verstimmt, weil sie fürchteten, die Pflege des Netz-Betriebssystems werde nicht mehr weitergeführt.

Vor allem mit der Abkopplung des Verzeichnisdienstes von Vines erhofft sich Banyan neue Einnahmequellen. Dort entwickelt das Unternehmen ungeahnte Aktivitäten. So präsentierte es kürzlich Streettalk für Desktops (siehe Seite 12) oder kündigte die Unterstürzung des Internet-Standards Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) in Streettalk an.

Ob der Anwenderschar diese neue Ausrichtung gefällt, ist indes unklar. Zumindest kam die amerikanische CW-Schwesterpublikation "Network World" zu einem wenig erfreulichen Schluß, als sie die hoffnungsbeladene Windows-NT-Version des Verzeichnisdienstes testete. Für heutige Vines-Anwender, so die Fachleute, könne die Lösung nützlich sein, wenn sie einigen ihrer Mitarbeiter Windows-NT-Zugang einräumen wollen. Vines-unerfahrene Kunden sollten derzeit allerdings lieber die Finger von Streettalk lassen.

Seine eigene Einschätzung der Lage und die daraus resultierenden Maßnahmen will Ferry 60 bis 90 Tage nach der Amtseinführung am 24. Februar bekanntgeben. In einer ersten Stellungnahme kündigte er an, mit Kunden und Partnern zu sprechen, um bewährte Techniken zu verbessern und den Absatz neuer, auf offenen Standards basierender Verfahren wie Streettalk und das E-Mail-System "Beyond Mail" auszubauen. In jedem Fall sind die Erwartungen an den neuen Chef hochgesteckt. "Williams Ankunft markiert den Beginn einer neuen Ära bei Banyan", schwelgt etwa John Burton, Chairman in Banyans Board of Directors, in Hoffnung.