Banken und Versicherungen/Die Vertriebsbank wird von der Produktionsbank getrennt

25.08.1995

Telekommunikation via PC und Digitalisierung des Telefons fuehren bei den Finanzdienstleistern zu drastischen Veraenderungen, deren Konsequenzen noch nicht voellig vorauszusehen sind. Nicht nur die Organisation des Filialsystems, sondern die gesamte Abwicklung der Geldgeschaefte in ihrer heutigen Form ist in Frage gestellt.

Von Eberhard Rauch*

In der Vergangenheit war die Privatkundenfiliale eine kleine Bank, die fast alle Funktionen vor Ort anbot: Beratung, Serviceleistungen, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Geldbearbeitung, das Handling der Wertpapierverkaeufe und die Kreditbearbeitung.

Heute dagegen sind mittels Computertechnik hochgradig standardisierbare Taetigkeiten in der Datenerfassung, im Zahlungsverkehr und in der Informationsversorgung der Kunden voll automatisiert. Diese Entwicklung hat den Banken eine drastische Zunahme an Marktdynamik gebracht.

Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen. Wo bislang im Zahlungsverkehr eine Ueberweisung ueberwiegend beleghaft durchgefuehrt wurde, sind heute bereits Systeme im Test und spaetestens Ende 1997 im flaechendeckenden Einsatz, bei denen ein Ueberweisungstraeger in der Filiale, in der er abgegeben wird, elektronisch gescannt und als Image in ein zentrales Interpretationszentrum gesendet wird. Hier wird er automatisch gelesen und im Fehlerfall nachbearbeitet. Papiertransport findet nur noch zur Archivierung statt. Die Korrekturplaetze koennen und werden schon bald Heimarbeitsplaetze sein. Am Kontoauszugsdrucker oder zu Hause beim PC-Banking kann der Empfaenger die Daten der Ueberweisung ausgedruckt bekommen.

Im Wertpapiergeschaeft ist die elektronische Kette fuer die Standardwerte sogar noch weiter geschlossen. Mit der Einfuehrung des Systems "Boss-Cube" etwa an der Frankfurter, spaeter auch an anderen Boersen in Deutschland gibt es heute nur noch ganz wenige Stellen, an denen der Mensch eingreifen muss.

70 bis 80 Prozent weniger Besucher

So werden inzwischen telefonisch aufgegebene Wertpapier-Orders in der Bank am Bildschirm erfasst, in den Inhouse-Systemen geprueft - beispielsweise ob das Konto fuer einen Kauf gedeckt ist oder ob die Wertpapiere fuer den Verkauf im Depot sind - und in Boss-Cube automatisch transferiert. Dort laeuft der Auftrag bis auf das Terminal des zustaendigen Maklers. Nachdem der Kurs ermittelt ist, wird die Ausfuehrung oder Teilausfuehrung zur Bank zurueckgemeldet, dort im Liefersystem und im Depot des Kunden vermerkt, automatisch abgerechnet und als Kundenbeleg ausgedruckt. Fuer Standard-Orders geht dies alles ohne manuelle Eingriffe.

Fuer die Arbeit der Filialen stehen nach wie vor die vier grossen "K" Kundennaehe, Konzentration, Kompetenz und Kosten im Mittelpunkt. Dabei wird die Besuchsfrequenz jedoch, wenn man Analysten glauben darf, auf 20 bis 30 Prozent des heutigen Wertes abnehmen. Die Kundengespraeche werden sich auf hochwertige Beratung und massgeschneiderte Angebote konzentrieren.

In den naechsten Jahren wird das Service- und Abwicklungsgeschaeft ueber Selbstbedienung und Telefon-Banking zum Home-Banking wandern - ueber ISDN und das von Datex-J her bekannte Datenkommunikationsverfahren mit Telefon und Videofon. Ergaenzt wird das alles durch Multimedia-Informationen, Schulungen und Werbung auf CD-ROM. Die Akquisition und Betreuung von Kunden werden weitgehend ueber Direkt-Marketing mit angeschlossenen Service-Einheiten abgewikkelt werden. Der persoenliche Kontakt ist - wenn ueberhaupt - nur noch fuer komplexe Beratungen notwendig, fuer alles andere nutzt der Kunde die Bank in seiner Tasche in Form eines von jedem Ort aus kommunikationsfaehigen, taschenbuchgrossen PCs.

Kunden koennen damit von der Bank eine hoehere Kompetenz erwarten, denn deren beste Mitarbeiter koennten ueber die neuen Medien mehr Kunden betreuen. Das waere mit einer erheblichen Senkung der Preise fuer Standardbankgeschaefte verbunden, wogegen individuelle Loesungen wohl teurer werden.

Fuer die Banken ist dieser Prozess mit einer sinkenden Kundentreue verbunden, denn der Wechsel von Banken wird einfacher und billiger werden. Die Banken muessen weniger fuer Personal und Gebaeude ausgeben, aber mehr fuer Technik und Werbung, denn die Filiale als lokaler Kundenwerbetraeger faellt ja groesstenteils weg.

Ziemlich konkret sind heute auch die Angebote der Direktbanken und Discountbroker. Dahinter steht die Idee, dass Filialsysteme als Anlaufstation fuer die Abgabe von Zahlungsverkehrsauftraegen oder Wertpapier-Orders viel zu teuer sind. Wenn es gelingt, die aufwendige Beratung von der technischen Abwicklungs zu trennen, dann kann man als Billiganbieter eine neue Konkurrenzrunde eroeffnen.

Services im Telekommunikationsbereich wie 130- oder 180-Nummern, Telefax oder Datex-J helfen dabei, die notwendigen Anlaufstationen zu zentralisieren und so recht kostenguenstig zu gestalten. Die Einsparungen koennen teils an den Kunden weitergegeben, teils fuer Investitionen im Marketing-Bereich genutzt, teils auch zur Profitstaerkung verwandt werden. Die Investition in eine solche Einheit ist deutlich niedriger als in ein Filialsystem.

Kein Wunder also, dass kleinere Banken und auslaendische Institute ohne flaechendeckendes Filialsystem diese Methode besonders bevorzugen. Aber auch die Grossbanken muessen hier mitziehen, einerseits um ihre Kundenbasis zu verteidigen, andererseits um den aus Profitgruenden notwendigen Marktanteilsgewinn speziell in dem fuer diese Vertriebsform offenen Markt der juengeren Menschen zu erreichen.

Im Ergebnis wird kuenftig das Filialsystem kleiner werden und mehr auf Kundennaehe ausgerichtet sein. Dabei heisst Kundennaehe nicht lokale Praesenz, sondern sinnvolle Erreichbarkeit und hohe Kompetenz. Die noch vorhandenen Backoffice-Aktivitaeten werden mit Hilfe der Technik weiter konzentriert, der Service vor Ort wird bei den einfachen Taetigkeiten durch Selbstbedienung ersetzt.

Kurz: Die Vertriebsbank wird von der Produktionsbank getrennt. Das schafft strukturelle Veraenderungen. Outsourcing wird fuer kleine Banken interessant, und zwar zunaechst in den Bereichen Zahlungsverkehr, Datenverarbeitung und Wertpapierhandling. Die groesseren Anbieter werden sich technisch avancierte Kreditbearbeitungszentren einrichten, die elektronische Kreditakte - so sie noch nicht eingefuehrt ist - wird zum Standard, die Bearbeitung erfolgt in Zentren, die moeglicherweise in strukturschwachen Gegenden liegen.

Die Geldbearbeitung, die schon weitgehend nach aussen vergeben ist, wird weiter zugunsten des elektronischen Zahlungsverkehrs reduziert. Zahlen ohne Bargeld mit Kreditkarten ist heute ein selbstverstaendlicher Vorgang. Die Autorisierung erfolgt dabei durch Zentren, die weltweit mit dem Point of sales verbunden sind. Das aber reicht fuer gewisse Zahlungsvorgaenge aus zwei Gruenden nicht aus. Erstens gehen Online-Autorisierungen nicht immer schnell genug, und ein Kunde, der wartet, revidiert moeglicherweise seine Kaufentscheidung. Zweitens ist eine kartengestuetzte Zahlung heute fuer manche nicht anonym genug. Auf dem Geldschein steht ja bekanntlich in der Regel weder Name noch Adresse.

Ordnung ins Chaos der Netze bringen

Beide Forderungen - also groessere Schnelligkeit und Anonymitaet - werden zukuenftig durch die chipkartengestuetzten Zahlungsverkehrssysteme erfuellt. Zum Aufladen der elektronischen Boerse auf dem Chip mit Geld und zum Transport der beim Haendler gesammelten elektronischen Betraege zur Bank werden die Dienste der Telekommunikation immer wichtiger.

Der Zahlungsverkehr ist fuer die Banken als Teil der Kundenverbindung nach wie vor wichtig. Der Natur der Sache nach - hier werden ja Informationen transportiert - kann diese Aufgabe aber ebensogut jeder Netzwerkbetreiber uebernehmen, und die ruesten ja auch schon gewaltig auf: etwa im Internet, diesem Wilden Westen der Datenkommunikation. Wenn hier jemand die Sicherheit und die Einhaltung gewisser Regeln ueberwacht, dann wird einiges vom Electronic payment ueber solche Netze gehen. Die Analogie vom Wilden Westen stammt uebrigens von Bill Gates, dessen Microsoft-Network so etwas wie Zivilisation in dieses Chaos bringen soll.

Die Chipkarte kontrolliert den Zugang zum PC, ueber den im Home- Shopping-Verfahren in einem weltweiten elektronischen Marktplatz eingekauft und bezahlt wird. Das sind keine Visionen, sondern Berichte aus Feldversuchen. Die Chipkarte wird es auch sein, die den Zahlungsverkehrsvorgang autorisiert und verschluesselt. An der Zusammenfassung dieser Funktionen arbeiten weltweit viele bedeutende Firmen.

Das hier vorgestellte Szenario ist zwar noch an viele Wenns und Abers gebunden. Dennoch bleibt fuer die Finanzdienstleister die schwere Aufgabe, die bevorstehenden massiven Aenderungen zu bewaeltigen. Dieses Change-Management sehe ich als Schicksalsfrage fuer die Banken.

* Dr. Eberhard Rauch ist stellvertretendes Mitglied des Vorstands der Bayerischen Vereinsbank, Muenchen.