Richard Seibt bestimmt als neuer OS2-Chef die Betriebssystem-Zukunft

"Banken bauen ihr Online-Geschäft mit Java aus"

20.02.1998

CW: Worin besteht Ihre Beförderung zum General Manager der OS/2 Business Unit?

Seibt: Bislang hatte ich vor allem mit Sales und Marketing zu tun. Nun ist es so, als würde ich eine kleine Firma leiten. Ich habe die Entwicklungsverantwortung, entscheide über Funktionen, Budgeteinhaltung und muß Profit erwirtschaften.

CW: Was ist Ihre Aufgabe?

Seibt: Ich soll die IBM-Vision von Server-gesteuerten Clients verwirklichen. Dabei ist es mein Job, die Migration von OS/2 zu einem Java-Betriebssystem voranzutreiben. Das heißt nicht, das OS/2 unwichtig ist, es ist vielmehr der Weg zum Java-OS.

CW: Java ist aber doch außerhalb Ihrer Zuständigkeit.

Seibt: Richtig, die Sprache gehört zur Network Computing Division. Aber wir haben eine besonders schnelle virtuelle Maschine in OS/2 realisiert. Java ist die Zukunft von OS/2.

CW: Erreichen Sie eigentlich noch Kunden außerhalb der angestammten Klientel?

Seibt: Selbstverständlich sind die vorhandenen Kunden unser wichtigstes Kapital. Wir gewinnen aber mit Workspace on Demand* auch neue Anwender hinzu. Die Software ist insbesondere für Window-3.x-User interessant. Wir haben Käufer gefunden, die sich von unserer Technik einen sanften Migrationspfad in Richtung Java-Client versprechen.

CW: Wie steht der OS/2-Markt heute da?

Seibt: Es gibt rund 15 Millionen installierte Lizenzen. Besonders verbreitet ist das Betriebssystem in der Finanzindustrie. 1996 lag der Marktanteil dort bei 42 Prozent auf Server-Ebene und bei einem Drittel aller Clients. Im Vorjahr waren es 36 Prozent auf dem Server und 25 Prozent am Client.

CW: Das abgelaufene Jahr stand im Zeichen von Windows NT. Wie sehen Ihre Zahlen für 1997 aus?

Seibt: Wir erwarten keine Steigerung, werden unseren Anteil aber halten.

CW: Wie?

Seibt: Wir setzen weiter auf die großen Finanzinstitute. Sie befinden sich derzeit in der Roll-out-Phase für ihre Client-Server-Installationen. In Deutschland sind das zum Beispiel die Sparkassen und die Raiffeisenbanken.

CW: Ist OS/2 ein reines Bankenprodukt?

Seibt: Nein, aber dort sind wir besonders stark. Auch die Versicherungen und die Transportbranche, insbesondere Fluggesellschaften, gehören zu unseren Kunden. OS/2 ist attraktiv, solbald es auf Ausfallsicherheit ankommt.

CW: Haben Sie eine Strategie gegen den Hauptkonkurrenten Windows NT, insbesondere auf der Ebene der Workgroup-Server?

Seibt: Ich weiß nicht, ob man sich dagegen wehren soll.

CW: Sie überlassen Microsoft also freiwillig Märkte...

Seibt: Wir sind nicht im Consumer-Markt, wo vor allem die Spiele unter Windows hohe Systemanforderungen stellen.

Der mittelständische Markt dagegen ist besonders durch AS/400-, Unix- und NT-Systeme geprägt. Hier wollen wir mit- mischen - und zwar mit Middleware auf Basis von NT. Entwicklungswerkzeuge, Transaktionssoftware, Datenbanken laufen dort mindestens so gut wie auf unseren Plattformen. Großunternehmen bedienen wir mit dem Konzept, den Client vom Server aus zu managen.

CW: Könnte IBMs NT-Strategie so weit gehen, daß Sie in Ihrer Middleware auch Microsofts Komponentenmodell unterstützen?

Seibt: Es gibt dafür keine Pläne, aber wenn die Kunden das wollen...

CW: Würden Sie Microsoft darüber hinaus helfen, die Workspace-on-Demand-Technik in Windows-Betriebssysteme einzubauen?

Seibt: Tatsächlich ist diese Technik nicht auf OS/2 beschränkt. Aber wie die Sache momentan steht, würde ich Ihre Frage verneinen.

CW: Was ist das zentrale Argument für OS/2?

Seibt: Aufgrund des Geschäftsmodells sieht das Microsoft-Konzept fette Server und fette Clients vor. Das erhöht die Betriebskosten gewaltig. Laut Gartner Group kostet ein Windows-PC im Jahr etwa 12 000 Dollar, bei den dummen Terminals sind das nur 2500 Dollar. Es geht als darum, die Kosten der PCs zu reduzieren, ohne dabei die Funktionalität einzuschränken. Das ist unser Konzept im Bereich System-Management und Softwareverteilung.

CW: Fahren solche Anwenderunternehmen nicht besser mit einer reinen NC-Lösung?

Seibt: Es gibt Bedarf für verschiedene Arten von Arbeitsplätzen. Auf manchen Front-ends, Terminals oder NCs werden kaum Funktionen sein. Workspace on Demand wird eingesetzt, wenn hohe Flexibilität wichtig ist, und natürlich werden die Fat Clients nicht verschwinden. Entwickler brauchen voll ausgebaute Systeme.

CW: Windows NT holt seinen Marktanteil im Workgroup-Server-Bereich vor allem von Novells Netware-Kunden. Warum hört man hier nichts vom Server-System OS/2?

Seibt: Hier fehlt es uns vor allem an Anwendungen. Das ist aber auch nicht unser Zielmarkt. Wie gesagt, bei Großanwendern setzen wir auf die Migration zu Java-Umgebungen und schlanke Clients. Die eher mittelständischen Firmen werden mit Middleware auf NT-Basis und Lotus-Produkten versorgt.

CW: Sie haben gerade das Stichwort der fehlenden Anwendungen für OS/2 gegeben. Vor allem hat es immer an Treibern für PC-Komponenten gefehlt.

Seibt: Das ist nur im Consumer-Markt ein Problem. Wir unterstützen eben nicht tausende von Grafikkarten. Für Geschäftsanwendungen konnten wir immer mit mehr Treibern aufwarten als Microsoft für Windows NT.

CW: Dennoch, wie wollen Sie die Unterstützung der Entwickler bekommen?

Seibt: Das Java-Konzept, ein Programm nur einmal schreiben zu müssen, um es dann auf beliebigen Plattformen ablaufen lassen zu können, setzt sich zunehmend durch. Das ist der Traum jedes Entwicklers.

CW: Es ist mutig, sich so sehr auf einen möglichen Java-Erfolg zu verlassen. Noch hat das Konzept seine Bewährungsprobe vor sich.

Seibt: Wir sind wesentlich weiter, als Sie denken. Java-Projekte werden bei der Banco do Brasil realisiert und bei der Raiffeisenorganisation. Die Resonanz im Markt ist hervorragend. Das hat auch mit dem Euro- und Jahr-2000-Problem zu tun. Bei einigen Unternehmen haben die Projekte zu ihrer Lösung zu einem Technologiestop geführt, in einer ganzen Reihe von Firmen aber lösten sie einen Innovationsschub aus.

CW: Spielt die Finanzindustrie eine Vorreiterrolle?

Seibt: Ja. Insbesondere die deutschen Banken sind hier weltweit Technologieführer, vor allem beim Online-Geschäft.

CW: Bislang galt diese Branche wie auch die Versicherungen in DV-Angelegenheiten eher als konservativ.

Seibt: Das hat sich durch die europäische und weltweite Öffnung der Märkte grundlegend verändert. Jetzt ist die Akzeptanz für neue Techniken besonders groß. Die Banken bauen ihre Anwendungen auf breiter Basis für das Online-Geschäft aus. Hier ist Java die Technik der Wahl.

CW: Was ist mit der fertigenden Industrie?

Seibt: Dort werden die Prioritäten anders gesetzt. Man hat dort sehr früh viel in Client-Server-Technik investiert, so daß man nun eine Vielfalt heterogener Systeme einsetzt. Deshalb geht es eher um das Management solcher Umgebungen..

*Workspace on Demond, auch Bluebird genannt, ist eine auf OS/2 beruhende Technik, mit deren Hilfe der Client beliebig schlank gestaltet werden kann, indem die Applikationslast zwischen ihm und den Server verteilt wird. Das kann soweit gehen, daß der Client eine Festplatte nur noch für das Caching der Web-Seiten braucht.