Die Größenordnung der Übernahmen nimmt exponentiell zu:

Bald ist nicht einmal mehr Big Blue sicher

11.11.1988

Die Vier-Milliarden-Dollar-Fusion von Sperry und Burroughs vor zwei Jahren galt damals noch als dicker Fisch. Inzwischen wechseln Zigarettenmultis, Cräckerriesen und Käsekonzerne wie Reynolds/Nabisco oder Kraft für noch viel mehr Geld den Besitzer. Wenn das so weitergeht, meint CW-Autor Arnd Wolpers*, ist bald nicht mal mehr Big Blue vor einem Milliarden-Buyout sicher.

Wann übernimmt sich Wall Street? Das Übernahmekarussell dreht sich immer schneller. Ziel der Übernahmeaktivitäten sind jedoch nicht die phantasiebeladenen Technologiewerte, sondern - zumindest in jüngster Zeit - "langweilige" Nahrungs- und Genußmittel-unternehmen. Hier hat das "große Fressen" eingesetzt. Philip Morris, die schon Miller Beer und General Food geschluckt hatten, boten elf Milliarden Dollar für den Ketchup- und Käsespezialisten Kraft. Dessen Kurs zog an; Philip Morris kam unter Druck.

Das Übernahmeereignis der Saison lieferte dann das Management von RFR Nabisco. Das Unternehmen ist entstanden durch eine Fusion von Reynolds Tabaccos und Nabisco Brands. Das Management bot 75 Dollar je Aktie, ein Rekord-Management-Buyout, der sich auf 17 Milliarden Dollar summieren würde. Doch damit nicht genug: Übernahmespezialist Kohlberg Kravis Roberts (KKR) legte noch eins drauf und bot den Nabisco-Aktionären über 20 Milliarden Dollar für das Unternehmen.

Hatte man bis vor wenigen Monaten noch Leveraged-Buyout-Größenordnungen von 10 Milliarden Dollar für möglich gehalten, sind wir in kürzester Zeit bei 20 Milliarden Dollar angelangt. Wie lange läßt das 40-Milliarden-Dollar-Angebot für den Kaufhauskonzern Sears noch auf sich warten?

Die Übernahmewelle läßt die Technologiewerte links liegen. Der Grund ist denkbar einfach: Nicht Wachstum und Phantasie sind für den Unternehmensjäger attraktiv, sondern ein solider, berechenbarer Cash-flow, aus dem sich die gigantischen Fremdverbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit der Übernahme aufgetürmt werden, bedienen lassen. Starkes Wachstum ist Gift für jeden "Corporate Raider", da das Wachstum finanziert sein will; der Übernehmer braucht die Mittel aber für Zins und Tilgung.

Welche Bedeutung wird die gigantische Übernahmewelle weiterhin für die Gesamtmarktentwicklung in Wall Street haben? Vorab gilt es, sich vor Augen zu halten, daß in den vergangenen drei Jahren 350 Milliarden US-Dollar - dies entspricht 20 Prozent der Marktkapitalisierung in Wall Street - durch Übernahmen und Rückkäufe eigener Aktien seitens der Aktiengesellschaften vom Markt verschwunden sind. Diese Zahl ist bereits um Kapital-

erhöhungen und Neuinvestitionen bereinigt!

Wall-Street-Analysten sehen in der Verknappung des Angebotpotentials eine Ansammlung technischer Stärke für US-Aktien. Doch diese Annahme ist falsch. Es ist zwar richtig, daß das Aktionsangebot zurückgegangen ist; finanziert wurde der Aufkauf der Dividendenpapiere jedoch durch eine gigantische Emissionswelle bei Industrieanleihen von sich immer weiter verschlechternder Bonität. Es ist also nicht eine Reduzierung des Wertpapierangebots, sondern eine Umschichtung: weg von Aktien, hin zu Anleihen!

Wie der Markt diese Finanzierungskunststücke bewertet, zeigt sich in der Entwicklung der Industrieanleihen von Nabisco, die bei der Ankündigung des Management-Buyout-Angebots zu 75 Dollar je Aktie (bei 17 Milliarden Dollar Gesamtvolumen) gleich um bis zu 15 Prozent fielen.

Hier wird sicherlich übertrieben. Wann die zyklische Welle der Übernahme in Wall Street auslaufen wird, weiß niemand - unter Umständen erst, wenn es kein übernahmefähiges Unternehmen mehr gibt. Sollte sich das Tempo der Übernahmeaggressivität weiter beschleunigen, dürften bald erste Zerschlagungsrechnungen für IBM auftauchen.

US-Technologiewerte hinken ein wenig hinter der Marktentwik-klung her. Die Kursentwicklung der Hardware-Hersteller ist nicht nur von Überkapazitäten geprägt, sondern auch von großer Unsicherheit über die zukünftige Strategie. Minicomputerhersteller müssen sich genauso wie PC-Hersteller einem Marktwandel beugen, der sie zu einer Änderung ihres strategischen Vorgehens zwingt. Man muß netzwerkfähig werden und über den Verkauf von netzwerkfähiger Software versuchen, den Hardwareverkauf wieder anzukurbeln. In den USA scheint lediglich Hewlett-Packard diesen Schritt vollzogen zu haben. Wang steckt mitten in der Entwicklung. Andere Anbieter wie Digital Equipment haben eben erst begonnen, auf die Marktentwicklung zu reagieren.

In einer Studie zum US-DV-Markt geht C. J. Lawrence (Morgan Grenfell Inc.) davon aus, daß bei einem annähernd gehaltenen Wachstumstempo ausgesuchte Computerwerte mit einem Anteil von 10-15 Prozent ins Aktiendepot gehören. Das Unternehmen setzt dabei auf Tandy, Apple, Microsoft, IBM, Cray, Research, Amdahl, Hewlett-Packard, DEC und Tandem. Andererseits weist das Analysehaus darauf hin, daß - obwohl die US-Technologiewerte in der Nähe ihrer (unter Gewinngesichtspunkten) "all-time lows" notieren - zunächst noch eine längere Konsolidierungsphase bevorstehen könnte.

Für deutsche Anleger ist die Entscheidung, in Wall Street zu investieren, zur Zeit doppelt schwierig, da der Dollar erneut unter Druck steht. Die Chart des Dow-Jones (in D-Mark gerechnet) zeigt das beginnende Abwärtsmomentum. IBM hält sich dagegen noch einigermaßen im Seitwärtstrend.

Norsk Data verzeichnet ein neues Kurstief mit 11,70 Mark. Das Unternehmen gab kürzlich erneut einen Verlustabschluß bekannt. Auch die Halbleiterhersteller kamen wieder unter Druck. Die Book-to-bill-Ratio, das Verhältnis von Auftragseingängen zu Auslieferungen in der Halbleiterindustrie, hat sich auf den tiefsten Stand seit Januar verschlechtert. Nach einer zweijährigen Wachstumsphase sind die Aufträge in der US-Halbleiterindustrie wieder geschrumpft. Obwohl Texas Instruments bessere Gewinne meldete, kam der Kurs, nicht zuletzt wegen der optimistischen Erwartungen über den zukünftigen Ertrag, unter Druck.

Auch in der Bundesrepublik bläst den Computerwerten der Wind ins Gesicht. Nixdorf fiel auf neue Nach-crash-Tiefstkurse von unter 400 Mark. Börsengerüchte wollen von einem Rückzug der Deutschen Bank bei Nixdorf wissen. Auch auf dem aktuellen Kursniveau wird der Titel mit dem knapp zwanzigfachen Gewinn bewertet. Vor dem Hintergrund der Exportoffensive in den USA und der erfolgreichen Anwendung des Nixdorfschen Modells kundenbezogener Problemlösungen durch die Wettbewerber am deutschen Markt dürfte die Wettbewerbssituation für Nixdorf weiter schwierig bleiben. Unverändert meiden!

Der deutsche Kurszettel wird um die Aktie des Softwarehauses SAP AG bereichert. 20 Prozent des Aktienkapitals wurden plaziert. Die Zeichnungsfrist ist kürzlich abgelaufen. Insgesamt kommen 12 Millionen Mark Stammkapital unter Konsortialführung der DG-Bank an den Markt. Der Preis beträgt 750 Mark je 50-Mark-Aktie. Die Altaktionäre können die restlichen 80 Prozent der Aktien nur mit Zustimmung des Konsortialführers veräußern. Mit einen Emissions-preis von 750 Mark sind die Konditionen spitz gerechnet. 1988 sollen knapp 40 Mark je Aktie verdient werden.

Die SAP AG erwartet für das kommende Jahr 300 Millionen Mark Umsatz (nach 215 Millionen Mark). Als Ergebnis werden knapp 50 Mark angestrebt. Wermutstropfen dieser Emission: Die Altaktionäre lassen sich ihren Teil vergolden.

Vom Emissionsvolumen von 180 Millionen Mark fließen den Altaktionären netto 120 Millionen Mark zu. Für die AG verbleiben netto lediglich knapp 50 Millionen Mark.