Krankenhaus rechts der Isar installierte Doppelrechner-Anlage:

Bald Datenaustausch mit 15 Kliniken

17.08.1984

MÜNCHEN (CW) - Um über mehr Speicherkapazität zu verfügen und den DV-Einsatz auch dezentral stärker zum Tragen zu bringen, schaffte sich das Universitäts-Klinikum rechts der Isar in diesem Frühjahr eine Doppelrechneranlage an. Sie soll die computerunterstützte Aufnahme beziehungsweise Verarbeitung der medizinischen und personenbezogenen Daten in den an verschiedenen Orten verstreuten zwölf Krankenhausabteilungen ermöglichen. Aber auch die bisher praktizierte Datenfernverarbeitung bleibt hier weiterhin von Bedeutung: In das Rechenzentrum des Klinikums Großhadern werden alle Archivdaten ausgelagert.

Eine der wohl bedeutendsten DV-Anwendungsmöglichkeiten im Krankenhaus rechts der Isar ist die klinische Forschung. Hunderte von speziellen Datenkonstellationen über die Patienten der letzten 13 Jahre können hier von einer elektronischen Datenbank abgerufen werden. Wenn ein Arzt zum Beispiel wissen möchte, wieviel Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren 1982 an einer Gefäßkrankheit litten oder wie häufig nach einer Gallenblasenentfernung eine Lungenembolie auftrat, so erhält er diese Informationen innerhalb kürzester Zeit von seinem DV-Mitarbeiter.

Anhand der zu den aufgetretenen Fällen gespeicherten Angaben, wie zum Beispiel dem Geburtsdatum, kann man dann ebenfalls "im Handumdrehen" die jeweilige Krankengeschichte im Archiv finden. Dazu Professor Rudolf Turmayr, Leiter der Abteilung Klinische Datenverarbeitung im Klinikum rechts der Isar: "Früher mußten wir auf viele Detailinformationen verzichten oder oft wirklich monatelang alle Krankengeschichten bestimmter Jahrgänge durchmustern." Mit Hilfe einer speziellen Informationssoftware kann man für Forschungszwecke heute auch gleichzeitig auf die Archivdatenbank und die Befunddatei mit ihren über die Basisdaten hinausgehenden medizinischen Dokumentationen zugreifen. Als Verknüpfungskriterium bei der Suche nach sich ergänzenden Informationen ist jedes Merkmal geeignet, das in beiden Dateien gespeichert ist. Auf diese Art und Weise gelangt ein Arzt zum Beispiel an eine Diagnose und die dazugehörenden Laborwerte.

In jüngerer Zeit haben die Datenbanken besonders für die Bildung von Vergleichskollektiven bei epidemiologischen Fragestellungen an Bedeutung gewonnen. Beispiel: Mittels Bildung von Vergleichskollektiven ergab sich, daß nach Operationen im Oberbauch wie einer Gallenblasenentfernung gehäuft Magenkarzinome auftreten. Insgesamt werden unter Zuhilfenahme der Datenbanken im Klinikum rechts der Isar pro Jahr 120 wissenschaftliche Fragestellungen bearbeitet. Unabhängig von diesen speziellen Untersuchungen erhalten Ärzte und Forscher durch routinemäßige statistische Datenauswertungen wichtige Informationen über die Häufigkeit von Diagnosen, Risikofaktoren, Operationen, Histologie- und Bakteriologieergebnissen. Dabei ist noch erwähnenswert, daß die jeweiligen Informationen auch als Histogramme dargestellt werden können.

Computerunterstützte Diagnose

Neben die computerunterstützte klinische Forschung tritt im Klinikum rechts der Isar eine mit DV-Einsatz bewerkstelligte Diagnostik. Erster Fall: Für die Toxikologische Abteilung wurde ein Spezialprogramm zur Identifizierung wildwachsender Früchte entwickelt. Aufgrund von Merkmalsbeschreibungen kann man dort 150 Früchte per Dialogabfrage am Bildschirm bestimmen. Den Angaben des Klinikums zufolge geschieht das pro Jahr zirka 40mal.

Zweiter Fall: Computer überprüfen die Pankreasfunktion. Bei einem derartigen Test liegen insgesamt 90 relevante medizinische Werte zugrunde, die am Terminal eingegeben und von einem Programm ausgewertet werden müssen. Das Endprodukt der Datenverarbeitung ist eine 90prozentig sichere Diagnose in Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse. Dazu Professor Turmayr: "Es ist eigentlich klar, daß man als Mensch nicht 90 Daten gleichermaßen beurteilen kann. Oft pickt sich ein Arzt einzelne Angaben wie beispielsweise bestimmte Verdauungsenzyme für seine Diagnose heraus und gewichtet sie zu stark." Der Computer hingegen sei unbestechlich. Er berücksichtige die Werte nach einem allgemein anerkannten Schema. Im Moment allerdings finde der computergestützte Pankreasfunktionstest im Klinikum rechts der Isar nicht statt, da sich die Testanforderungen auf internationaler Ebene geändert hätten. Die Erstellung eines neuen einschlägigen Programms sei aber geplant, meint der Leiter der Abteilung Klinische Datenverarbeitung weiter.

Aufnahmedialog mit Update-Funktionen

Zu den "alltäglichen" Aufgaben der Datenverarbeitung im Klinikum rechts der Isar gehört die Basisdokumentation: Bei der stationären Aufnahme im Krankenhaus geben die Verwaltungskräfte die sogenannten Patientenstammdaten an Bildschirmen ein und lassen sie in Form von Etiketten ausdrucken. Die so erfaßten Angaben erscheinen dann unter anderem auf Krankengeschichten, Leistungsanforderungszetteln und Belegen der Verwaltung. Im Rahmen des Aufnahmedialogs wird auch die bereits erwähnte Archivdatenbank mit Hilfe der Identifikationszahl nach früheren Aufenthalten eines Patienten gefragt. Somit ist es möglich, daß dem Stationsarzt schon am ersten Behandlungstag eine Kurzanamnese vorliegt. Der Aufnahmedialog umfaßt darüber hinaus Update-Funktionen; das heißt, sämtliche Daten können zu einem späteren Zeitpunkt über Bildschirm ergänzt und in der Datei korrigiert werden. Nicht zu vergessen ist auch bei dieser Basisdokumentation die Möglichkeit statistischer Auswertungen, wie zum Beispiel die Häufigkeitsverteilung von Patienten nach Alter, Eintrittmonat, Einzugsgebiet oder Geschlecht.

Computer verschlüsselt Krankengeschichten

Zum Komplex Basisdaten gehört außer dem Aufnahmedialog natürlich die Erfassung der medizinischen Angaben. Dabei sind im Klinikum rechts der Isar mehrere Arten zu unterscheiden. Beim ersten Verfahren, der Krankengeschichtendokumentation, stellt die DV-Assistentin alle wichtigen Daten aus dem Arztbrief, der Anamnese, dem Histologie- sowie Röntgenbefund und der Fieberkurve zusammen, verschlüsselt sie und gibt sie anschließend am Terminal ein.

Im Falle der Arztbriefdokumentation wird der Abteilung Datenverarbeitung eine Kopie des frei diktierten Entlassungsarztbriefes zugeleitet, wobei man die Basisdaten unverschlüsselt eingibt. Da sich die computergestützte Verschlüsselung bewährte und sich zeigte, daß die Häufigkeit richtiger Codierungen im wesentlichen vom Pflegezustand des Thesaurus abhängt, wurde in jüngster Zeit auch mit einer derartigen Krankengeschichtendokumentation begonnen.

Bei der dritten Art der Datenerfassung handelt es sich um die computerunterstützte Arztbriefschreibung. Hierbei werden Fragebögen mit vorgegebenen Antworten nach dem multiple-choise-Verfahren ausgefüllt und im Bedarfsfall durch Klartext ergänzt.

Der Forderung nach Richtigkeit der Daten versucht man im Klinikum rechts der Isar durch formale und inhaltliche Fehlerkontrollen im Längs- und Querschnitt nachzukommen. Alle quantitativen Daten werden auf Grenzwertüberschreitungen und alle codierten Daten auf Zuverlässigkeit der Codenummern automatisch geprüft. Hinzu kommen Plausibilitätskontrollen, zum Beispiel zwischen Diagnose und Geschlecht oder zwischen Todesursache und dem Status "gestorben". Auch inhaltliche Kontrollen sind vorgesehen. Dazu vergleicht ein Dokumentationsarzt Klartexte mit ihren Codes.

Datenverarbeitung gibt es im Universitätsklinikum rechts der Isar bereits seit 13 Jahren. Zunächst war das Krankenhaus an die Rechenanlagen der Münchner Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung angeschlossen (GSF). Seit 1981 nutzt man die Rechenleistung des DV-Systems im Klinikum Großhadern. Zum gleichen Zeitpunkt schaffte sich die Datenverarbeitungsabteilung des Klinikums, sie ist dem Institut für Medizinische Statistik und Epidemiologie (IMSE) unter Leitung von Professor Heinz-Joachim Lange angegliedert, einen Knotenrechner an, der mit der Computeranlage im Klinikum Großhadern in Verbindung steht. In diesem Frühjahr schließlich kam ein eigener Großrechner ins Haus, der wegen seines deutlich besseren Antwortzeitverhaltens jetzt für den Produktionsbetrieb eingesetzt wird.

Die Weichen im Hinblick auf die Herstellerwahl waren den Angaben von Turmayr zufolge von vornherein gestellt: Da man in Großhadern mit Siemens-Maschinen arbeite habe es "einfach auf der Hand gelegen", auch im Klinikum Siemens-Geräte zu installieren. Bis auf die Speicherung der Archivdaten finden Jetzt alle Vorgänge der klinischen Datenverarbeitung vor Ort statt, wobei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sämtliche Krankenhausabteilungen gleichermaßen über die Rechnerleitungen verfügen können. Ein Ausbau steht aber unmittelbar bevor.

Die zweite kleinere und schon vorher existierende Recheneinheit nutzt man weiterhin für die Softwareentwicklung und -pflege sowie für die Standby-Funktionen. Die Umstellung des EDV-Systems bringt eigenen Angaben zufolge vor allen Dingen den großen Vorteil, daß man jetzt nicht mehr so stark auf das Rechenzentrum im Klinikum Großhadern angewiesen ist. Aufgrund der häufigen Überlastung dieser Anlage habe man oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Außerdem ziehe die eigene Aufrüstung erhebliche Kostenersparnisse nach sich. Dazu Professor Rudolf Turmayr "Das flächendeckende Konzept kann kostengünstig nur mit einem eigenen Rechner realisiert werden. Es rentiert sich auf keinen Fall, für jeden Bildschirmanschluß an das Rechenzentrum in Großhadern Leitungsgebühren zu zahlen."

Sein Kollege in der Abteilung Klinische Datenverarbeitung, Dieter Beckert, sieht die wesentliche Kostenersparnis aber an einem anderen Punkt:

"Über den neuen Rechner können wir in Zukunft nicht nur die klinische Datenverarbeitung, sondern auch das gesamte Rechnungswesen laufen lassen. Allein dadurch, daß wir künftig die Abrechnungen und die Verfolgung aller Einnahmen sowie anfallende Zahlungen beschleunigt durchführen können, tragt sich das System schon."

Da man im Grunde genommen für die bisherige Patientenverwaltung ohne DV-Betrieb viel zuwenig Leute eingestellt habe, schiebe das Krankenhaus Berge von Außenständen vor sich her. Indirekt beschere das neue System also auch personelle Einsparungen. Eine genaue Kosten-/Nutzen-Analyse liege von Seiten des Krankenhauses allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor, da sich das System ja erst im Aufbau befinde. Beckert räumte auch ein, daß es momentan organisatorische Schwierigkeiten gibt: "Das ganze Berichts- und Formularwesen muß umgestellt werden. Und langfristig gesehen ist es auch notwendig daß während der Nacht ein computergestützter Aufnahmedialog stattfindet."

Eine Kosten-/Nutzen-Rechnung kann auch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus, das zu 50 Prozent für die Finanzierung von EDV-Systemen an Universitätskliniken aufkommt, nicht vorlegen. Franz Gaffel, der Referent für Datenverarbeitung in diesem Bereich: "Die klinische Forschung läßt sich nicht anhand der Kriterien Kosten und Nutzen beurteilen." Der Kostenfaktor trete zurück, weil man davon ausgehen müsse, daß auf den Gebieten Forschung und Lehre sich ohne DV viele Projekte gar nicht realisieren ließen.

Und im Hinblick auf die Patientenverwaltung habe das Ministerium die gesetzlichen Aufträge nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz und der Bundespflegesatzverordnung zu erfüllen. Diese Gesetze sähen einen EDV-Einsatz zur Bewältigung des klinischen Rechnungswesens vor.