Hardwarepreisverfall bringt frischen Wind in die Lehrtechnologie:

Bald Billig-Intelligenz mit Jedermann-System

31.08.1979

MÜNCHEN - Der Computer als Lernmaschine - das war eine Zeitlang unter Bildungsexperten ein heißes Thema, doch die unausweichlichen Enttäuschungen nach anfänglicher Euphorie haben zumindest im schulischen und universitären Bereich die Ideen des elektronischen Lehrers ein wenig zurücktreten lassen. Dennoch übernehmen Computer immer mehr Lehr- und Trainingsaufgaben, wobei der technische Fortschritt ihr Ausbreitung künftig eher noch beschleunigen dürfte.

Auf ihrem ureigensten Feld, in der Informatiker-Ausbildung, waren Rechner natürlich schon immer unumgänglich - als eine Art Zwitterding aus Lehrer und Lehrmittel. Hier hört man jetzt immer häufiger vom erfolgreichen, die Studenten besonders motivierenden und aktivierenden Einsatz moderner Kleinstsysteme a la Commodores "PET" oder des Tandy-"TRS 80": "Billig" in der Anschaffung, machen sie zumindest die ersten Schritte in die Wunderwelt des (Basic-)Programmierens zum unterhaltsamen Spiel, bei dem, im Gegensatz zu herkömmlichen Trainingssystemen, weit weniger auf Grenzen "teurer Rechenzeit" geachtet werden muß, also theoretische Papierarbeit durch interaktives Ausprobieren ersetzt werden kann.

Daß die genannten Kleinstrechner in der Informatikausbildung Platz greifen ist zugleich auch Symptom eines allgemeinen neuen Entwicklungsganges, der generell von der modernen Billig-lntelligenz gefordert wird: Ob Stand-alone-System oder intelligentes Terminal - sie gestatten einem größeren Personenkreis denn je den Zugang zu Lehr- und Ausbildungsprogrammen aller Art und machen damit wiederum die Erstellung der Software - das eigentlich Teure am computergestützten Unterricht, wie Kenner der Materie wissen - wirtschaftlich. Das gilt selbst dann, wenn nach Lage der Dinge häufige und vielfältige Modernisierungen des angebotenen Stoffs nötig sind.

In Betrieben gang und gäbe

Schon lange kein Streitfall mehr ist computergestützter Unterricht im industriellen Bereich: Seit Jahren schulen fortschrittliche Unternehmen, Fluglinien und Banken etwa, ihre Mitarbeiter per Computer im Umgang mit Computern - und mehr. Man denke nur an "Planspiele" zur Simulation vielschichtiger Prozesse und zum Einüben kniffliger Entscheidungsprozeduren im Management-Bereich.

Dieser Hinweis zeigt auch gleich, daß Computer weit mehr können als etwa im Sinne des simplen "Programmierten Unterrichts" Fragen und Erklärungen einfach so lange zu wiederholen, bis der Schüler die Sache erfaßt hat: Computer sind viel besser eingesetzt, wenn sie komplexe Zusammenhänge und Abläufe "durchsichtig machen" oder durch Simulationsprogramme dem Lernenden beispielsweise das Gefühl vermitteln, direkt an wichtigen Schalthebeln zu sitzen.

So interessant und vielfältig potentiell die Einsatzmöglichkeiten des Computers in Unterricht und Ausbildung demnach sind - bislang hemmten vor allem Kostenaspekte sein breites Vordringen. So machte Großbritannien im Rahmen eines nationalen Versuchsprojekts die Erfahrung, daß pro Schüler, Terminal und Stunde immer noch 20 bis 60 Mark Kosten anzusetzen sind, für eine Lehrerstunde pro Student indes nur etwa drei bis zehn Markt - je nach Lehrstoff. Für gewöhnlich verschlingt die Software etwa die Hälfte des Budgets eines Lehrprogramms, von den Hardwarekosten entfallen etwa 25 Prozent auf die Leitungen zwischen Rechner und Terminals. Trotz fallender Hardwarekosten sanken die Benutzerkosten seit 1970 per Saldo kaum, denn die Präparation der Software erfordert qualifiziertes Personal - und das wurde zusehends teurer.

Der Schlüssel zur weiteren Verbreitung, der "Pauker-Computer" liegt demnach in der breiteren Verteilung der (initialen) Softwarekosten. Dafür bieten die modernen Mikroprozessoren sowie die fortschrittlichen Netzwerktechniken gute Ansatzpunkte: Ersteren verdanken wir beispielsweise die intelligenten Terminals, die nicht mehr dauernd mit dem Zentralcomputer verbunden sein müssen, sondern nur fallweise von ihm die aktuelle Portion Lehr-Software übernehmen, dann aber als autonomes Trainingsgerät fungieren können. Das spart Leitungsaufwand, dennoch kann der Student jederzeit auf die größere Kapazität der Zentralanlage zurückgreifen.

In Großbritannien starteten bereits erste Versuche, intelligente Terminals via Telefon mit Lehr-Software zu versorgen, die in einem der Post gehörenden Computersystem vorgehalten wird (und die zentral jederzeit leicht aktualisiert werden kann). Ähnliche Post-Computer sind hierzulande als "Bildschirmtext" im Gespräch, vorerst allerdings nur in zweiter Linie mit der Absicht, sie als "Lehrer" fungieren zu lassen.

Zur weiteren Verbilligung von Computer-Unterrichtsprogrammen könnte ihre möglichst weite Verbreitung beitragen - also wiederum eine Aufgabe für ein "Jedermann-System" von der Art des Bildschirmtexts der Post. Englands "Open University" will schon heuer Versuche unternehmen, eigene Lehr-Programme in einer bildschirmtextähnlichen Weise zu verbreiten, um so eines Tages breitesten Bevölkerungskreisen ein vielfältiges Angebot an Bildungsinhalten ins Haus liefern zu können - und dabei sogar abfragen, wieweit die einzelnen Studenten jeweils fortgeschritten sind.

Ein landesweites, fast allen zu vernünftigen Kosten zugängliches Lehr- und Informationssystem zu installieren ist heute gewiß noch schiere Zukunftsmusik - doch eines ist klar : Der Trend beim computergestützten Lernen weist nach oben, und man tut gut daran, dieses Gebiet die nächsten Jahre sorgfältig im Auge zu behalten. Vielleicht steht uns hier ja gar eine kleine "Kulturrevolution" ins Haus.

* Egon Schmidt ist freier Wissenschaftsjournalist in München