Hearing der Enquête-Kommission "Neue lnformations- und Kommunikationstechniken":

Balanceakt mit sozialpolitischem Dynamit

08.04.1982

BONN - Die Enquête-Kommission des Bundestages, die die neuen Medien zu untersuchen hat (genauer Titel der Kommission: "Neue Informations- und Kommunikationstechniken"). hielt am 26. März im Bundestag eine Anhörung ab, bei der es um die Nutzungsmöglichkeiten und Auswirkungen der neuen Techniken ging. Voluminöse Stellungnahmen von Verbänden, Instituten, Wissenschaftlern und Kirchen lagen den Hearingteilnehmern vor - die Papiermenge war so gewaltig, daß ein Zuhörer keine Chance hatte, sich auf die Anhörung einzustimmen. Schon wegen des umfangreichen Materials löste sich die Enquête-Kommission von den Fragestellungen, zu denen schriftliche Antworten vorlagen. Statt dessen befragten einzelne Kommissionsmitglieder zu bestimmten Themen die geladenen Gäste. Dabei wurden verschiedene Dinge deutlich oder erneut bekräftigt, die für DV-Anwender von Interesse sind:

Man redet über die neuen Techniken immer en bloc. Breitbandkanäle, Bildschirmtext, Rückkanal, Satellitenprogramme und -übertragungseinrichtungen, Dienste der Bundespost, Electronic Mail etc. stehen jeweils für sich gesehen zur Debatte. Daß es umfangreiche Anwendungsmöglichkeiten gibt - Dinge, die heute auch schon als konkreter Bedarf gefordert werden, wie auch Anwendungen, von denen man noch nicht so recht weiß, ob, in welchem Umfang und wann sie sich am Markt durchsetzen werden -, ist unbestritten. In dem Moment allerdings, wo es um die Auswirkungen geht, ist die Diskussion aber um jene Aspekte überdeckt, die medien-, bildungs-und familienpolitisch determiniert sind. Das will nicht heißen, daß man nicht an gewaltige Verschiebungen und Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt, an denkbare Machtverschiebungen und dergleichen dächte - aber all diese Fragen schienen während des Hearings vor der Überlegung zurückzutreten, ob ein kommerzielles Fernsehen mit einem Multi-Programmangebot dem Bürger zugemutet (so die Ablehner) oder vorenthalten (so die Befürworter) werden kann.

Verhärtete Fronten

Überhaupt nicht zur Sprache kam der Aspekt, daß man ja durchaus das eine tun und das andere - mindestens vorläufig - lassen könnte: Keiner der Wissenschaftler wies darauf hin, daß Verkabelung und Normierung von Geräten für die Bedürfnisse der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung für ihre internen Zwekke, also nicht im Hinblick auf Bedürfnisse des Bürgers, nicht aufgehalten werden dürften, wenn nicht internationale Wettbewerbsnachteile für die Bundesrepublik zu befürchten seien.

Die Fronten sind teilweise recht verhärtet. Es wurde mit Hypothesen operiert, die die Gegenseite dann lächerlich zu machen versucht, es wurden sogar der Enquête-Kommission bestimmte Ergebnisse unterstellt, obwohl sich die Kommission überhaupt noch nicht geäußert hat. Der Vorsitzende, der CDU-Abgeordnete Schwarz-Schilling, verwahrte sich auch prompt gegen derartige Behauptungen.

Deutlich wurde, daß es starke Befürworter des kommerziellen Fernsehens in den CDU-Reihen gibt. Der Vertreter von Radio Luxemburg schien dort seine stärksten Verbündeten zu haben. Auch die deutschen Verleger stehen einstimmig zum Beschluß ihrer Verbandsdelegierten, zusammen mit RTL ein Satellitenfernsehen für die Bundesrepublik aus der Taufe zu heben, das "regionale Fenster" aufweisen, redaktionell also auf Regionalfragen eingehen soll. Luxemburg hat den Entscheidungsträgern eine Frist von zwei Monaten gesetzt, danach - so der RTL-Vertreter Dr. Thoma im Hearing - werde man auch ohne die bisherigen Aktionäre die Sache auf die Schiene schieben. Mit anderen Worten: Die Aktivitäten von RTL - in Verbindung mit den deutschen Verlegern - können zwar die Entwicklung vorantreiben, gleichzeitig aber eine Verschärfung der Auseinandersetzung und eine Klimaverschlechterung herbeiführen. Ob diese Entwicklung, die wiederum medienpolitisch überlagert sein dürfte, den Problemen der DV förderlich sein wird, ist zu bezweifeln.

Von den neuen Medien wird allgemein eine stärkere Bürokommunikation und eine Rationalisierung in den Verwaltungen erwartet. Dr. Hensche, der Vertreter der IG Druck und Papier, verwies auf die Entwicklung beim Druckgewerbe, wo der Lichtsatz den traditionellen Facharbeiterberuf des Setzers völlig verdrängt hat. Ähnliche Dinge, nur in erheblich größerem Ausmaß, befürchtet man insgesamt bei der Verwaltungstätigkeit. Auch hier stellte sich für den Zuhörer die Frage, warum keiner der Geladenen dieses Thema positiv anpackte. Mit Warnungen allein kann es doch nicht getan sein. Wenn nämlich bestimmte Techniken rationeller sind als die bisherigen, dann werden diese neuen Techniken sich über kurz oder lang durchsetzen. Dies ist eine urmenschliche Erfahrung. Also kann es doch nicht darauf ankommen, die Techniken zu verhindern sondern bereits dann Strategien zu entwickeln, bevor die ersten Strippen gelegt sind. Die Enquête-Kommission versteht ihren Auftrag auch so, der Input seitens der Befragten schien aber anqesichts des sozialpolitischen Dynamits, das in diesem Thema steckt, ein wenig dünn zu sein.

Aus Sicht der DV kann es unter diesen Gesichtspunkten zur Zeit nur ein Motto geben: Gelassenheit und V(...)sicht. Zu schnell kann die Diskussion um die Gefährdung der Büroarbeitsplätze auf dem Rücken des DV-Leiters im Unternehmen ausgetragen werden; für Betriebsräte ist der Bildschirmarbeitsplatz ohnehin ein heißes Thema. Zum Jahresende will die Enquête-Kommission ihren Bericht vorlegen. Warten wir?s ab.

* Hans Gliss, SCS Unternehmensberetung, Essen, und Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung, GDD, Bonn.