Neue Lösung auf der Basis von Tandem-Rechnern und Siemens-PCs:

Bahn will offenen Rechner-Verbund schaffen

11.11.1988

FRANKFURT (sch) - Mit der Einführung des Verkaufssystems für den Personenverkehr, genannt Kurs '90, und des integrierten Text- und Datennetzes IN will die Bundesbahn die Weichen für eine neue Ära der Informationsverarbeitung in dem Bundesunternehmen stellen. Zukunftsweisende elektronische Maßstäbe werden aber auch im Bereich Güterverkehr gesetzt.

Kurs '90 - die Bezeichnung steht für "Kundenfreundliches Reise-, Informations- und Verkaufssystem der 90er Jahre" - soll den Fahrgästen so manch lästige Lauferei zum und in einem Bahnhof ersparen. Bis dato brachten es die traditionellen technischen und organisatorischen Voraussetzungen mit sich, daß den Bahnkunden Auskünfte, Reservierung sowie Fahrausweise für das In- und Ausland jeweils an ganz verschiedenen Schaltern angeboten wurden. Das neue System auf der Basis von Siemens-PCs nun faßt folgende Bereiche zusammen:

- Fahrausweisverkauf (Mofa),

- manueller Verkauf (Schalter),

- Platzreservierung (EPA 80),

- Fahrplanauskunft (EFA) und

- Reiseverkaufsbüro (Start)

Vereinheitlichung des Schalterbetriebs

Integriert sind in diesem Angebot auch die Dienstleistungen Reisegepäckversicherung, Hotelreservierung und Mietwagenbestellung. Die neuen Universalschalter sind online mit dem heutigen Platzreservierungssystem der DB in Frankfurt verbunden. Zentrale Aufgaben übernehmen hier fehlertolerante Tandem-Systeme, wobei kürzlich die Modelle TXL durch die Version VLX ersetzt wurden. Als intelligentes Terminal kommen in Fahrkartenausgaben und Reisezentren der Mikro PCD-2 mit 1,5 MB Hauptspeicher und einer Festplatte mit 40 MB sowie zusätzlich Nokia-Bildschirme zum Zuge. An der SW-Entwicklung für Kurs '90 waren und sind unter anderem das Bonner Softwarehaus Gikom und Hacon aus Hannover beteiligt.

Letzteres Unternehmen hat sich insbesondere der Fahrplanauskunft "angenommen", für die bislang noch jegliche Computer-Unterstützung fehlte. Das gesamte Kursbuch kann nun durch die Entwicklung eines speziellen Algorithmus innerhalb von sechs Sekunden auf den Bildschirm geholt werden.

Bis 1989 will die Bundesbahn Kurs' 90 weitgehend implementiert haben; die Gesamtinvestitionen dafür liegen bei zirka 80 Millionen Mark. Von der finanziellen Malaise, in der sich das Unternehmen befindet, sollen dieses wie auch die anderen DV-Projekte im übrigen unberührt bleiben.

Übergangsphase mit Start-/Buchungs-System

Mit Kurs '90 kann man sich zunächst aber nicht ganz auf eigene Füße stellen; vielmehr arbeitet das Verkaufssystem noch so lange im Netzverbund mit dem nationalen Buchungssystem Start, bis die Eigenentwicklungen komplett abgeschlossen sind. Dazu Fritz Timm, Kurs-Projektleiter in der Zentrale der DB-Hauptverwaltung: "Durch den Vorlauf mit Start sparen wir in etwa ein Jahr." Inzwischen seien zur Ablösung der alten Datenstationen vom Typ TA 1069 bereits rund 600 intelligente Siemens-Terminals installiert worden. Bis zum nächsten Frühjahr plane die Bahn eine Aufstockung auf insgesamt 1000 Workstations.

Neben Kurs '90 rückt die Bahn zusammen mit der Deutschen Bundespost das Medium Bildschirmtext für den Kundenservice verstärkt in den Vordergrund. So sollen an 50 Intercity-Bahnhöfen öffentliche Btx-Geräte installiert werden. Ein Anschluß an das künftige Flugbuchungssystem Amadeus steht nach Angaben von Hemjö Klein, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, jedoch nicht bevor. Im Rahmen der ersten Realisierungsstufe von Kurs '90 läuft die Datenübertragung weiterhin unter Transdata. Der Übergang auf das derzeit im Aufbau befindliche "Integrierte Text- und Datennetz (IN)" steht im Frühjahr 1989 bevor. Das Netz ist kompatibel zu dem neuen Paketvermittlungsnetz der Bundespost. Die Investitionen für den als offen, herstellerneutral und anwendungsneutral bezeichneten Kommunikationsverbund liegen in einer Größenordnung von 70 Millionen Mark.

Im Bereich Güterverkehr stützt sich die Bahn auf das neue Produkt "InterCargo", mit dem der gesamte Güterwagenverkehr lückenlos überwacht und disponiert werden kann, auf Hermes zur Bereitstellung von Bahn-Informationen über Ländergrenzen hinweg und auf das internationale Projekt "Docimil". Letzteres Vorhaben bezweckt, den heutigen Frachtbrief durch ein elektronisches Dokument zu ersetzen. Als mögliche Protokolle sind unter anderem X.400 und Edifact im Gespräch.

Bürokommunikation und Postdienste in den ICEs

Die Informationsverarbeitung macht - wie die kürzlich in Frankfurt vom Verkehrsforum e.V. und der Deutschen Bundesbahn veranstaltete Fachausstellung zeigte - auch vor den Zügen selbst nicht halt. In den neuen ICEs kann der Fahrgast demnächst Bürokommunikation betreiben - und dies nicht nur mit Portables. Die Hard- und Software für die Waggons wird von Unisys stammen. Im Rahmen von Office Designer und auf der Basis des Systems 28 sollen dann, so die Zukunftsmusik, beispielsweise die Module Textverarbeitung, Kalkulation, Terminplanung und Grafik sowie ein internationales Wörterbuch, aber auch Dienste wie die Fahrplanauskunft, Telex und Telefax zur Verfügung stehen.