ERP-Anbieter erweitern ihr Angebot für Vertrieb und Marketing

Baan und SAP mischen den SFA-Markt auf

19.06.1998

Baan und SAP entwickeln die Front-Office-Anwendungen unabhängig von ihrer ERP-Software und wollen sie als eigenständige Produkte vermarkten. "Wir werden unsere Produktpalette ganz erheblich ausweiten und mit den angestammten Spezialanbietern in Wettbewerb treten", lautete die Kampfansage von Hasso Plattner, Vorstandsvorsitzender der SAP. Bevor man diesen lukrativen Markt amerikanischen Anbietern wie Vantive, Siebel oder auch europäischen Herstellern wie Update Marketing überläßt, mit denen die SAP in einigen Fällen kooperiert, haben die Walldorfer die Entwicklung einer eigenen Lösung angekündigt. Baan ist einen Schritt weiter und hat vor kurzem bereits seine Front-Office-Suite vorgestellt.

Von heute rund einer Milliarde Dollar sollen im Jahr 2000 über zwei Milliarden Dollar im SFA-Markt umgesetzt werden, bestätigen die Analysten der Gartner Group. Klar, daß Giganten wie Baan und SAP eine Scheibe vom Kuchen abhaben wollen. Die Auguren hatten den Wandel der ERP-Anbieter schon seit längerem prophezeit. Stagnierende Datum-2000-Ablöseprojekte führten zu rückläufigen Umsätzen, und auch die Nachfrage nach Euro-fähigen Produkten dürfte den ERP-Lieferanten im Laufe dieses Jahres keinen Gewinnschub mehr bringen.

Neue Geschäftsfelder müßten deshalb aufgetan werden, damit man den Umsatz- und Gewinnerwartungen entsprechen könne. Zudem seien Kunden verstärkt an Werkzeugen interessiert, die ihre strategischen Unternehmensziele unterstützen. Dazu gehören ein hoher Share-holder Value, Steigerung des Umsatzes, Verbesserung der Beziehung zu Kunden, Verkürzung von Lieferzeiten und höhere Liefertermintreue. Mit ERP-Paketen allein läßt sich das nicht erreichen. Produkte zur Optimierung der Lieferkette (Supply Chain Management = SCM) bieten hier Hilfe, darüber hinaus stehen aber gerade auch Lösungen für Vertrieb, Marketing und Kundenservice bei Anwendern hoch im Kurs.

Die Strategen von Baan und SAP haben diesen Trend erkannt. Die Niederländer stellten vor kurzem ihre Front-Office-Produktfamilie, bestehend aus den Komponenten "Baan Sales", "Baan Call Center" und "Baan Configuration", vor. Konkurrent SAP zeigte Anfang März unter der Bezeichnung "SAP SFA" seine Vorstellung für die Vertriebs- und Marketingsteuerung. Beide Anbieter, die durch Buchhaltungsoftware, Produktions- oder Lageranwendungen groß geworden sind, haben sich nicht ohne Schützenhilfe in dieses von vielen kleineren Anbietern besetzte Feld gewagt.

Der Unternehmensberater Wolfgang Schwetz, Herausgeber des jährlich erscheinenden CAS-Führers, schätzt, daß für den Bereich SFA allein in Deutschland mehr als 124 Anbieter ihre Produkte feilbieten, wovon 23 Prozent ausländische Unternehmen sind. Baan kaufte sich innerhalb der letzten zwei Jahre Know-how bei Aurum, Matrix, Beologic und Antalys zusammen.

Die Walldorfer hingegen, so schien es, hatten den SFA-Zug beinahe schon verpaßt, verleibten sich dann Ende letzten Jahres 50 Prozent der Mannheimer Kiefer & Veittinger GmbH (K & V) ein. Der Anteil wurde im Frühjahr auf 80 Prozent erhöht. Man wolle die Entwicklung der Lösung beschleunigen, lautete die Begründung aus Walldorf.

Nicht kleckern, sondern klotzen haben sich die Strategen von Baan und SAP auf die Fahnen geschrieben: "In den nächsten zwei bis drei Jahren wollen wir mit unserer Front-Office-Familie soviel Umsatz machen, wie mit der ERP-Software", tönt Pierre Ponette, President der Baan Front Office Systems, Paris. 300 bis 400 Millionen Dollar seien möglich. Durch die Übernahme von Aurum verfüge Baan weltweit über 500 Berater in diesem Segment. Hierzulande sind es bislang 25, die bis Ende des Jahres auf 50 aufgestockt werden sollen. Zielgruppe sind Unternehmen mit mehr als 200 Arbeitsplätzen.

SAP verfolgt ähnlich hehre Ziele: 30 bis 40 Prozent der R/3-Klientel seien mögliche SFA-Kunden. Konkretere Planzahlen werden derzeit nicht veröffentlicht.

Losgelöst vom ERP-Kern

Die Konzepte der beiden Rivalen Baan und SAP ähneln sich auf den ersten Blick sehr stark. Die SFA-Lösungen sind Bestandteil einer Komponenten- oder Framework-Architektur. Damit wollen die Marketiers deutlich machen, daß ERP-Systeme zwar weiterhin angeboten werden, aber künftig nur noch eine Komponente aus dem Gesamtportfolio darstellen. SAP hatte im Sommer 1996 die "R/3 Business Framework Architektur" präsentiert. Der ERP-Baustein wird unter anderem durch Data-Warehouse-, SCM- und SFA-Lösungen ergänzt. Die Integration der einzelnen Produkte mit dem ERP-Kern erfolgt über ALE (Application Link Enabling) und Business Application Programming Interfaces (BAPIs).

Baan setzte zur CeBIT ´98 dem Walldorfer Framework-Ansatz das Pendant "Baan Series" entgegen. Das bisherige "Baan IV" wurde kurzerhand in "Baan ERP" umbenannt und ç la SAP-Manier als ein Baustein des Gesamtangebotes ausgewiesen. Zu den ergänzenden Paketen der Niederländer gehören ebenfalls Data-Warehouses, Finanzanalyse- und SCM-Tools sowie die Front-Office-Familie. Auch Baan verbindet ERP-Kern und Satellitensysteme über Schnittstellen, die als Business Object Interfaces (BOIs) bezeichnet werden.

Wie die Framework-Architekturen, ist auch die technische Basis beider Lösungen vergleichbar. Für die Entwicklung ihrer Pakete vertrauen SAP und Baan ganz auf Microsofts "Distributed Internet Applications Architecture" (DNA) mit COM, DCOM sowie Active-X-Controls.

Dadurch soll die Integration von Desktop-Anwendungen wie "Excel" und "Word" vereinfacht werden. Ob und wann die zu COM und DCOM konkurrierende Common Object Request Broker Architecture (Corba), der Standard für verteiltes Computing der Object Mangement Group (OMG), und Java unterstützt wird, ist noch nicht gewiß: "Microsoft-Produkte sind am Front-end die Plattform Nummer eins, und die unterstützen wir", konstatiert Thomas Holz, Vice-President Baan Front Office Systems in Zentraleuropa. Das Argument der SAP stimmt damit überein, wobei die "Sales Configuration Engine" (SCE) als Java-Komponente ausgelegt werden soll.

Beide Unternehmen haben sich bei der Entwicklung der Anwendungslogik und Präsentation für "Visual Basic" entschieden. Die Server-Komponenten sind größtenteils in C++ realisiert. Anpassen lassen sich die Baan-Anwendungen mit Hilfe der "Active Workbench", die laut Holz eine eigene Entwicklungssprache bietet. SAP und K&V liefern ebenfalls eine eigene Workbench, die auf Visual Basic fußt. Beide Anwendungen laufen im "Internet Explorer 4.0", dem Browser von Microsoft. Das Server-Betriebssystem ist jeweils Windows NT, am Client wird Windows 95 und 98 unterstützt.

Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings in der Funktionalität der Pakete. Während Baan mit der Front-Office-Familie neben dem Vertriebs- und Marketing-Paket auch eine Call-Center-Lösung anbietet, beschränkt sich SAP mit SFA auf den Vertriebs- und Marketingbereich: Service-Funktionen seien Bestandteil des ERP und in den branchenspezifischen Ausführungen realisiert, erklärt Henning Fromme, zuständig für Marketing bei Kiefer & Veittinger. Mit R/3 4.0 ist beispielsweise eine Service-Komponente "IS-U/CCS" (Industry Specific - Utilities/Customer Care and Services) für die Versorgungsindustrie verfügbar.

Dumping-Preise sollen Türen öffnen

Differenzen gibt es auch in puncto Liefertermine: Baan Sales und der Configurator sollen hierzulande dieser Tage verfügbar sein. Die Call-Center-Komponente wird laut Holz Ende des Jahres folgen. SAP-Kunden müssen sich noch gedulden: Ende dieses Jahres wird zunächst an ausgesuchte Unternehmen geliefert, im Sommer 1999 soll das Paket dann allgemein verfügbar sein, sagt K&V-Mann Fromme.

Um nicht nur der angestammten Klientel die SFA-Pakete zu verkaufen, wollen beide Hersteller mit Dumping-Preisen in den Markt einsteigen. Baan-Manager Holz spricht von einer "Preisrevolution" im Vergleich zu den Angeboten von Siebel und Vantive. Für die erste Lizenz sollen Anwender pro Modul (Sales, Configurator, Call-Center) nicht mehr als 2500 bis 3000 Dollar hinblättern müssen. Wobei er mit diesen Preisen in etwa auf dem Niveau der genannten Kontrahenten liegt. Für die angekündigte Revolution muß Baan demzufolge noch mal den Rotstift ansetzen. Holz verspricht jedoch deutliche Rabatte bei größeren Stückzahlen.

Die SAP hält sich angesichts des langen Vorlaufs ihrer Ankündigungen bei den Preisen dezent zurück: Es gilt bisher nur Plattners Ansage auf der CeBIT, daß ein SAP-SFA-Arbeitsplatz nicht mehr kosten darf als die Lizenzgebühr für einen R/3-ERP-User.

Keine Panik bei den Spezialisten

Die amerikanischen SFA-Spezialisten wie Siebel, Vantive und auch europäische Player wie Update Marketing, Point, TPS Labs und Sidata werden angesichts der Vorstellungen von SAP und Baan noch nicht blaß. Ihr Argument: Kunden, die heute eine brauchbare Lösung benötigten, könnten nicht warten, bis SAP Mitte 1999 endlich ein Produkt ausliefert. Vieles von dem, was auf den Folien und Web-Sites der Großen gezeigt würde, seien gute Whitepaper, aber mehr auch nicht. Die Anforderungen von Vertrieb oder Kundendienst ließen sich damit noch nicht steuern, verlautet es einvernehmlich. Zudem habe man durch jahrelange Projektarbeit einen Know-how-Vorsprung, auch wenn es um Fragen der Integration von SFA- und ERP-Lösungen ginge. Schließlich müsse man seit Jahren die eigenen Vertriebs- und Marketingpakete mit Legacy-Anwendungen verbinden.

Trotz Offensive nach außen, zeugen die Übernahmen und Zusammenschlüsse der letzten Monate von der Erkenntnis, sich rechtzeitig eine solide Ausgangsposition schaffen zu wollen, bevor die ERP-Anbieter ihre Lösungen auf den Markt bringen. So hat beispielsweise Siebel Systems Anfang März den Spezialisten für Service-Software Scopus Technology übernommen. Der Deal stärkt nicht nur die Marktposition, sondern bietet dem Gespann Siebel/Scopus zusätzlich Schutz vor einer etwaigen feindlichen Übernahme durch einen finanzstarken ERP-Anbieter. Gleichzeitig wird durch den Merger Mitbewerbern wie Vantive und Clarify der Fehdehandschuh hingeworfen, bemerkt die Gartner Group. Vantive, nicht untätig, ging in Sachen Vertriebskonfigurator eine Ehe mit Trilogy ein und zeigt sich ansonsten gerne im Dunstkreis der ERP-Schmiede Peoplesoft. Gerüchten zufolge könnte aus dieser Kooperation mittelfristig auch eine Ehe entstehen.

So stark das SFA-Segment umsatzmäßig auch zulegt, laut Gartner werden viele Anbieter aus dem stark fragmentierten Markt verschwinden. Glaubt man den Voraussagen der Anaylsten, treten 45 Prozent der heutigen SFA-Anbieter im Jahr 2001 gar nicht mehr oder nicht mehr unabhängig auf.

(Eine Übersichtstabelle einiger SFA-Anbieter erscheint in der nächsten Ausgabe.)

SFA-Messe

Am 24. und 25. Juni 1998 findet in den Rhein-Main-Hallen in Wiesbaden zum ersten Mal die "Sales Tech" statt. Auf der Branchenmesse zeigt eine Reihe namhafter europäischer und amerikanischer Anbieter ihre Produkte für den Bereich Vertrieb, Marketing und Kundenservice. Die Kongreßagenda beinhaltet Vorträge von Anbietern, Beratern und Anwendern. Weitere Informationen unter: 0611-7878-241 oder E-Mail: salesprofibertelsmann.de

Abb.1: Magischer Quadrant

Auszug aus der aktuellen Gartner-Untersuchung. Die Auguren sehen gute Chancen für die SAP, sich im SFA-Umfeld zu etablieren. Dabei kann der ERP-Gigant bislang noch kein Produkt zeigen. Quelle: Gartner Group

Abb.2: SAP SFA

Die Walldorfer beschränken sich beim neuentwickelten SFA-Modul auf Vertrieb und Marketing. Servicefunktionen sind Bestandteil des ERP-Systems. Quelle SAP

Abb.3: Baan Front Office

Die Komponenten von Baan decken neben Vertrieb und Marketing auch Servicefunktionen ab. Die Module sind unabhängig voneinander einsetzbar. Quelle: Baan