E-Procurement & B-to-B/Wie sich die Spreu vom Weizen scheidet

B-to-B-Marktplätze: Hurra - sie leben noch

23.03.2001
Vor rund einem Jahr durchleuchtete die Computerwoche die B-to-B-Szene, die gerade den Aufbruch ins goldene Zeitalter der digitalen Geschäfte vorantrieb. Was ist inzwischenaus den Geschäftsideen und Startversuchen geworden? Von Johannes Kelch*

Die Spreu trennt sich vom Weizen. Während die einen Firmen gigantische Transaktionsvolumina und rapide wachsende Umsätze melden, versuchen die anderen mit revidierten Geschäftsmodellen, doch noch aus der Sphäre der Visionen und Ideen auf den Boden der Marktwirtschaft zu kommen, oder sie geben die B-to-B-Sparte ganz auf. Zu den Firmen, die im lukrativen Geschäft mit Großunternehmen Fuß fassen konnten, zählt die Frankfurter Portum AG. Das 1999 gegründete Unternehmen hat nach Auskunft von CEO Gerald Heydenreich bei mehr als 500 Auktionen im Geschäftsjahr 2000 ein Handelsvolumen von 1,1 Milliarden Mark und einen Umsatz von drei Millionen Mark erreicht. Indes reicht diese Summe noch nicht für schwarze Zahlen.

Internationalisierung vorangetriebenPortum arbeitet noch immer mit Kapital der Investoren 3i, Accenture und Econa AG - in der zweiten Finanzierungsrunde im Dezember 2000 wurden rund 20 Millionen Mark nachgeschossen. Sogar bei einer Steigerung des Handelsvolumens auf 5,5 Milliarden Mark und einem Umsatz von 20 Millionen Mark erzielt Portum noch keinen Gewinn. Dies sind die hochgesteckten Ziele für 2001, doch die "Gewinnzone" dürfte das Unternehmen nach eigenen Planungen erst im ersten Quartal 2002 erreichen, was dann wohl noch höhere Handelsvolumina und Umsätze voraussetzt.

Portum hat sich inzwischen internationalisiert und ist jetzt auch in Frankreich, Spanien sowie mit einer Außenstelle in San Francisco präsent, nicht jedoch in Großbritannien, wohin man vor einem Jahr strebte. Eine Filiale in Italien wird demnächst eröffnet. Während sich das Unternehmen vor Jahresfrist teils als Marktplatz, teils als Enabler verstand, hat sich der Schwerpunkt mittlerweile laut Heydenreich in Richtung Enabler verschoben. Portum sei "eigentlich kein Marktplatz", meinte der Vorstandsvorsitzende. Noch stärker will man jetzt andere Unternehmen in die Lage versetzen, selbst elektronische Marktplätze zu betreiben.

Als neue Firma wurde Chemporter, ein Chemiemarkt, mit der Portum-Software ausgestattet. Ergänzt wurde seither die Auktionssoftware um eine Ausschreibungsplattform - beide Produkte sind Internet-basierend, das heißt, Anbieter und Käufer benötigen für ihr Geschäft lediglich einen Internet-Browser. Ganz im Sinne der Strategie eines Enablers hat das Haus die ergänzenden Dienstleistungen ausgebaut. Was vor zwölf Monaten mit Test- und Probeauktionen begann, ist inzwischen ein breit gefächertes Portfolio aus Consulting, Training & Support. Der technische Service reicht von einer Hotline über den Betrieb von Auktions- und Ausschreibungsplattformen bis zur Einrichtung von Sicherheitssystemen (PIN Code, Smartcards).

Das "Flohmarktprinzip" floptDer amerikanische Konkurrent, die schon 1995 gegründete Firma Freemarkets mit Sitz in Pittsburgh, meldet ebenfalls eine Geschäftsentwicklung in Richtung schwarze Zahlen. Bei einem Handelsvolumen von 9,9 Milliarden Dollar und Einnahmen in Höhe von 91,3 Millionen Dollar hat es das Unternehmen im letzten Quartal 2000 eigenen Angaben zufolge geschafft, rund 50 Prozent der Ausgaben zu erwirtschaften.

Sehr weit ist Freemarkets bei der Internationalisierung vorangekommen. In Europa wurden zusätzlich zu den bereits vor einem Jahr bestehenden Headquarters in Brüssel Büros in London, Paris, Frankfurt und Zürich gegründet. Außerdem ist das Online-Auktionshaus in Lateinamerika und Südostasien präsent.

Vor zwölf Monaten hatte die Computerwoche in den Geschäftsideen mancher B-to-B-Portalgründer eine "ordentliche Portion Größenwahn" entdeckt. Ein Portal, das jeder Firma jedes Produkt beschaffen sollte - diese Idee des One-Stop-Shopping erschien als Wunsch und Vision zwar verständlich, aber doch zu hochtrabend und unrealistisch. Manche Gründer sind denn auch hart auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Erfolgreiche C-to-C-Portale, die mit ihrem "Flohmarktprinzip" den B-to-B-Markt aufrollen wollten, tun sich offenbar sehr schwer: Ebay Pro, Ricardo Biz und Atrada Pro sind allem Anschein nach nicht richtig in die Gänge gekommen. Bei Ricardo gehört B-to-B spätestens seit der Fusion mit dem britischen Online-Auktionshaus QXL im November 2000 "nicht mehr zum Kerngeschäft", so Sprecherin Sabine Lafrenz. Ricardo konzentriere sich ganz auf C-to-C. Derzeit werde geprüft, ob man Ricardo Biz überhaupt noch weiter führen soll. Sogar über den Verkauf der Plattform werde nachgedacht. Ein Blick in die Sparten von Ricardo Biz zeigt, dass dieser "Marktplatz der Zukunft" - so die Eigenwerbung - wohl kaum die nächsten Monate überleben wird.

Unter den Rubriken "Consulting", "Werbung und PR", "Transporte", "Web-Service", "Produktions- und Lagerstätten" und "Büroräume" waren Ende Januar überhaupt keine Einträge zu verzeichnen. In der Rubrik "Restaurants/ Gaststätten" war ein Pizzageschäft annonciert, unter "Immobilien" wurden drei Ferienwohnungen im Schwarzwald feilgeboten. Außerdem warb ein Makler für seine Dienste bei der Vermittlung von Villen und Landhäusern in den USA.

Nur eine SortierfunktionEbay Pro hat sich seit Jahresfrist deutlich verändert. Ralph Werner, Director Business Development: "Wir waren zunächst als eigenständiger Marktplatz gestartet und wollten im Laufe der vergangenen zwölf Monate in die normale Kategoriestruktur der Ebay.de-Site gelangen. Ebay Pro ist also kein eigenständiges Produkt, sondern übernimmt nur eine Sortierungsfunktion."

Werner weist darauf hin, dass es vielen Investoren inzwischen aufgefallen ist, "dass sich gewisse Produkte vornehmlich im B-to-B-Bereich nur unzureichend oder gar nicht über klassische Online-Auktionen abwickeln lassen". Werner schließt daraus: "Ebay Pro war und wird auch in Zukunft keine Alternative für die einschlägigen B-to-B-Plattformen sein, auf denen die ''großen Bs'' dieser Welt ihre E-Procurement oder E-Commerce-Strategien umsetzen." Der für die Geschäftsentwicklung Verantwortliche räumte ein, dass der Handel innerhalb von Ebay Pro "durchaus weniger ausgeprägt ist als im C-to-C-Bereich des Marktplatzes". Abgeschrieben hat er das Geschäftsfeld B-to-B jedoch noch nicht. Als Zielgruppe sieht das Auktionshaus mittelständische Unternehmen, die Selbständigen und Gewerbetreibenden sowie Händler von "konsumnahen Produkten".

Potenzial nicht ausgeschöpftWerner betont, dass "unsere gewerblich orientierten Kunden häufig die existierenden alternativen Sekundärmärkte nutzen und viele für Gewerbetreibende interessante Produkte in den normalen C-to-C-Kategorien eingestellt werden". Transaktionsvolumina, Umsätze und Ergebnisse zum B-to-B bei Ebay wollte Ralph Werner nicht bekannt geben. Man sei jedoch mit den Geschäftszahlen für den Moment nicht unzufrieden, das Potenzial sei noch lange nicht ausgeschöpft. So hat sich der Anbieter vorgenommen, das Thema in nächster Zeit wieder mit etwas größerer Aufmerksamkeit voranzutreiben. EbayPro konzentriert sich auf die Branchen Gastronomie und Hotellerie, Medizintechnik, Textilgewerbe, Bau und Elektrotechnik sowie Insolvenzverwertungen.

Was ist aus Atrada Pro geworden, einem Geschäft, das im März 2000 laut Presseerklärung als "größter übergreifender B-to-B-Marktplatz im deutschsprachigen Internet" ins Leben gerufen wurde? Firmensprecher Thomas Gahlert beurteilt die allgemeine Lage für das elektronische Business zwischen Unternehmen inzwischen mit nüchternen Worten: "Der B-to-B-Hype ist vorbei. Es reicht nicht mehr, nur mit einem Marktplatz aktiv zu sein." Auch Atrada hat festgestellt, dass "viele kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) gar nicht so anders als große und anspruchsvolle Konsumenten einkaufen", so der Firmensprecher. KMU nutzten daher den Privatkundenmarktplatz, um Dinge wie Hardware oder Autos zu beschaffen. Bei Atrada kaufen und verkaufen von 80000 registrierten Unternehmen 5000 regelmäßig. Thomas Gahlert bewertet diese Zahlen so: "Wir bewegen uns noch am Anfang."

Um besser ins Geschäft zu kommen, bietet das virtuelle Handelshaus seit Anfang 2001 auch Online-Shops. Es handelt sich dabei um von Atrada programmierte Software, die ein Unternehmen im Rahmen einer ASP-Lösung nutzen kann, um unter der eigenen URL einen elektronischen Laden aufzubauen. Bis Ende Januar waren laut Gahlert rund 250 dieser "Shops" verkauft. Ihre Besonderheit ist, dass sie die Angebote der Firmen auf die Marktplätze von Atrada spiegeln können, so dass Einkäufer auch hier die gebotenen Produkte und Dienstleistungen finden.

Stark auseinander entwickelt haben sich die Internet-Plattformen für den Handel mit Chemikalien. Auf der einen Seite stehen die im Ursprung amerikanischen Auktionshäuser Chemconnect und Chematch, die vor allem große Mengen an bekannten und preisgünstigen Standard-Roh- und Grundstoffen vertreiben. Chematch will partout keine Geschäftszahlen bekannt geben, brüstet sich aber gerne mit der Vermittlung von mehr als 1,5 Millionen Kubikmetern Material innerhalb von zwölf Monaten - eine Zahl, die über den Geschäftserfolg wenig aussagt. Inzwischen ist das Unternehmen in Deutschland mit einem Büro in Hamburg vertreten.

Ein Instrument der Old EconomyCheop, die Internetplattform von mg, der ehemaligen Metallgesellschaft, die sich vor einem Jahr als kostenloses elektronisches Anzeigenblatt mit der Option auf Auktionen präsentierte, definiert sich heute ganz anders. Nach den Worten von Geschäftsführer Frank Kusterer handelt es sich inzwischen um ein Instrument der Old Economy mit konservativer betriebswirtschaftlicher Ausrichtung. Cheop wolle sich weder über Mitgliedsbeiträge noch über Auktionen finanzieren, betont Kusterer, der auch als Direktor E-Business und CIO der Solvadis AG (Chemiezweig der mg) arbeitet. Wie die konservative betriebswirtschaftliche Kalkulation bei Cheop aussieht, ist offenbar noch nicht endgültig geklärt. Kusterers Äußerungen sind in diesem Punkt ein wenig unklar. Wahrscheinlich rechnet man innerhalb der mg damit, dass sich Cheop als Non-Profit-Initiative durch den Nebeneffekt einer Steigerung des Chemiegeschäfts im Konzern rechnet. Nach Kusterers Darstellung konzentrieren sich die von Cheop abgelehnten Chemikalienauktionen rein auf den Verkauf standardisierbarer Grund- und Rohstoffe sowie den Produktpreis. Cheop wolle dagegen wertvolle Spezialchemikalien für die Pharmaindustrie und Biotechnologie vermitteln sowie die Logistik-, Abwicklungs- und Lagerkosten (total process costs) reduzieren.

Das Kernproblem bei Transaktionen mit chemischen Produkten liegt nach Darstellung des Cheop-Geschäftsführers darin, dass Praktiker häufig eine Chemikalie in der landläufigen Bezeichnung suchen, während die Anbieter den chemischen Fachausdruck oder die chemische Formel verwenden. Um nun zwischen Anbietern und Nachfragern zu vermitteln, setzt Cheop eine Wissensdatenbank ein, welche die Verknüpfung zwischen "Formel" und "Praktikersprache" herstellt. Inzwischen sind in der Wissensdatenbank von Cheop rund 400000 Fachbegriffe eingetragen.

Auch zwischen den Aktivitäten der Marktplätze für Restanten klafft die Schere immer weiter. Während das amerikanische Unternehmen Tradeout.com seiner Gründungsidee treu geblieben ist, hat die Nachfrage der Kunden das Geschäft der Münchner Allocation.net völlig umgekrempelt. Vor einem Jahr konzentrierte sich die bayerische Neugründung auf Restposten und versprach die Verwertung von überflüssigen Rohstoffen und Halbfertigprodukten. Inzwischen ist das nur noch ein am Rande liegendes Geschäftsfeld. In den Mittelpunkt gerückt ist das reguläre Business mit wertvollen Rohstoffen und Bauteilen, wie sie für die Produktion im Maschinenbau und in der Elektronikbranche benötigt werden. Gründer Bernhard Soltmann nennt als typische Kunden die Einkäufer von Maschinenbauunternehmen, Firmen, die Normteile - zum Beispiel Schrauben - produzieren, und Hersteller von Spritzgussteilen.

Welchen Vorteil Allocation.net einem Unternehmen verschaffen kann, erläutert Soltmann am Beispiel Webasto. Dieser Automobilzulieferer habe alle Bestandteile einer Baugruppe über eine Reverse Auction ausgeschrieben und damit 28 Prozent Preiseinsparung bei einem bereits eingeführten Produkt erzielt. In der Regel seien Einkäufer schon mit eher wahrscheinlichen Einsparungen in der Höhe von drei bis fünf Prozent "sehr zufrieden", so Soltmann.

Zufrieden mit drei ProzentNeben Reverse Auctions ist Allocation.net in Bedarfsausschreibungen sowie in Vertragsverhandlungen versiert, die online über einen Server geführt und dokumentiert werden. Um Kunden zu gewinnen und sie mit den für sie optimalen Handelsmechanismen vertraut zu machen, investiert Allocation.net sehr viel Arbeit. Von den 15 Mitarbeitern sind sechs ausschließlich mit dem Vertrieb befasst. Das Beratungs- und Projektgeschäft spielt eine weitaus größere Rolle, als am Anfang vermutet. Soltmanns Partner Andreas Vollmann: "Es ist ein Irrglaube, dass das Netz uns die Arbeit abnimmt. "Inzwischen wurde Allocation.net mehrheitlich von der Thiel Logistik AG übernommen, die ihrerseits die Zustellung der vermittelten Produkte übernimmt. Ricardo, vor einem Jahr der starke Partner und Kapitalgeber, ist bei Allocation.net nach wie vor stiller Teilhaber. Allocation.net wollte keine Geschäftszahlen publizieren. In diesem Punkt verhält sich tradeout.com, der amerikanische Restanten-Verwerter im Internet, genau so. Als bemerkenswerte Aktivität hat Tradeout.com kürzlich eine erste Versteigerung gebrauchter Trucks durchgeführt. Darüber hinaus wurde eine Vereinbarung mit Ebay getroffen.

Vor einem Jahr wollte sich Tradeout.com in Deutschland und Europa niederlassen. Siegessicher tönte damals der Unternehmensgründer Brin McCagg: "Wir werden bald etwa 100 Leute in Deutschland und England einstellen." Doch jetzt ließ McCagg eine Anfrage der Computerwocheunbeantwortet, und in der Firmendarstellung im Internet sind europäische Aktivitäten, sofern überhaupt existent, nicht zu erkennen. Beim Klick durch die Angebotsseiten von Tradeout.com kommen Zweifel auf, ob das Restanten-Geschäft wirklich so lukrativ ist, dass ein Unternehmen damit Gewinne erzielen kann - Allocation.net hat ja diese Geschäftsidee nicht ohne Not an den Rand gedrängt.

Keiner in die Pleite gerutschtBei Tradeout jedenfalls sind in vielen Rubriken kaum die Umsatzträger des gewaltigen B-to-B-Geschäfts zu finden. Ein Beispiel: Unter Computersoftware sind hauptsächlich Produkte zu erwerben, die heute mit größter Wahrscheinlichkeit niemand mehr braucht, zum Beispiel veraltete Lernsoftware. Hartnäckig hält sich auch Metallnet.de, das allerdings nach wie vor keine Telefonnummer preisgibt und nur per E-Mail erreichbar ist, aber eine E-Mail-Anfrage der Computerwoche unbeantwortet ließ. Idee war und ist, Dreh-, Fräs- und Blechbearbeitungsaufträge über Gesuche und Angebote via Internet zu vermitteln - eine durchaus respektable Idee, schließlich geben einschlägige Firmen viel Geld für Anzeigen in Fachzeitschriften und Kapazitätenvermittler aus. Seinerzeit war der Gründer von Metallnet.de, der noch als technischer Angestellter in Lohn und Brot stand, auf der Suche nach Risikokapital. Der Gesamtauftritt von Metallnet.de lässt Zweifel aufkommen, dass es in der Zwischenzeit gelungen ist, kapitalkräftige Investoren zu begeistern. So müssen nun Produzenten, die über Metallnet.de Aufträge akquirieren wollen, erst einmal einen Jahresbeitrag von 2400 Mark berappen, um die Gesuche der Auftragsvergeber einzusehen. Wie gut dieses Vermittlungsgeschäft läuft, darüber lässt sich leider nur spekulieren.

Doch mit Pauken und Trompeten in die Pleite gerutscht ist noch keine einzige Firma, die von der Computerwoche vor zwölf Monaten am Start des angeblich so gewaltigen B-to-B-Geschäfts beobachtet wurde.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München