Azubis lernen das Programmieren wie Mopedfahren

02.12.1977

Mit Bernd Freidinger vom saarländischen Kultusministerium, Robert Jeanrod, Leiter der Kommunalen Datenverarbeitung Saar, und H. G. Stieffenhofer, Direktor des Sparkassen-Rechenzentrums, Saarbrücken, sprach CW-Redakteurin Nora Hörmann

- Im Saarland läuft seit einiger Zeit ein "Modellversuch" des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, der darauf abzielt, Berufsschülern EDV-Wissen zu vermitteln. Wodurch unterscheidet sich dieses Experiment von anderen, bis jetzt üblichen Lehrmethoden?

Freidinger: Unser "Modellversuch", der zur Zeit in 13 Berufsschulen recht erfolgreich durchgeführt wird, soll dem Schüler EDV-Wissen, um das kein Auszubildender heute mehr herumkommt, praxisgerecht vermitteln. Unser Ziel ist, den Computer endgültig zu "entmystifizieren" und dem Berufsschüler ein unkompliziertes Verhältnis zur elektronischen Datenverarbeitung zu ermöglichen. Um das zu erreichen, lernen unsere Schüler, interaktiv zu programmieren.

- Das hört sich an, als ob Sie an diesen Schulen EDV-Spezialisten ausbilden würden?

Freidinger: EDV-spezifische Berufe werden im Rahmen des Modellversuches nicht unterrichtet. Unsere Schüler sind ganz normale Berufsschüler wie Industrie-, Großhandels-, Bank- und Versicherungskaufleute, in deren Berufsbild Kenntnisse über EDV als Anforderungen genannt sind. Im Normalfall soll dieses Wissen in den einzelnen Betrieben vermittelt werden. Da verschiedene Unternehmen aber dazu nicht in der Lage sind, ist die IHK an das Kultusministerium mit der Bitte herangetreten, die EDV als Fach in den Unterricht aufzunehmen.

- Es ist dennoch schwer vorstellbar daß absolute EDV-Laien sofort mit dem interaktiven Programmieren beginnen können. Wie geht das vor sich?

Freidinger: Hier muß man klarstellen, daß nicht so programmiert wird, wie man es von der kommerziellen Datenverarbeitung her kennt. Der Schüler kann kein COBOL-Programm erarbeiten, er soll auch nicht als Programmierer ausgebildet werden. Unserer Meinung nach ist aber die Methode, interaktiv am Computer zu lernen, der einzig gangbare Weg, Verständnis für die EDV zu vermitteln. Der Schüler soll über das Programmieren begreifen, was ein Computer ist, was er leistet, wozu diese Systeme genutzt werden können. Wir müssen endlich wegkommen vom "Black Box"-Denken. Hardware zu erklären oder zu verdeutlichen, was eine Magnetplatte ist und wie eine Schaltun funktioniert, bringt uns nicht weiter.

- Wie arbeiten Sie mit Ihren Schülern?

Freidinger: Wir arbeiten Online mit freier Rechnerkapazität des Sparkassenrechenzentrums. Jede Schule ist derzeit noch ausgestattet mit einem 1920-Zeichen-Dispay von Datasaab und einem Mannesmann-Drucker 8877. Demnächst wollen wir - dank der Preisreduzierungen auf diesem Gebiet - auf drei Arbeitsplätze pro Schule erweitern - das Minimum, um effektiv arbeiten zu können. Noch besser wären natürlich fünf bis sechs Bildschirm-Systeme. Die 13 Schulen sind per Standleitung an den Großrechner des Sparkassen- und Giroverbandes angeschlossen.

- In welcher Sprache programmieren die Schüler?

Freidinger: Da es uns vor allem darauf ankommt, daß der Schüler möglichst schnell mit dem Programmieren beginnen kann und nicht erst zur Vorbereitung ein halbes Jahr theoretisch unterrichtet werden muß, arbeiten wir am Anfang mit Basic. Wir sind heute so weit, daß der "Azubi" nach zwei bis drei Lehrstunden am Bildschirm in der Lage ist, ein kleines Programm zu schreiben. Seit kurzem verwenden wir auch "Elan."

- Und was sagen die Praktiker?

Stieffenhofer: Meine persönliche Meinung dazu ist, daß durch diese Ausbildung endlich eine Lücke geschlossen wird, die wir heute noch sehr stark zu spüren haben. Ich spreche jetzt als Bankfachmann, der mit den Lehrlingen arbeiten muß.

Jeanrod: Obwohl wir nur für die technische Seite des Modellversuchs verantwortlich sind, sehe ich in dieser "Salami-Taktik" viele Vorteile für unseren Nachwuchs: Hier kann er "Mopedfahren", und zwar mit Schwerpunkt auf "Fahren" und nicht "Motor". Der Schüler lernt, ein System zu bedienen, etwa wie das Telefon, das er benutzen, aber nicht begreifen muß.

- Wie bekommt aber der Berufsschüler Bezug zur Praxis, wenn nicht "kommerziell" programmiert wird?

Freidinger: Das ist der zweite Teil unseres Modells: Wir versuchen, echte Anwenderprogramme zu schreiben und bereitzustellen. Unser Ziel hierbei ist, aus dem Fach "Informatik" heraus in andere Bereiche, wie Rechnungswesen, Wirtschaftslehre oder Mathematik, hineinzugehen. Die entsprechenden Fachlehrer sollen dann die Terminals mitbenutzen und mit Hilfe von Anwendungsprogrammen die Praxis "üben". So soll zum Beispiel ein Buchhaltungssystem nicht - wie bis jetzt üblich - an der Tafel mit T-Konten gelehrt werden; sondern mit dem Rechner.

- Welchen Lehrstoff wollen Sie darüber hinaus noch vermitteln?

Freidinger: Wir haben uns noch vorgenommen, Simulationen bereitzustellen, vor allem Unternehmensplanspiele, komplette Konkurrenzspiele, ein volkswirtschaftliches Modell oder einfach nur Lagersimulation. Problem hierbei ist die Zeit: Um eine Simulation durchzuspielen, benötigen wir mit den Berufsschülern etwa vier Wochen und kollidieren damit mit dem noch sehr kompakten übrigen Lehrstoff.

- Herr Stieffenhofer, wächst Ihnen diese Zusatzanwendung, wenn sie voll läuft, nicht irgendwann über den Kopf?

Stieffenhofer: Wir vom Sparkassen-Rechenzentrum sind sehr daran interessiert, auch weiter in diesem Bereich mitzuarbeiten. Wir wollen mit dem KDS gemeinsam Hardware nutzen unter dem Aspekt "je größer die Anlage, desto besser das Preis-/Leistungsverhältnis". Die neuen IBM-Preise für Zentraleinheiten zeigen den Trend auf, daß wir zu dem Preis, den wir jetzt für unsere 148 bezahlen, bald eine zweieinhalbfach schnellere Maschine bekommen können. Wir sehen in eine "rosa Zukunft".

- Und wie steht es mit den Kosten für die Datenfernübertragung?

Stieffenhofer: Hier sehen wir tatsächlich ein großes Problem, mit dem wir irgendwie fertig werden müssen. Um nun die Bestrebungen der Post, möglichst viel Geld zu machen, unterlaufen zu können, starten wir demnächst drei DFÜ-Konzepte: Die Sparkassen-Datenfernverarbeitung, den computerunterstützten Unterricht und eine neue Online-Lösung für das gesamte saarländische Einwohnermeldewesen. Nimmt man sich nun eine Landkarte des Saarlandes vor, kann man feststellen, daß überall dort, wo es große Sparkassen gibt, in unmittelbarer Nähe auch Kommunalverwaltungen und Berufsschulen zu finden sind.

Wir wollen also voneinander völlig unabhängige Anwendungsprogramme über gemeinsame DFÜ-Leitungen und -Einrichtungen transferieren. Seit etwa einem Jahr läuft bereits eine Teststrecke von rund 20 Kilometern mit einer 9600-Baud-Leitung, an die zwei Berufsschulen, eine Sparkasse und zwei Meldeämter angeschlossen waren.

- Wäre es da nicht einfacher, die Berufsschulen einzeln mit MDT-Systemen auszustatten?

Jeanrod: Es gibt andere Schulversuche im Bundesgebiet, die so arbeiten. Nur wird den Schülern dabei nicht das Wissen vermittelt, das wir ihnen geben können: Die Arbeit mit dem zentralen Großsystem. Hier im Saarland ist das Modell darauf ausgerichtet, daß der Schüler die Technik der Datenfernübertragung "live" erleben kann.

- Steht das nicht im Widerspruch zum neuerdings propagierten Konzept des "Distributed Processing"?

Freidinger: Als wir über den Modellversuch nachgedacht haben, stand die Alternative des Einzelrechners überhaupt nicht zur Diskussion, da zu dieser Zeit die Preise einfach unerschwinglich waren. Heute sieht die Kostensituation allerdings anders aus. Hinzu kommt noch, daß bei dieser Lösung kein einheitlicher Lehrplan zustande gekommen wäre, da vielleicht zwei oder drei Schulträger sich diese kleinen Rechner angeschafft hätten, andere jedoch nicht. Wir mußten außerdem befürchten, daß zu guter Letzt an 13 Schulen vielleicht 20 verschiedene Systeme installiert worden wären. Bei mehreren Vergleichen hat sich auch herausgestellt, daß das Handling beim "dummen" DFÜ-Terminal weniger aufwendig ist als beim Kleincomputer. Hier läuft man Gefahr, daß sich an den Schulen Spezialisten herausbilden, die ihr Wissen gegenüber anderen regelrecht abschirmen.

Weitere Vorteile unserer Lösung sind einmal die gemeinsame Programmbibliothek. Wenn also eine Schule eine bestimmte Problemlösung erarbeitet hat, können wir sie problemlos allen anderen zur Verfügung stellen.

Auch für uns gilt, wie für die Anwender draußen: Wir bleiben flexibel, können also die Hardware jederzeit austauschen, immer die neuesten Entwicklungen mitmachen und weitervermitteln.

- Wird sich dieses Konzept durchsetzen?

Freidinger: Ich muß zugeben, daß unserem Versuch noch einige Skepsis entgegengebracht wird. Die Lehrer sind zwar bereit mitzumachen, aber ob es uns gelingt, das Modell in großem Rahmen anzubringen, ist heute noch fraglich.

Modell-Versuch

"Modell-Versuch" heißt der Test eines computerunterstützten Unterrichts im Saarland - gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft. Hauptakteure hierbei sind: H. G. Stieffenhofer, Direktor des Sparkassen-Rechenzentrums, der dem Projekt bereits 1972 im Rahmen einer Vorstudie "Starthilfe" in Form von kostenlosen DV-Diensten leistete.

Der Leiter der Kommunalen Datenverarbeitung Saar, Robert Jeanrod, trägt mit der KDS 50 Prozent der Kosten dieses "Versuches", er ist zudem mit der technischen Durchführung beauftragt.

Bernd Freidinger betreut diesen Test im Auftrag des Kultusministeriums in einer Arbeitsgruppe und zeichnet verantwortlich für das Curriculum, den Lehrplan der jeweiligen Schulen.

DV an der Saar

Im Saarland gibt es zwei kooperierende Datenverarbeitungsbereiche: Einmal die Kommunale Datenverarbeitung, die sich speziell um die Gemeinden, Städte und Landkreise kümmert, und zweitens die Sparkassen-Datenverarbeitung, die spezielle DV-Probleme für die Sparkassen, die Landesbank Saar sowie die Girozentrale lösen hilft. Entsprechend dieser Aufgabenstellung wurden zwei Gesellschaften geschaffen: Die KDS - Kommunale Datenverarbeitung Saar - sowie der Sparkassen- und Giroverband Saar. Die EDV-Produktion sowie Hardware für alle Anwendungen stellt das Sparkassen-Rechenzentrum durch eine Anlage, die größer dimensioniert ist, als eigentlich nötig wäre. Um die Kapazität nun voll auszulasten, läuft seit einiger Zeit ein Projekt in der Testphase: Der computerunterstützte Unterricht per Online-Anschluß an den saarländischen Berufsschulen.