AVL List trickst den SAP-Standard aus

12.09.2006
Von Thomas Kircher 
Dank eines speziellen Ersatzteil-Management-Systems erreichte der Automobilzulieferer weltweit einen Liefergrad von 98,5 Prozent innerhalb von 24 Stunden.

Produktbegleitende Dienstleistungen sind im wettbewerbsintensiven Umfeld eines Automobilzulieferers ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal. Einer der wichtigsten Services besteht darin, die Kunden schnell mit Original-, Verbrauchs- und Ersatzteilen zu versorgen. Die AVL List GmbH mit Sitz im österreichischen Graz hat sich für diese Aufgabe ein klares Ziel gesetzt: Teilelieferungen innerhalb von 24 Stunden an jeden Ort der Welt.

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Projektsteckbrief

Projektart: Ersatzteil-Management-System mit zweistufiger Verfügbarkeitsprüfung.

Branche: Automobilzulieferer.

Zeitraum: von 2002 bis 2005.

Produkte: SAP R/3, Mysap CRM und SAP APO.

Dienstleister: MHP, Freiberg am Neckar.

Herausforderung: Anpassung des SAP-Standards durch Nutzung von Business-Add-ins auf Basis von Abap und Abap Objects.

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"Die Automobilbranche setzt hohe Standards für ihre Lieferanten", so Stefan Petritsch, Business-Development-Manager bei AVL List, "und als Marktführer im Bereich Mess- und Prüftechnik für die Motorenentwicklung müssen wir den Standard übertreffen." Die Realität sah allerdings geraume Zeit anders aus: Die Prozessketten wurden immer länger, weit verteilte Lagerorte erschwerten die Logistik, und die Bestandsführung erfolgte weitgehend "nach Gefühl". Uneinheitliche Lieferzeiten behinderten die Abläufe.

Im Rahmen einer strategischen Initiative zur Entwicklung eines eigenständigen Geschäftsbereichs "Customer Services" wurde im Jahr 2002 auch ein Projekt zur professionellen Ersatzteilversorgung gestartet. Sein Ziel bestand unter anderem darin, Ersatzteile weltweit auch über das Internet zu vertreiben. Neben einem eigenen Webshop sollte das geplante Ersatzteil-Management-System "AVL E-Spares" auch die Bestellabwicklung und die Lagerhaltung komplett abdecken.

Langwierige Softwaresuche

Gefordert waren die weltweite Anbindung sämtlicher Ersatzteillager und der Online-Zugriff darauf. "Wir haben mehrere Produkte miteinander verglichen, doch keine der existierenden IT-Lösungen konnte unsere Ansprüche erfüllen", berichtet Franz Holzer, Produkt-Manager Ersatzteile. Schließlich entschied sich AVL List, die Lösung auf der Grundlage von SAP R/3, Mysap CRM (Customer-Relationship-Management) sowie SAP APO (Advanced Planning and Optimization) selbst zu entwickeln.

Das Unternehmen hatte schon 1996 entschieden, seine ERP-Anwendungen auf SAP-Software aufzubauen. Die CRM-Software der SAP als IT-Plattform für E-Spares sollte nun die Integration mit den Prozessen der Unternehmenssoftware erleichtern.

Kunden haben viel Auswahl

Bald konnten die AVL-Kunden über den Webshop auf den aktuellen Teilekatalog zugreifen und online Preis und Verfügbarkeit abrufen. Manche nutzten auch die Möglichkeit, ihre eigene ERP- und Beschaffungslösung über offene Schnittstellen wie BMEcat/ cXML oder Eclass/UNSPSC direkt anzubinden. Darüber hinaus ist E-Spares auf B-to-B-Online-Marktplätzen wie Covisint oder SupplyOn vertreten. "Indem wir unseren Kunden mehrere Kommunikationsmedien anbieten, können sie ihre Transaktionskosten senken", sagt Holzer.

Um die Lieferzeiten innerhalb der angestrebten 24-Stunden-Frist zu halten, sind neben dem Hauptlager in Graz auch die Ersatzteillager in China, Indien, Japan, Nordamerika und Korea komplett in die IT integriert. "Die Nettolieferzeit betrug auch früher teilweise 24 Stunden", erläutert Holzer, "aber ohne eine IT-gestützte Ersatzteil-Management-Lösung ließ sich die Verfügbarkeit der Komponenten und damit auch die Lieferzeit nicht garantieren."

IT-Berater sind ratlos

Um diesen Unsicherheitsfaktor zu beseitigen, musste eine zweistufige Verfügbarkeitsprüfung in den Webshop integriert werden. Der Plan sah vor, die Verfügbarkeit eines Artikels zuerst in dem für den Kunden relevanten lokalen und anschließend im Zentrallager in Graz zu prüfen. Das Ergebnis sollte der Kunde manuell ändern können - und damit interaktiv entscheiden, ob er aus dem lokalen oder zentralen Lager beliefert werden wolle oder gar eine Mischform wünsche. So könne er selbst zwischen einer teuren Einzellieferungen oder eine preiswerteren Sammellieferungen wählen.

AVL versuchte drei Jahre lang, dieses Vorhaben umzusetzen, doch von den hinzugezogenen IT-Beratern war niemand in der Lage, alle Anforderungen zu erfüllen. Erschwerend kam hinzu, dass aus Controlling-Gründen keine Unterpositionen erzeugt werden durften, denn AVL verrechnet nur auf Hauptpositionsebene. Der Standard von SAP APO bildet jedoch Lieferaufteilungen mit Unterpositionen ab. Außerdem sollte die Disposition weiterhin in SAP R/3 erfolgen.

Die Idee für die Lösung ergab sich aus der Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Mieschke Hofmann und Partner GmbH (MHP). Da der SAP-Standard für die notwendigen Anpassungen nicht nutzbar war, analysierte MHP auf der CRM- und SCM-Seite alle Standarderweiterungen wie Business-Add-ins und User-Exits quasi auf der "Bit- und Byte-Ebene". Diese Detailuntersuchung führte zu einer "Hintertür": Mit Hilfe von Business-Add-ins auf Basis der SAP-Programmiersprache Abap und "Abap Objects" ließen sich Anforderungen, die für den Standard zu speziell waren, dennoch im SAP-System umsetzen.

Lösung auf Bit-Ebene

Die Business-Add-ins sind auf der CRM- und SCM-Seite systemübergreifend aufeinander abgestimmt. Nun ist es möglich, die Informationen mit dem Aufruf der Verfügbarkeitsprüfung im CRM zu harmonisieren, bevor sie an das Supply-Chain-Management (SCM) übergeben werden. Den umgekehrten Weg nimmt das Ergebnis der Verfügbarkeitsprüfung: Es wird zuerst im SCM angepasst und dann an das CRM übergeben.

Mit dieser Problemlösung gelang es innerhalb von zwei Wochen, die zweistufige Verfügbarkeitsprüfung umzusetzen. Mit E-Spares hat AVL List nun eine Echtzeit-Shop-Anbindung sowie eine Online-Verfügbarkeitsprüfung über mehrere Logistikstandorte in einer Softwareplattform.

Die Kunden haben die Online-Bestellung schnell angenommen. Dazu Michael Herbel, Leiter Customer Services Sales and Product Management bei AVL List: "Unsere Kunden beziehen nun wesentlich mehr Ersatzteile direkt und ziehen E-Spares den traditionellen Wegen wie E-Mail, Fax oder Telefon vor." Dadurch sei der Online-Umsatz um 80 Prozent gestiegen. (qua)