Gebietsrechenzentrum oder DV vor Ort ist häufig die Frage:

Autonome Datenverarbeitung birgt Risiken

07.12.1984

In dem Dilemma, sich zwischen gemeinschaftlicher oder autonomer Datenverarbeitung entscheiden zu müssen, stecken heute viele Kommunen. Axel G. Koetz*, Autor des folgenden Beitrages, favorisiert dagegen eine dritte Alternative: DV vor Ort - mit zentraler Unterstützung.

Fast alle deutschen Kommunen setzen zur Erledigung ihrer Aufgaben in der "Massenverwaltung" EDV ein und die überwiegende Zahl bedient sich dabei der gemeinschaftlichen kommunalen Datenverarbeitung, kurz nGKD genannt. Doch die Entscheidung zur Zentralisierung der EDV-Funktion in großen und größten Rechenzentren wird gerade von den kleineren angeschlossenen Kommunen zunehmend in Zweifel gezogen. Der Drang zur autonomen DV vor Ort bringt aber auch mancherlei Probleme mit sich.

Kostenunterschiede; Leistungsangebot, Mitarbeiterqualifikation und in hohem Maße psychologische Probleme zwischen Kommunen und ihren Datenzentralen sind bestimmende Faktoren für die Entscheidung für oder gegen die GKD.

Gravierende Kostenunterschiede

Kosten und Geschwindigkeit sind dabei die wesentlichen Ansatzpunkte für die Kritik an der GKD. Diese Kostenunterschiede können beachtlich sein. Eine komfortabel ausgestattete Datenzentrale, in der im wesentlichen im Dialog gearbeitet werden kann, belastet die angeschlossenen Kommunen mit bis zu weit über 20 Mark pro Einwohner und Jahr, während bei autonomen Anlagen von Ort vom Schlage einer Nixdorf 8870, IBM /36 oder Kienzle 7066 in der Regel Kostensätze von weniger als 10 Mark, in Extremfällen sogar unter 5 Mark pro Einwohner und Jahr herauskommen. Für Städte mit 20 000 bis 50 000 Einwohnern ist das schon ein wichtiger Grund, nach Alternativen zur GKD Ausschau zu halten.

In der Realität sind die so berechneten Kostenunterschiede allerdings meist weniger spektakulär, da die autonom rechnenden Kommunen ihre DV-spezifischen Personalkosten oft nicht isolieren können und demzufolge eine Zurechnung zur EDV unterbleibt. Außerdem ist die Softwareentwicklung ohne extreme Unterstützung praktisch unmöglich: Der kommunale Anwender ist und bleibt auf die Standardprogramme des Herstellers angewiesen oder muß teure Entwicklung durch Softwarehäuser betreiben lassen. Erst ab der Größenklasse um 80 000 bis 100 000 Einwohner lohnt sich der Aufbau eigener Kapazitäten.

Schöne, teure Softwasre

Zuerst fragen sich allerdings viele Kommunen nach dem Sinn, den die ebenfalls aufwendige Softwareentwicklung in den Datenzentralen für sie macht. In der Regel reichen für kleinere Anwender Pakete für die Anwendungen HKR (Haushalts-, Kassen-, Rechnungswesen), Einwohnerwesen und Personalwesen als Basis aus. Ergänzt werden kann dieses Basisangebot durch Programmpakete für die Stadtwerke/Eigenbetriebe für Krankenhäuser und für das Sozialwesen.

Zweiter Punkt in der Depression um gemeinschaftliche oder autonome Datenverarbeitung ist die Frage der Geschwindigkeit. Gerade in den zeitkritischen Aufgabenstellungen im Steuer-, Abgaben- und Gebührenbereich wird häufig die zu langsame Arbeit der GKD bemängelt. Ein weiteres Problem ist der Zugriff auf die Datenbestände durch den Sachbearbeiter. Da Ende 1983, wie auch Erhebungen der KGSt (Kommunale Verwaltungsstelle für Verwaltungsvereinfachung) zeigen, noch überwiegend Batch-orientiert gearbeitet wurde, bleibt eine rasche Auskunftserteilung an den Bürger Illusion. Das Ausfüllen von Erfassungsbelegen und ein- bis zweistündige Wartezeit selbst für einfache Auskünfte sind vielfach die Regel.

Der Ansatz, hier durch Vorrechnerlösungen, die DV trotz zentraler Datenhaltung und Massenverarbeitung wieder näher an den Bürger zu bringen, wie auch die durchgängige Einführung von dialogorientierter DV, führen freilich über Hardwarebeziehungsweise Leistungskosten wieder zu einem erheblichen Kostenanstieg für die angeschlossenen Kommunen.

Kommunen freilich, die sich aus der Betreuung der GKD herauswagen und eigene autonome Lösungen anstreben, gehen einen risikoreichen Weg. Sowohl im Hardware- wie im Softwarebereich müssen oftmals unliebsame Erfahrungen gemacht werden, die das Abenteuer insgesamt wieder unwirtschaftlich erscheinen lassen.

Schon in der Beschaffungsphase sind nach Untersuchungen, die ein Beratungsteam unter Leitung des Autors Anfang 1984 durchführte, Kostendifferenzen von 100 Prozent für aus der Sicht des Anwenders vergleichbare Leistung denkbar. Die erfolgreiche Einführung und spätere Nutzung der Systeme erfordert von der mittleren Führungsebene (vor allem der Inspektorebene) der Kommunen ein hohes Maß an Engagement Bereitschaft zur persönlichen Weiterbildung und, last not least, an

Überstunden. Der Glaube, mit der preiswerten Lösung aus dem Katalog eines Herstellers schmerzlos Abschied von der GKD zu nehmen, dürfte für die allermeisten Anwender im kommunalen Bereich ein Irrglaube werden.

Berechenbare Hardware-Kosten

Berechenbarer Posten erscheint dabei noch die Hardware zu sein. Kienbaum-Erhebungen Anfang 1984 im Bereich kleiner und mittlerer Kommunen führten zu Anhaltswerten von etwa 10 Mark pro Einwohner als Beschaffungskosten. Dabei berichten die Kommunen teilweise von massiven Nachlässen auf die zunächst angebotenen Listenpreise. Gerade in Nordrhein-Westfalen, wo eine Änderung des ADV-Gesetzes (° 9 ADVG) vom "Anschlußzwang" an die GKD zu mehr Entscheidungsfreiheit für die Kommunen führte, läuft zur Zeit ein massiver Preis- und Konditionswettbewerb zwischen den Anbietern. Für die meist extrem unerfahrenen Nachfrager in den Hauptämtern der Rathäuser, die sich über Jahre hinweg nie mit EDV-Auswahl beschäftigen mußten, kommt hinzu, daß häufig sehr kostengünstige Konfigurationen angeboten werden, die gerade eben die IST-Forderungen abzudecken versprechen, aber in kürzester Zeit aus allen Nähten platzen. Wer dann dem "mindestfordernden" Anbieter den Zuschlag erteilt hat, wird sich in spätestens ein bis zwei Jahren über Erweiterungskosten, die ein Mehrfaches der Kosten der Ursprungskonfiguration ausmachen, nicht zu wundern brauchen.

Auf keinen Fall wird der kommunale Nachfrager auf zwei der attraktivsten Lösungen der DV-Beschaffung hingewiesen: Den Einkauf von Rechnern der letzten ein bis zwei Jahre auf dem sich immer mehr entwickelnden Gebrauchtrechnermarkt und die Zusammenstellung von "Mixed-Hardware".

Softwarekosten und -leistung undurchschaubar

Nach wie vor, so beklagen sich Stadtdirektoren und Kämmerer kleiner und mittlerer Kommunen, ist die von Herstellerseite oder von herstellernahen Softwarehäusern angebotene kommunale Software erheblich verbesserungsfähig.

Softwarekosten und Softwareprobleme selbst für Standardprobleme wie HKR stellen sich extrem unterschiedlich dar und häufig ist das, was der kommunale Anwender erhält, erst nach umfänglicher Anpassung tatsächlich lauffähig. Allein die Kostenunterschiede sind gravierend: So konnte der Anwender für ein HKR-Paket Anfang 1984 sowohl etwa 26 000 Mark wie auch etwa 80 000 Mark aufwenden. Die jährlichen Wartungskosten lagen zwischen 1500 und über 9000 Mark. Was den Kostenunterschied bei diesen noch am meisten standardisierten Paketen begründet und welche Leistungsunterschiede existieren, bleibt zunächst im dunkeln. Erst detaillierte Analysen und Tests zeigen auf, welche Funktionen hier oder dort besser gelöst sind.

Hinzu kommen die zusätzlich unkalkulierbaren Kosten für Software-Anpassung und die Entwicklung zusätzlicher Anwendersoftware. Schon die Tatsache, daß beispielsweise ein preisgünstiger Anbieter von Hardware und HKR kein funktionsfähiges Einwohnerwesen anbieten kann, kann die Kosten/Nutzen-Rechnung vollständig umwerfen.

Unbeantwortet ist auf jeden Fall die Frage, werden "autonomen" Rechner jenseits der heute am Markt befindlichen Standardanwendungen an die Anforderungen und Chancen der Zukunft angepaßt.

Neue Anforderungen und Chancen

Neue Anforderungen ergeben sich dabei aus einem erkannten zusätzlichen Bedarf an Planungs- und Entscheidungsinformationen auf Experten- und Führungsebene. Der Rechner, der nur "Massenverarbeitung" schafft, wird hier über kurz oder lang obsolet werden. Tabellenrechnen und grafische Datenverarbeitung, möglichst unter direktem Zugriff auf die Datenbestände in der Anlage, sind Minimalforderungen.

Eine weitere Forderung ergibt sich aus der zunehmenden Verfügbarkeit "technischer" Software für vor allem den Bau- und Verkehrsbereich. Auch hier wollen die Experten zunehmend die Möglichkeiten des Rechners nutzen.

Die Angebote, die unter dem Obertitel "Bürokommunikation" im Bereich Textverarbeitung, Vernetzung von Arbeitsstationen und Telekommunikationsfähigkeit gemacht werden, wollen ebenfalls berücksichtigt werden.

An allen diesen Fragestellungen, nicht zuletzt auch an den steigenden Anforderungen des Datenschutzes darf derjenige, der heute den "Ausstieg" aus der GKD plant, nicht vorübergehen - und wird sich den Ausstieg dann vielleicht noch einmal überlegen. In den Datenzentralen werden heute namlich bereits vielfach die Vorarbeiten für entsprechende Zukunftslösungen realisiert der autonome Anwender läuft Gefahr, sich von der Entwicklung abzukoppeln.

Know-how-Aufbau unerläßlich

Bei derart komplexen Entscheidungen, die auch für kleinere Kommunen leicht in den Bereich von 0,5 bis I Million Mark laufen, ist es damit kaum vertretbar, zum Beispiel einen Oberinspektor im Hauptamt nach einigen Tagen KGSt-EDV-Seminar nebenbei auch die Datenverarbeitungsfragen bearbeiten zu lassen. Wer sich ernsthaft mit der Überlegung zur Schaffung einer autonomen DV-Lösung trägt, wird ohne externe Unterstützung nur dann zu einer kostenoptimalen Lösung kommen, wenn ein Hersteller gerade ein Referenzobjekt sucht.

Auf die Dauer wird aber der Aufbau internen Know-hows nicht zu umgehen sein. Zumindest ein Mitarbeiter im Hauptamt sollte sich soweit qualifizieren, daß er auf Dauer die Interessen der Kommune gegenüber Hardware- und Softwarelieferanten wirksam wahrnehmen kann. Leider leistet die Inspektorausbildung hier kaum Hilfestellungen, findet man doch selbst in den neuesten Lehrbüchern über kommunale Datenverarbeitung immer noch mehr Seiten über Binärcodes, Lochkarten und Trommelspeicher als über Beschaffungs- und Betriebsmanagement

überwiegend mit fremdgekaufter Software betriebenen Anlagen.

So bleibt die Qualifikation der kommunalen Datenverarbeiter weitgehend von eigener Initiative oder derjenigen ihrer Ausbilder abhängig. Doch auch da, wo Initiative und Qualifikation ausreichen, kapituliert der EDV-Einzelkämpfer oft aus akuter Überlastung durch zusätzliche Aufgaben.

Die Lösung aus dem Dilemma "gemeinschaftliche oder autonome Datenverarbeitung" erscheint also nicht leicht. Freilich zeichnet sich zur Zeit eine dritte Alternative ab, die sowohl eine Betreuung der Kommunen durch die GKD als auch eine dezentrale DV vor Ort mit allen ihren Vorteilen sichert.

Psychologisches Moment gewinnt an Bedeutung

Diese Alternative liegt in einer Anwendung der Datenzentralen von der "Verarbeitung" und einer Hinwendung zur Softwareentwicklung und Beratung. Die vornehmlich als "Softwarehaus" aktive Zentrale liefert ihren kommunalen Kunden vor Ort gemeinschaftlich entwickelte, lauffähige Programme für eine definierte dezentrale Hardwareumgebung beziehungsweise erledigt im Auftrage zeitunkritische Massen-Datenverarbeitung. So verfährt zum Beispiel die AKDB in Bayern seit langem mit gutem Erfolg.

Wesentliches Element dabei muß aber die Freiwilligkeit der Zusammenschlüsse und eine transparente, markt- und kundenorientierte Vertriebsstrategie der Datenzentralen sein. Die Erfahrung aus Nordrhein-Westfalen lehrt, daß gerade der Anschluß- und Benutzungszwang an quasi monopolistische Organisationen sowohl zu erheblichem Unwillen bei vielen Nutzern als auch zu wenig kostenorientiertem Verhalten bei den Zentralen selbst geführt hat.

Im rauhen Wind des Marktes sind, wie Beispiele zeigen, trotz teilweise erheblich besserer Vergütung der hochqualifizierten Mitarbeiter sehr rasch auch vernünftige Kosten- und Leistungsstrukturen erreichbar.

So hat bei der Frage "Gebietsrechenzentrum oder DV vor Ort" das psychologische Moment für viele Entscheidungsträger in den Kommunen vielleicht eine größere Bedeutung als streng rationale Überlegungen.

*Dr. Axel G. Koetz, Dipl.-Volkswirt., ist bei der Kienbaum Unternehmensberatung Düsseldorf für die Beratung der öffentlichen Verwaltung verantwortlich.