Horizontale und vertikale Diversifikation

Autodesk löst sich vom reinen CAD-Image

12.07.1996

CW: Mit "3D Studio" hat sich Autodesk bereits einen Namen im Multimedia-Segment gemacht. Was soll durch Kinetix nun anders werden?

Bartz: Die Stärke unserer Modellierungs- und Animationssoftware lag bislang in Bereichen wie der Design-Visualisierung oder dem Walk-through durch virtuelle Architekturen. Langfristig wollen wir unsere Multimedia-Aktivitäten auf die Märkte Entertainment, Film- und Videoproduktionen konzentrieren. Um diesem Vorhaben einen eigenen Rahmen zu verleihen, haben wir im vergangenen April Kinetix als Geschäftsbereich gegründet.

CW: Wird es also künftig neben Autodesk- auch Kinetix-Niederlassungen geben?

Bartz: In den USA hat Kinetix eine eigene Zentrale in San Franzisko. Ob wir auch weltweit Kinetix-Filialen einrichten werden, steht noch nicht fest, wäre aber durchaus denkbar...

CW:...zum Beispiel dann, wenn der Multimedia-Bereich überproportional zum Gesamtumsatz wächst.

Bartz: Ja. Von insgesamt 534 Millionen Dollar haben wir im vergangenen Jahr 28 Millionen Dollar im Multimedia-Segment erwirtschaftet. Weltweit gehen wir in der nächsten Zeit von einem Kinetix-Wachstum zwischen 30 und 40 Prozent aus, während die Gesamtentwicklung des Unternehmens bei etwa plus 15 Prozent liegen wird.

CW: Können Sie für Kinetix auf die vorhandenen Distributionsstrukturen zurückgreifen?

Bartz: Mit der Produktsegmentierung etwa in geografische Informationssysteme und Multimedia müssen wir auch neue Vertriebspartner finden, zumal unsere Software als Plattform dient und im Durchschnitt zu 50 Prozent mit den Applikationen von VARs verkauft wird. Die Stärken der traditionellen Autocad-Händler werden auf den neuen Gebieten nicht immer ausreichen.

CW: Autodesk ist bekannt für seinen indirekten Weg zum Kunden über Systemhäuser und Händler. In diesem Zusammenhang ist inzwischen auch vom virtuellen Unternehmen die Rede.

Bartz: Wir pflegen dieses Geschäftsmodell der engen Beziehung zu Systemhäusern, Händlern und Trainingscentern im Grunde schon seit 14 Jahren. Mittlerweile ist es erheblich komplexer geworden - wir mußten viel dazulernen.

CW: Sie beschränken sich also auch künftig auf den Lizenzverkauf - am Anpassungsgeschäft wollen Sie nicht partizipieren?

Bartz: Das ist unser Prinzip. Es läßt sich vergleichen mit den SAP-Aktivitäten in den USA, die ebenfalls kaum Kontakt zum Kunden haben, sondern das Customizing über Firmen wie Arthur Andersen oder EDS vornehmen.

CW: Gilt das auch für das Groß-kundengeschäft?

Bartz: Natürlich haben wir wie andere Firmen auch eine Abteilung für das Major-Account-Business. Die Vertriebsleute dort sind aber eher im strategischen Sinne tätig. Sie beraten und führen die in Frage kommenden Lösungsanbieter und Händler zusammen, koordinieren sie, unterschreiben aber keine Verträge mit dem Kunden.

CW: Fürchten Sie nicht, daß es zum Beispiel in der PC-basierten Konstruktion eines Tages zu einer Marktsättigung kommen könnte? Ihre Multimedia-Aktivitäten legen diesen Verdacht nahe.

Bartz: Da haben wir keine Sorgen. Der komplette Markt für Designsoftware hat im Moment ein Volumen von etwa fünf Milliarden Dollar und kann noch kräftig wachsen. Allein der Wechsel von der 2D- zur 3D-Konstruktion ist vielfach noch nicht abgeschlossen. Wir gehen dieses Potential über eine vertikale Diversifikation unserer Produkte an - also weg vom Autocad-Generalisten. Die ersten beiden Beispiele dafür sind der "Mechanical Desktop" und das GIS-Produkt "Autocad Map", mit denen wir die Plattform Autocad um Basisfunktionen für spezielle Märkte erweitern.

CW: Damit nehmen Sie aber den Lösungsanbietern einen Teil ihres Geschäfts weg.

Bartz: Nein. Wir bieten nicht mehr eine einheitliche, sondern eine funktional spezialisierte Plattform an. Auf diese können die VARs deutlich besser aufsetzen, wenn sie für Nischen entwickeln wollen. In der mechanischen Konstruktion wären dies beispielsweise die Blechverarbeitung oder die Numerical-Control-Anbindung. In dieser Hinsicht denken wir inzwischen sehr viel prozeßorientierter als früher.

CW: Wird Autodesk in seine Produktstrategie auch das Internet einbeziehen?

Bartz: Das Internet wird in meinen Augen zu euphorisch betrachtet. Kleine Applets lösen nicht zwangsläufig große Probleme. Nur weil man jetzt mit Java eine neue Sprache hat, heißt das noch lange nicht, daß mit Java-Applets CAD-Funktionen zur Konstruktion von Autos verteilt werden können. Selbst wenn ich das Internet als reine Kommunikationsplattform betrachte, gibt es heute noch Probleme, wenn umfangreiche Vektor-Files mit der nötigen Sicherheit und Versionskontrolle über das Netz verschickt werden sollen. Längerfristig kann ich mir aber sehr gut vorstellen, daß das Internet für die Teamarbeit von Ingenieuren eine große Rolle spielen wird.