IT-Profis im Ausland: Abenteuerlust und Risikofreude gehören dazu

Auswandern für den Job

20.06.2003
Ob Abenteuerlust, die große Liebe oder Karrierepläne - Gründe gibt es viele, weshalb IT-Experten ihre Koffer packen und ins Ausland gehen. Wer sich eine neue Existenz aufbauen möchte, braucht aber gute Kontakte und Durchhaltevermögen. Doch wer die ersten Hürden nimmt, kann durchaus dem eigenen Lebenstraum einen Schritt näher kommen.CW-Bericht, Ingrid Weidner

Der erste Arbeitstag war ein Schock. Vor dem Gebäude standen LKWs, Mitarbeiter mussten ihre Büros in wenigen Stunden räumen. Per Videokonferenz hatten sie von ihrer Kündigung erfahren. Joachim Blum hatte sich seinen Start im Silicon Valley leichter vorgestellt. Der promovierte Informatiker arbeitet seit zwei Monaten für ein Startup in Kalifornien und hat seine Entscheidung trotz des ungewöhnlichen Einstiegs nicht bereut. Die besseren Karrierechancen in den USA gehen mit einem höheren Arbeitsplatzrisiko einher. "Als Angestellter deutlich am Erfolg des Unternehmens beteiligt zu sein, ist in Deutschland fast undenkbar. Hier in den USA erlauben die Aktiengesetze jedoch, dass die Mitarbeiter bei Erfolg auch richtig abkassieren." Ausschlaggebend für den 32-Jährigen waren die Job- und Karriereperspektiven, bessere Verdienstmöglichkeiten und das angenehme Leben in Kalifornien. Blum tauschte seinen Arbeitsplatz in München gegen einen in San Jose ein.

Ausländische IT-Experten werden momentan von ihren US-amerikanischen Kollegen kritisch beäugt, und Firmen müssen noch genauer als früher nachweisen, dass sie keinen geeigneten Kandidaten im eigenen Land fanden. Im Umgang mit den Kollegen spielen Ressentiments für Blum allerdings keine Rolle. "Im Silicon Valley herrschen andere Gesetze. Die Höhen einer Wirtschaftsentwicklung sind höher und die Tiefen tiefer. Wenn es einer Firma schlecht geht, spüren es die Mitarbeiter als erstes." Loyalität gegenüber dem Unternehmen gehört für beide Seiten nicht dazu. Der Arbeitsalltag unterscheidet sich wenig von dem in Deutschland, lediglich die Arbeitstage sind deutlich länger. "Es ist üblich, am Wochenende mal reinzuschauen", fügt der 32-Jährige hinzu.

Beruflich läuft es gut für Blum, sein Privatleben muss er noch organisieren, denn mit seinen Kollegen teilt er nur die Bürostunden. After-work-Partys oder außerhalb der Arbeitszeit etwas zusammen zu unternehmen, gehört in seiner Firma nicht dazu. Wie lange er in Kalifornien bleiben möchte, weiß der Informatiker noch nicht. "Das Sozialsystem ist eine Katastrophe in den USA, und wenn es nicht klappt mit der Firma, werde ich auch relativ bald wieder im Flieger sitzen."

Ohne Netzwerk läuft nichts

Da der US-Arbeitsmarkt für IT-Experten in einem ähnlich desolaten Zustand ist wie hierzulande und nur schleppend wieder in Gang kommt, sind die Jobchancen für ausländische IT-Professionals momentan recht bescheiden. Nur wenige Unternehmen stellen derzeit Einwanderer ein. "In den USA findet man ausschließlich über ein persönliches Netzwerk eine Stelle. Jobbörsen kann man so gut wie vergessen", so die Erfahrung von Barbara Kunzelmann. Die 42-jährige Quereinsteigerin lernte im letzten Jahr während eines sechsmonatigen Arbeitsaufenthalts in San Francisco das US-amerikanische Arbeitsleben kennen und war von der dortigen Flexibilität beeindruckt. Nach ihrer Rückkehr wollte sie wieder in Deutschland einsteigen, fand allerdings keinen Job als IT-Projektleiterin. Was tun? Sie entschied sich für einen Neustart in den USA und suchte intensiv nach einem Job. "Ich konnte bereits viele Kontakte knüpfen, die ich jetzt nutze und weiter ausbaue", erklärt sie ihre Strategie und hofft, auf diese Weise eine Stelle zu finden.

Mindestens genauso schwierig wie die Jobsuche gestaltet sich das Visa-Procedere. "Die größte bürokratische Hürde ist ein Arbeitsvisum zu bekommen. Seit dem 11. September wurden die Bedingungen verschärft", erklärt Kunzelmann. Doch sie ist zuversichtlich, dass sie jetzt die Gelegenheit hat, ihren Traum zu verwirklichen.

"Pack an und mach was aus dir"

Mit kostspieligen Auslandsentsendungen locken heute Unternehmen nur noch wenige Spezialisten. International arbeitende Firmen bieten dagegen ein gutes Sprungbrett, um ganz in eine Auslandsniederlassung oder eine Firmenzentrale zu wechseln. Bernd Schmalzridt nutzte diese Chance und wechselte vor drei Jahren vom SAP-Firmensitz in Walldorf in die US-Niederlassung nach Palo Alto. "Hier bin ich näher am Puls der Software", meint der 36-jährige Wirtschaftsinformatiker. Schmalzridt hat einen amerikanischen Arbeitsvertrag und arbeitet zu den dortigen Bedingungen. Die hierzulande gefürchtete Hire-and-Fire-Mentalität in den USA sieht er als Ansporn. "Das Arbeitsklima ist offener, ein ,Fire'' ist für den Arbeitnehmer weniger schlimm, da er in der Regel viel schneller als in Deutschland wieder einen Job findet", schildert er seine Erfahrungen. Sein Arbeitsvisum wurde vor kurzem um weitere zwei Jahre verlängert. Für viele potenzielle Auswanderer stellt das Arbeitsvisum für die USA momentan ein Nadelöhr dar. Ein so genanntes H-1B-Visum wird in der Regel für drei Jahre bewilligt, nur in seltenen Fällen erhalten Einreisewillige auf Anhieb ein Visum für sechs Jahre. In diesem Jahr kommen 195000 Ausländer in den Genuss dieser befristeten Arbeitserlaubnis, im kommenden Jahr soll sich die Zahl auf 65000 reduzieren. Inzwischen gibt es Anwälte, die sich auf die neue Zielgruppe der Einwanderer spezialisiert haben und gegen eine Gebühr die Formalitäten in vier Wochen erledigen. "Arbeit zu finden ist zurzeit schwierig", das weiß auch Schmalzridt, eine unbefristete Arbeitserlaubnis für IT-Spezialisten gebe es nirgends.

Der unbürokratische und praxisorientierte Arbeitsalltag in den USA entspricht den Vorstellungen Schmalzridts an ein innovatives Arbeitsumfeld. "Pack mit an und mach was aus dir. Es kommt hier viel mehr auf die Arbeitsergebnisse an und weniger auf vorangegangene Erfolge, Zeugnisse oder Titel." Selbst der Abschluss von Kreditkartenverträgen oder Versicherungen zählen für Schmalzridt zu den willkommenen Herausforderungen. Denn seine Motivation ist klar: "Für den Aufwand, den ich in meine Arbeit stecke, sehe ich eine Belohnung. Erfolg wird hier nicht durch Steuern bestraft."

Yogalehrer und Hausmann

Nach Indonesien zog es Jürgen Laske 1996. Mit einem Hochschulabschluss und einigen Jahren Berufserfahrung folgte der damals 27- Jährige seiner Verlobten, die von ihrem Arbeitgeber nach Asien entsandt wurde. "Meine Hauptmotivation waren Abenteuerlust und der Drang, die Welt zu entdecken. Deutschland erschien mir zu eng, zu engstirnig und zu gesättigt. Ich hatte Angst davor, in einen Trott und in eine Tretmühle zu geraten", erzählt Laske. Asien lockte ihn mit Palmen, gutem Essen und den Versprechungen einer dynamisch wachsenden Wirtschaftsregion. Das Abenteuer begann für Laske mit der Jobsuche. Der Stellenmarkt der deutschen Handelskammer half ihm nicht weiter. "Ein Job war ausschließlich über privates Networking zu finden. Ich habe Visitenkarten und die Information gestreut, dass ich als Informatiker einen Job suche. Nach einigen Anstrengungen hat es auch geklappt, wenn auch nur zu lokalen Bedingungen." Ein Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss kann mit zirka 500 Euro im Monat rechnen, erfahrene Leute mit ungefähr 1000 Euro. Auf Management-Ebene ist ein Monatsgehalt von 2000 Euro üblich.

Die größere Hürde wartete noch auf Laske, denn der Antrag auf eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung funktioniert dort nach eigenen Gesetzen. "Indonesien ist neben Nigeria das korrupteste Land der Welt und zeichnet sich durch eine aufgeblähte und extrem uneffektive Verwaltung aus", schildert Laske seine Erfahrungen. Er erlebte eine fast einjährige Odyssee durch den Behördendschungel, ein Besuch der Geheimpolizei bei ihm zuhause inklusive. Ohne die Hilfe eines so genannten Agenten, der Behördengänge übernimmt, Formulare besorgt und Umschlägen mit Dollarnoten unter dem Tisch weiterreicht, wäre ihm nur der Rückflug geblieben. Doch der abenteuerlustige Informatiker lernte seine Lektion: "Mit Geld und Beziehungen kann man fast jedes Problem lösen." Im Nachhinein hätte sich Laske die Unterstützung und das Netzwerk eines großen Unternehmen gewünscht, das ihn von der Kontoeröffnung bis zur Steuererklärung unterstützt.

Während der politischen Unruhen 1999 verließ das Ehepaar Laske Indonesien, ging kurzfristig nach Deutschland zurück, um bald wieder die Koffer zu packen und nach Shanghai umzuziehen. Während des ersten Jahres als Freiberufler und Teilzeit-Hausmann in China kümmerte sich Laske um die beiden Kinder, schrieb einen Roman und bildete sich zum Yoga-Lehrer weiter. Seit drei Jahren arbeitet der heute 35-Jährige als Projekt-Manager in einem kleinen Joint Venture von DaimlerChrysler. "Meine Frau hat eine Ex-Patriate-Stelle und sie ist diejenige, die mir in den jeweiligen Anfangszeiten in Indonesien und China die wirtschaftliche Sicherheit garantierte und so den Nachzug erst ermöglichte."

Zu einem Neuanfang auf eigene Faust rät Laske nur Leuten, die sich gut darauf vorbereiten, über Erfahrung verfügen und mit einer Zusatzausbildung und Persönlichkeit punkten können. "Als IT-Fachmann muss man sich darüber im Klaren sein, dass nun beinahe jedes Land eine große Schar junger und auch recht gut ausgebildeter Leute hat, die mit den Ausländern um einen Job in einer interessanten Firma konkurrieren", und er fügt hinzu: "Vor den heimischen Problemen davonzulaufen und auszusteigen endet meistens mit einem Berg Schulden und der umgehenden reumütigen Heimkehr. Deshalb mein Tipp: Bevor man aussteigt, muss man erst eingestiegen sein." Wer im Heimatland den Anforderungen nicht gewachsen sei, werde im Ausland ebenfalls Schwierigkeiten bekommen.

Beruflich bedeutete der Umzug eine Verschlechterung für den Informatiker, denn die Arbeitstage in China sind lang, das Einkommen niedrig. Fachlich erfordert der Job die Qualitäten eines Generalisten, der in der Lage ist, Brücken zu schlagen. "Jeder Anfang ist schwer. Im privaten und persönlichen Umfeld habe ich ein interessantes Leben gewonnen."

Europas offene Grenzen

Innerhalb der europäischen Union steht dem Jobwechsel in ein Nachbarland inzwischen nichts mehr im Weg. Frank Bergmann hatte seine Wohn- und Arbeitserlaubnis in Spanien innerhalb von sechs Wochen. Anfang 1998 zog der Informatiker mit seiner spanischen Frau nach Barcelona. Nach einem dreimonatigen Intensiv-Sprachkurs verlief die Jobsuche reibungslos. Angebote gab es in lokalen Zeitungen, und auch das Konsulat bot seine Hilfe an. Als Projekt-Manager arbeitete er zwei Jahre für Gedas, anschließend als CTO (Chief Technology Officer) bei einem Consulting-Unternehmen. Im September 2001 gründete Bergmann seine eigene Firma Fraber-Consulting und ist heute als freiberuflicher IT-Berater tätig. "Die Bedingungen in Spanien haben sich erheblich verschlechtert, der Arbeitsmarkt hier ist fast nicht mehr existent, die Gehälter sind sehr niedrig", klagt Bergmann.

Gehen oder Umziehen

Anfang diesen Jahres stand Jan Bischoff vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder er würde seinen Job verlieren oder seine Koffer packen und nach Paris ziehen. Der promovierte Physiker hatte in den vergangenen sechs Jahren Software für den Handel einer fanzösischen Bank in Frankfurt am Main entwickelt. Als das Unternehmen seine deutsche Niederlassung verkleinerte, trafen die Umstrukturierungen auch die IT-Abteilung. "Es hat sich einfach angeboten. Als Angestellter konnte ich relativ bequem nach Paris wechseln, und musste mir keinen neuen Job suchen. Frankreich hat mir schon immer gefallen, Job und Karriere spielten bei meiner Entscheidung nur eine Nebenrolle", erklärt der 37-Jährige seine Motivation. Die bürokratischen Hürden waren minimal, der Arbeitgeber unterstützte den Softwareentwickler bei der Anmeldung von Kranken- und Rentenversicherung. Neben sprachlichen Hürden entpuppte sich die Wohnungssuche als echte Herausforderung. In Frankreich verlangen die Vermieter neben einer Bürgschaft weitere Garantien, aber hier halfen Freunde weiter. Im Arbeitsalltag blieb der Kulturschock aus. "Mit einigen meiner neuen Kollegen hatte ich schon von Frankfurt aus zusammengearbeitet und wusste, worauf ich mich einlasse", erklärt Bischoff und fügt hinzu: "Hier hat sich zwar anfangs niemand wirklich um mich gerissen, aber mittlerweile läuft es ganz gut."